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Was war. Was wird.

Vom Transitabkommen über die RAF und den Chaos Computer Club bis zu Margaret Mead, Alain Finkielkraut und Open Source -- Hal Faber hat sich ein weites Feld vorgenommen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Advent, Advent, ein Kaufhaus brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht der Baader vor der Tür." Mit diesem Refrain machte man sich solange über die Rote Armee Fraktion lustig, bis Andreas Baader im Mai 1970 von Ulrike Meinhof und anderen befreit wurde. Anschließend wurde die Sache ein bisschen härter, um es einmal so zu formulieren. Dafür entwickelte die RAF ein eigenes Logo, das nun vom Chaos Computer Club beerbt wird und für den 18. Weihnachtskongress der Clubber wirbt. Die Kalaschnikoff ist durch eine PC-Tastatur ausgetauscht worden, der RAF-Spruch "Revolution ist kein Verbrechen" durch "Hacking is not a crime". Die gar nicht weihnachtliche Frage, warum der CCC den Anschluss an die Stadtguerilla und spätere Mördertruppe sucht, hat historische Gründe und trägt den Namen Winslow Peck. Hinter diesem Pseudonym verbarg sich ein ehemaliger Mitarbeiter der NSA, der zur Antikriegsbewegung überlief und die Linke aufklären wollte. Von der RAF wurde Peck im Juni 1976 als Zeuge aufgeboten, den Marionetten-Staat BRD zu entlarven, doch wurde er vom Gericht abgelehnt. In einer Pressekonferenz am 26. Juni 1976 erzählte Winslow Peck erstmals in Deutschland in Frankfurt über das Echelon-System und wie die NSA den gesamten Funk-, Telefon- und Datenverkehr der Wirtschafts- und Regierungsapparate dieser Welt überwacht. Vor 25 Jahren verschwand Winslow Peck zu Weihnachten spurlos. Warum der Chaos Computer Club das Logo der RAF braucht, um an dieses Jubiläum zu erinnern, muss der Chaotenlogik überlassen bleiben. Vielleicht ist es einfach nur schick. Apropos Jubiläum: Viele Besucher von 18C3 wird es nicht interessieren, doch für einige ist es wichtig gewesen -- morgen vor 30 Jahren unterzeichneten Egon Bahr und Michael Kohl das Transitabkommen, mit dem Berlin erst so richtig freakig wurde.

*** Nun aber naht das Fest des Friedens, unerbittlich. Unaufhörlich der Strom der Weihnachtskarten von Computerfirmen und Hightech-Agenturen, die sich für die Zusammenarbeit bedanken und statt der branchenüblichen Präsente für die Feuerwehr von New York spenden. Nur eine Agentur, Fink & Fuchs, ist ehrlicher, erinnert an das Flügelwort 911 und schreibt auf einer schlichten Karte "... wir fühlen uns nicht in der Lage, unsere Grüße zum Jahreswechsel in der gewohnt fröhlichen Art zu übermitteln." Nun gibt es Firmen, die Weihnachtskarten per E-Mail verschicken. Vor ihnen warnt die Antivirus-Firma Panda Software: Weihnachtsgrüße per E-Mail sind verseucht! Und Activis errechnet, das allein im Dezember in jedem deutschen Unternehmen 20.000 Euro für verschwendete Arbeitszeit damit vernichtet werden, hoffentlich virenfreie Weihnachtsmails zu öffnen. Wer macht etwas dagegen? Wer wohl: Wie man zu Weihnachten Geschenke und Kärtchen richtig verteilt, zeigte dieser Tage die Deutsche Bank. Da hatte der Wiesbadener Aktionskünstler Kabal die Idee, sich für eine Kunst-Aktion die Domain www.deutsche-bank.ch.vu zu sichern. Prompt wurde Kabal von der Bank aufgefordert, die Domain schleunigst preiszugeben. Das geschah, verbunden mit der Bitte, nach all der Mühe doch eine kleine Spende an den Förderkreis einer Kunstschule zu überweisen. Die bankoffizielle Antwort verdient Erwähnung: "Die Deutsche Bank unterstützt aus freien Stücken großzügig eine Fülle von sozialen Einrichtungen. Es würde jedoch zu weit führen, dabei die Arbeit von Personen zu vergüten, die vorsätzlich unsere Rechte verletzen oder dies bewusst in Kauf nehmen. Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen vorschlagen, dass Sie der von Ihnen erwähnten oder einer anderen gemeinnützigen Einrichtung jenen Betrag zukommen lassen, den Sie sich durch die Vermeidung einer anwaltlichen Abmahnung erspart haben. Dieser Betrag beläuft sich auf DM 3.722,20."

*** Ja, ja, Schenken macht Freude. Begeistert öffnen die Datenschützer das Sicherheitspäckchen, das Otto Schily der Republik verpasst. Und Unternehmer freuen sich über geschmackvolle schwarze Kassen, die kurz vor dem Euro sicher eine gute Geschenkidee sind. Aber was ist mit dem treuen Leser, der noch nichts hat? Dont' panic. Wie wär es mit einem Beutelchen Tasten von einer alten Tastatur? Aber mit Bindfaden zumachen, damit die drahtlose Tastatur auch ankommt. Wer mehr Mobilität schenken möchte, kann sich schnell ein Megway bauen und muss nicht auf Segways, Airboards und andere Treter warten. Irgendwo wird auch ein Bürolocher aufzutreiben sein, der als moderner Diskettenlocher ein idealer Begleiter im Zeitalter der CDs und DVDs sein kann. Auch handgemalte Kunst zieht. Das Internet aus der Sicht eines Datenpäckchens kann eigentlich jeder malen, man muss es nicht kaufen. Wahre Fans greifen zu einem Erster-Posting aus dem Heise-Forum, drucken es geschmackvoll in Fraktur auf Büttenpapier -- und schenken es sich selbst. Doch Halt! Auch die heuer so gebeutelten Bobos wollen bedacht sein. Sie sind die Rauschgoldengel, die unablässig Frieden, Frieden murmeln und die alte Ökonomie herbei wünschen. So preist sich der Heilige Handel als "einzige E-Commerce Plattform, die Gutes tut". Mobiles Spenden macht glücklich, so ruft HelpDirect das Zeitalter der eCharity aus, übrigens nicht mit Eucharistie zu verwechseln.

*** Ein paar weihnachtliche Gedanken müssen aber doch sein: Nichts Schenken, aber alles kostenlos genießen, das ist auch eine Variante des Themas. In seinen neuen Anmerkungen zur Undankbarkeit zieht der Franzose Alain Finkielkraut über das Multikulti-Liebhabesyndrom her, dass es kracht. Was Finkielkraut dabei besonders stört, ist die "Kostenlos"-Mentalität. Ich verkürze: Solange es uns nichts kostet, tolerieren wir jeden Araber und Chinesen. Wenn es etwas kostet, dann bitte nur in den Restaurants dieser und anderer Kulturen. Wenn es wirklich etwas kostet, dann zum Teufel mit ihnen. Weil westliche Kultur auf den Reiz Kostenlos reagiert wie die Maus auf den Käse, konnte sich zum Beispiel das Internet durchsetzen. Nun hat "Heise" in der letzten Woche eine Menge Kritik dafür einstecken müssen, die Nachrichtenlieferung via AvantGo einzustellen. Sie hätte den Verlag Geld gekostet, nicht die Leser. Geschenkt, wie der ganze Ticker hier.

Was wird.

Amerika mag den 100. Geburtstag von Margaret Mead feiern, die als Weise der Nation in die Gechichte einging. Dabei schockte sie am Anfang ihrer Karriere im Jahre 1928 ganz Amerika mit der Erkenntnis, dass junge Leute frei mit ihrer Sexualität umgehen können und Spaß daran haben -- in Samoa. Ein Jahr nach diesem Knaller erfand Rudolf Hell die heutige Form des Fax-Gerätes. Am 19. Dezember ist sein 100. Geburtstag, der in Kiel gefeiert wird, wo bereits eine Straße seinen Namen trägt. Wenn alles gut geht, ist der Jubiliar mit von der Partie. Wir gratulieren dem großen Erfinder, dem die Welt auch die grundlegende Technik des Autopiloten und des Farbscanners verdankt. Das Faxen wurde zwar 1842 erfunden und ab 1870 als Kopiertelegraf eingesetzt, doch war es nicht die idiotensichere Technik, die wir heute kennen: Da spannte der Sender eine beschriebene Metallfolie in das Faxgerät, während der Empfänger einen nassen Lappen mit blausaurem Kalium aufzog, der dann mit Salzsäure getränkt wurde. Rudolf Hell hatte die Idee, Texte und Bilder in Punkte zu zerlegen, die zeilenweise versendet werden konnten. Als "Hellschreiber" wurde das Fax zeitweilig so populär, dass ein anderer Erfinder, Nikola Tesla, sich ein Patent auf die Idee holte, Zeitungen per Fax statt auf Papier in jeden Haushalt zu verteilen -- kostenlos. Finanziert durch Werbung für den nächsten Metzger oder Schneider, der nach der Lieferung seiner Waren die Rechnung per Fax schicken sollte.

"Deutschland steht in der vergleichenden Schulstatistik am untersten Ende der europäischen Länder", hieß es. Ja, die Debatte um PISA und die dummen deutschen Schüler und Lehrer schlägt hohe Wellen. Der zitierte Ausspruch stammt übrigens aus dem Jahre 1964 und wurde vom Bildungsreformer Georg Picht geschrieben. Zitiert wurde der Satz von Picht überall von den besorgten meinungsbildenden Medien im September 1974, als Deutschland (immer noch als Bundesrepublik) wieder einmal PISA vergeigte. Vorletzter Platz! Es ist also anders als im Fußball, wo 90 Minuten lang Leute rumkicken und am Ende Deutschland gewinnt. Schülern wie Eltern und Lehrern sei für die klingelnde Weihnachtszeit die dringend nötige Lässigkeit gewünscht, diese anschwellende Unsinns-Debatte auszuhalten. Aber wo bleibt das Positive? Bitte sehr: Noch hat niemand richtig die Qualität des Codes geprüft, die in einzelnen Staaten unter der Flagge von Open Source produziert wird. Natürlich wird Deutschland die vorletzte Stelle belegen. (Hal Faber) / (jk)