Die USA und die Angst vor Cyber-Attacken

Mit der erneuten Warnung vor einem "digitalen Pearl Harbor" hat der amerikanische Sicherheitsexperte Richard Clarke US-Politiker aufgeschreckt.

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Von
  • Tilman Streif
  • dpa

Mit der Warnung vor einem "digitalen Pearl Harbor" hat der amerikanische Sicherheitsexperte Richard A. Clarke Politiker in Washington aufgeschreckt. US-Experten wie Clarke befürchten, dass in gar nicht ferner Zukunft zwei sehr unterschiedliche Gruppen gemeinsame Projekte starten: Hacker und Terroristen. Clarke war unter Präsident Bill Clinton für die Terrorismusbekämpfung zuständig, und von dessen Nachfolger George W. Bush wurde er unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11. September eingestellt -- als Spezialist für die Absicherung gegen Cyberspace-Attacken.

Im Fall einer gezielten Attacke könnten solche Angreifer an mehreren Fronten gleichzeitig zuschlagen: In der Finanzwelt, etwa durch die Blockierung oder Manipulation von Börsencomputern. Auch die Rechner von Stromversorgern, Notfallzentralen und Militäreinrichtungen sind denkbare Ziele von Cyber-Saboteuren. Dazu kommt noch die Verletzbarkeit des Telefonsystems und damit auch des Online-Datenverkehrs. Etwa 100 zentrale Verteilerzentren regeln den gesamten Telefonverkehr der USA.

Gezielte Angriffe auf die wenigen Telefonzentren hätten verheerende Folgen. Einen ersten Eindruck davon gab es in den USA am 11. September. In unmittelbarer Nähe des World Trade Centers betreibt die Telefongesellschaft Verizon eine Schaltzentrale, die nach der Attacke vorübergehend den Betrieb einstellen musste. Rund 300.000 Leitungen waren gestört, es dauerte mehrere Wochen, bis die gröbsten Schäden behoben waren.

Die schlimmen Folgen von Gebäude- oder Kabelschäden in den Schaltzentralen würden durch digitale Attacken noch in den Schatten gestellt. Und solche Attacken drohen, wenn Terroristen die Bedienung von Computern immer besser beherrschen. Bei Kongressanhörungen nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon warnten Experten wie Frank Ciluffo vor einer hochbrisanten Kombination technischer Kenntnisse und finsterer Pläne. Bin Laden habe den Finger am Abzug, sein Enkel könnte seinen Finger auf der Maus haben, sagte Ciluffo, der am hochangesehenen Washingtoner Center for Strategic and International Studies arbeitet.

Ciluffo und Clarke warnen vor Computerwürmern, die in der Hand von böswilligen Experten zu verheerenden Waffen werden und etwa bei Regierungsstellen großen Schaden anrichten könnten. Clarkes Ermittler gaben bekannt, dass zwei Drittel aller geprüften Bundesbehörden einen Sicherheitstest ihrer Computersysteme nicht bestanden. Die Systeme sollen nun gründlich überprüft und gegen Viren gesichert werden. Gleichzeitig soll für die amerikanische Regierung so schnell wie möglich ein digitales Netzwerk aufgebaut werden, das unabhängig vom Internet ist. Mit dem so genannten GovNet soll die Kommunikation zwischen Regierungsstellen vor allem in Notsituationen gesichert werden, also im Kriegsfall oder bei erneuten Terrorattacken auf amerikanischem Boden.

Eine weitere Regierungsinitiative mit dem Titel NetGuard dient dem Aufbau einer Technologie-Nationalgarde, einer Truppe von Freiwilligen aus den Rängen amerikanischer Hightech-Unternehmen. Dort arbeiten immerhin weit mehr als zehn Millionen Computerexperten. Und deren Wissen kann im Notfall wertvoll sein -- das zeigte sich schon nach dem 11. September. Unter den zahllosen Freiwilligen, die sich in New York und Washington als Helfer meldeten, waren auch Mitarbeiter von Firmen wie IBM und AOL Time Warner. Sie entwickelten unter anderem Datenbanken für die Verteilung von Geld an die Angehörigen der Terroropfer.

Zum Thema Cyberterror siehe auch die Artikel Achillesfersen des Internet und Bedrohtes Netz in Ausgabe 25/2001 von c't ab S. 100. (Tilman Streif, dpa) / (jk)