Peer-to-Peer fĂĽr das digitale Fernsehen
Mit Tauschbörsen im Stil von Napster möchte man das digitale Fernsehen attraktiv machen.
Während die ersten, mit der Multimedia Home Platform (MHP) ausgerüsteten Geräte gerade erst auf der IFA präsentiert werden, ergehen sich die Tüftler hinter dem TV und Internet verschmelzenden Standard bereits in Zukunftsszenarien. Auf dem Medienforum Berlin-Brandenburg im Internationalen Congresscentrum Berlin warf Georg Lütteke, geistiger Vater von MHP und Direktor für neue Technologien bei Philips Consumer Electronics in Hamburg, einen Blick in die Medienwelt von "übermorgen". Die Trends, die den Verbrauchermarkt dann kennzeichnen werden, sind seiner Auffassung nach vor allem die Vernetzung des gesamten Heimbereichs ("e-Home"). Der heutige Fernsehapparat wird dabei in seinem Inneren endgültig zum vollwertigen PC und erlaubt die Speicherung großer Datenmengen sowie die Personalisierung von Telediensten.
Als eines der wichtigsten Elemente der IP-basierten Fernsehwelt sieht Lütteke die Möglichkeit, "dass Kunden auch selbst Inhalte tauschen können". Bei seinem an Tauschbörsen wie das inzwischen befriedete Napster erinnernden Peer-to-Peer-Szenario (P2P), das die sich im Entwicklungsstadium befindliche Version 2.0 von MHP ermöglichen soll, denkt Lütteke dabei keineswegs allein an die Übersendung von Urlaubsfotos. Er prophezeit den Anbietern vielmehr einen Paradigmenwechsel, in dessen Verlauf die Nutzer ihr Programm letztlich stärker selbst organisieren und dabei auch die Inhalte untereinander austauschen. "Bisher muss der Endkunde sehen, was er bekommt", erklärt Lütteke. "Doch jetzt geht die Marktmacht in Richtung Kunden." Dem sei es schließlich egal, wo er sein Unterhaltungsmaterial her bekomme.
Die Technik fürs "P2P-Fernsehen" ist in Grundzügen bereits vorhanden. Die neuen, MHP-fähigen Settop-Boxen kommen wie Nokias Media Terminal teilweise mit integrierten Festplatten und Speichervolumen bis zu 40 Gigabyte auf den Markt. Kopfschmerzen bereiten den Herstellern – und insbesondere der Inhalte-Industrie – allerdings Fragen des geistigen Eigentums an den möglichen Tauschinhalten. "Die Kopierschutzsoftware ist entscheidend", weiß Lütteke. Sonst werde es nichts mit dem ganzen Modell der "Super-Distribution", wie die Fernsehwelt das angedachte P2P-Verfahren betitelt.
Doch die Techniken zum so genannten Digital Rights Management (DRM), die Kopiermöglichkeiten im Einzelfall festlegen sollen, stecken nach wie vor in den Kinderschuhen. "Wir diskutieren seit Jahren darüber", stellte Lütteke am Rande des Medienforums gegenüber heise online klar, "haben aber noch keine Einigung erzielt." Welche Verschlüsselungsformen oder digitalen Wasserzeichen welcher Firma zum Einsatz kommen sollen, sei noch völlig offen. Die Branche analysiere aber gerade einige der vorhandenen Lösungen.
Als warnendes Beispiel steht den MHP-Vordenkern das Debakel der Musikindustrie und der von ihr getragenen Secure Digital Music Initiative (SDMI) vor Augen. Der Standard sollte eigentlich MP3 den Zahn ziehen und den Labels die Kontrolle über digitale Musikstücke zurückgeben. Doch SDMI galt von Anfang an als unsicher und wurde vom US-Professor Edward Felten schließlich im Rahmen eines von der Musikindustrie ausgeschriebenen Wettbewerbs geknackt. Im Bereich Audiovision droht sich das Fiasko zu wiederholen: Der renommierte holländische Kryptoforscher Niels Ferguson hat nach eigenen Angaben den Verschlüsselungsmechanismus von Intels Schutzsystem für digitales Video (HDCP) gebrochen. Seine Ergebnisse will er aber noch nicht vollständig publizieren, da er ansonsten mit einer Verfolgung in den USA auf Grund der dort bestehenden Urheberrechtsgesetze rechnet.
Einen hundertprozentigen Kopierschutz suchen Lütteke und seine Mitstreiter daher erst gar nicht. "Die Lösung muss allein ökonomisch vernünftig und machbar sein", sagt der Techniker. Die Mehrzahl der Kunden akzeptiere ein solches Verfahren und die fünf bis zehn Prozent der Cracker könne eh niemand stoppen. "Wir müssen eine Balance finden", ist sich Lütteke im Klaren. Vor allem dürften die Anbieter keine prohibitiven, überteuerten Preise für die Super-Distribution und ihre Inhalte verlangen. Denn das sei natürlich eine besondere Herausforderung für die Cracker. (Stefan Krempl) / (jk)