Moderne Sklaverei: EU-Trippelschritte gegen ausbeutende Plattformarbeit

Die EU-Kommission will die Arbeitsbedingungen von Menschen verbessern, die sich über Online-Plattformen verdingen. Sie hofft zunächst auf Selbstregulierung.

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(Bild: Karl Allen Lugmayer/Shutterstock.com)

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Wer über digitale Plattformen wie Airbnb, Uber, Lieferando, Deliveroo, Freelancer.de und Clickworker.de beschäftigt ist, soll keine schlechteren Arbeitsbedingungen haben als klassische Angestellte und Selbstständige. Dafür macht sich die EU-Kommission stark und hat dazu eine Konsultation mit den Sozialpartnern eingeleitet. Verbände von Arbeitgebern und -nehmern sowie Gewerkschaften sollen sich dabei in einer ersten, auf mindestens sechs Wochen ausgelegten Phase dazu äußern, welche Schritte am besten zum Ziel der EU-Kommission führen könnten.

Rund 24 Millionen Menschen in der EU haben laut dem Konsultationsdokument bislang mindestens einmal ihre Dienste über Plattformen für Click-, Cloud-, Crowd- oder Gig-Work angeboten. Das sind elf Prozent der gesamten arbeitenden Bevölkerung. Für drei Millionen Europäer sei dies ihre hauptsächliche Erwerbsquelle.

Die Coronavirus-Krise habe die Verbreitung von Plattform-Geschäftsmodellen beschleunigt, schreibt die Kommission. Ohne bestimmte Lieferdienste wäre es kaum möglich gewesen, im Lockdown noch den Zugang zu Dienstleistungen sicherzustellen. Plattformarbeit könne generell mehr Flexibilität, neue Beschäftigungs- und zusätzliche Einkommensmöglichkeiten bieten. Dies gelte auch für Menschen, die nur schwer Zugang zum traditionellen Arbeitsmarkt finden. Gleichzeitig habe die Pandemie die schwierige und teils prekäre Lage von Menschen noch deutlicher gemacht, die in einigen Bereichen der Plattformwirtschaft arbeiten. Viele seien hier besonderen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt.

"Die Plattformarbeit bleibt", geht die fürs digitale Zeitalter zuständige Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager nicht von einem flüchtigen Corona-Effekt aus. Allein 33 bis 35 Prozent der europäischen Verbraucher wollten etwa weiterhin Heimzustellungen von Essen nutzen. Es sei daher an der Zeit und nötig, eine Balance zu finden zwischen den Chancen der Plattform-Ökonomie und dem Erhalt der sozialen Rechte der Arbeitnehmer.

Die Kommission wolle ein "ausgeglichenes Spielfeld", betonte Vestager. Es müssten die gleichen Rechte und der gleiche Schutz für Arbeiter "online wie offline" gelten. Die Exekutivinstanz werde aber nicht definieren, was ein ordentlicher Job ist: "Wir wollen uns nicht zum Richter aufspielen, nicht alles von oben regeln." Die Sozialpartner hätten hier ein eigenes Recht, sich zu organisieren und Standards zu vereinbaren.

Sofern die Verbände und Gewerkschaften nicht beschließen, Verhandlungen für die bevorzugte Selbstregulierung aufzunehmen, will die Kommission in einer zweiten Konsultationsphase ihre gesetzgeberischen Überlegungen zur Diskussion stellen. Sollte auch dies nicht fruchten, lautet der Plan, bis Ende des Jahres eine eigene Initiative für eine Richtlinie oder Verordnung vorzulegen.

Handlungsbedarf sieht die Regierungseinrichtung etwa beim Beschäftigungsstatus, dem Schutz von Leib und Leben der Arbeitnehmer sowie beim Zugang zu einem angemessenen Sozial- und Versicherungsschutz sowie zu kollektiver Vertretung und Tarifverhandlungen. In den Blick genommen hat sie ferner die grenzüberschreitende Dimension der Plattformarbeit, Fragen im Zusammenhang mit der algorithmischen Vergabe von Arbeitsaufträgen oder automatisierten Routenvorgaben sowie zu Ausbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten.

Die Plattformbetreiber könnten selbst davon profitieren, prekäre Arbeit einzugrenzen, warb Nicolas Schmit, Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, für das Vorhaben. Mit klareren Regeln und "maßgeschneiderten Ansätzen" kämen sie wirtschaftlich besser voran. Dass vieles derzeit im Argen liege, zeige die Vielzahl der von Gig-Arbeitern vorgebrachten Klagen. Die bislang ergangenen Gerichtsentscheidungen seien aber teils unterschiedlich, die rechtliche Grauzone bleibe daher noch groß.

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In dem Konsultationspapier verweist die Kommission darauf, dass etwa das spanische Verfassungsgericht entschieden habe, dass der Essenslieferant Glovo seine Zusteller selbst beschäftigte und nicht nur als Vermittler auftrete. In Frankreich gebe es eine ähnliche höchstgerichtliche Entscheidung für Uber-Fahrer. In Belgien habe ein Brüsseler Gericht dagegen geurteilt, dass es sich um Selbstständige handle. Italien habe eine weitreichende Analyse des Phänomens durchgeführt. Im Ergebnis sei eine digitale Arbeitsplattform der "Ausbeutung und modernen Sklaverei" beschuldigt, eine andere unter "justizielle Verwaltung" gestellt worden.

2019 hatten die europäischen Gesetzgeber eine Richtlinie verabschiedet, wonach die Arbeitsbedingungen von Crowd- und Clickworkern transparenter und verlässlicher werden sollen. Die Vorgaben gegen das digitale Proletariat greifen, wenn jemand im Durchschnitt mindestens drei Stunden pro Woche und 12 Stunden innerhalb eines Monats über Plattformen beschäftigt ist. Selbstständige sind ausgenommen. Vestager erklärte, dass die Bestimmungen derzeit national umgesetzt würden und es dann auf ihre Durchsetzung ankomme. Es habe sich um einen ersten Schritt gehandelt.

[Update v. 26.02.2021, 11:52 Uhr]: Ein Lieferando-Sprecher betonte gegenüber heise online, das Unternehmen werde hier oft zu Unrecht in einen Topf mit anderen Gig-Working-Plattformen geworfen: Bei Lieferando seien "alle unsere Fahrer regulär angestellt und umfassend versichert. Neben Sozialabgaben, der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie bezahltem Urlaub zahlt Lieferando allen seinen Kurieren einen festen Stundenbasislohn von 10,50 Euro im deutschlandweiten Durchschnitt. Inklusive variabler Komponenten verdienen diese durchschnittlich mehr als 12 Euro pro Stunde. Inklusive digital gezahltem Trinkgeld sogar bis zu 16,50 Euro pro Stunde." Die eigenen Fahrer würden zudem etwa "auch gegen die Folgen von Arbeit- und Wegeunfällen sowie Berufskrankheiten" abgesichert.

(olb)