Düsseldorfer Demonstration gegen Netzzensur

Netzaktivisten demonstrierten gegen die Anstrengungen der Düsseldorfer Bezirksregierung, rechtsradikale Websites sperren zu lassen.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Volker König
  • Alexander Kleinjung

Mittlerweile rufen zahlreiche Bürgerinitiativen und Bewegungen im Netz zum Protest auf, meist in Form von E-Mail-Kampagnen und Online-Unterschriftenaktionen. Doch die heutige Kundgebung in Düsseldorf war anders: Illustre Netzbewohner hatten auf einer Website zur Demonstration gegen die Düsseldorfer Bezirksregierung mobilisiert.

In einem gemeinsamen Schreiben hatten der Chaos Computer Club (CCC), der Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD), die Freie ArbeiterInnen Union, Mitglieder der SPD und der Grünen sowie diverse Netzprominente wie der Anwalt Günther Freiherr von Gravenreuth und Richard Stallman, Mitbegründer der Free Software Foundation, zur Kundgebung aufgerufen.

Die Bezirksregierung Düsseldorf fordert seit einiger Zeit von Netzbetreibern in Nordrhein-Westfalen die Blockade bestimmter Internet-URLs mit rechtsradikalen Inhalten. Nach einem Bescheid im Februar haben einige Internet-Provider tatsächlich entsprechende Filter gesetzt, um den Zugriff der Nutzer ihrer Zugänge auf die strittigen Sites zu blockieren.

Bei der heutigen Kundgebung setzten sich gegen 14.30 Uhr rund 300 Demonstranten und drei Kleinlaster vom Düsseldorfer Schauspielhaus aus in Bewegung. Auf den Kleinlastern saßen "Nerds mit Notebooks" -- Hacker an tragbaren Computern mit symbolisch zugeklebten Mündern. Der Umgang mit mißliebigen Ansichten und die Methoden, diese zu verhindern, sorgten dafür, dass NRW mit totalitären Systemen in einem Atemzug genannt wurde: "Zensur in China, Irak und NRW" war auf den Transparenten der Teilnehmer zu lesen. Auch der leichtfertige Umgang mit der Informations- und Meiungsfreiheit, das immerhin von Artikel 5 des Grundgesetzes als unveränderliches Grundrecht geschützt wird, wurde scharf attackiert. "Rechte Seiten im Internet rechtfertigen keinen Verfassungsbruch", so der überwiegende Tenor.

Eine halbe Stunde nach dem Start der Demonstration hielt die Gruppe am Schlosszentrum im Herzen der Altstadt eine Zwischenkundgebung ab. Dabei brandmarkte ein Redner der Düsseldorfer Antifa-KOK (Koordinierungskreis antifaschistischer Gruppen aus Düsseldorf und dem Umland) die Sperrung von unliebsamen Webseiten als Zensur. Sie ändere nichts am Problem, verdecke nur die Symptome. Er erinnerte daran, dass ausgerechnet der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen jahrelang eine Reihe von hohen NPD-Funktionären als V-Leute unterstützt und damit die NPD möglicherweise noch gestärkt hat. Der Künstler und Online-Aktivist Padeluun äußerte seine Besorgnis, dass eine staatliche Behörde in einer Demokratie Methoden einsetze, die bei Politikwissenschaftlern als Indikator für autoritäre Systeme gelten. Padeluun verglich das Internet à la Büssow mit Huxleys Brave New World.

Der Zug marschierte weiter in Richtung des Amtssitzes des Regierungspräsidenten an der Cecilienallee. Dort sprachen auf der Abschlussumgebung weitere Redner. Jörg Tauss, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses "Neue Medien", soll die Maßnahmen des Düsseldorfer Regierungspräsidenten dabei mit den Ayatollahs im Iran verglichen haben.

Die Bezirksregierung Düsseldorf gab bereits am Freitag in einer vorab produzierten Pressemitteilung bekannt, die Unterschriftenliste der Demonstranten entgegengenommen zu haben. Die Regierung nutzt die Gelegenheit aber auch dazu, nochmals die eigene Position zu verteidigen. Ohne eine Sperrung rechtsradikaler Websites entstehe der Eindruck, "neonazistische Inhalte seien gesellschaftsfähig." Auch den von Kritikern angeführten Anspruch auf Informationsfreiheit verneint die Bezirksregierung: Es gebe "keinen allgemeinen Informationsanspruch auf menschenverachtende Inhalte."

Der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow verteidigte seine Sicht erneut und erklärte, die auf den "Hass-Seiten" diffamierten Minderheiten hätten Anspruch auf effektiven Schutz durch den Staat. Er zeigte sich zugleich betroffen, "dass man sich derart für Nazi-Seiten einsetzt" und verwies darauf, dass die Aufregung der Nazi-Szene über die Sperrverfügungen doch gerade den Erfolg der Aktion beweise und man die Distribution der rechten Szene empfindlich gestört habe. Er habe keine Zweifel an seiner Rechtsauffassung und sei überzeugt, dass ein Gericht die Rechtmäßigkeit der Sperrverfügungen bestätigen werde. Sollte dieses jedoch zu der Auffassung kommen, die Sperrungen seien rechtswidrig gewesen, müsse die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden, da sich der MDStV dann als nicht durchsetzbar und damit als verfassungswidrig erwiesen habe. Dem hielt Andy Müller-Maguhn, Sprecher des CCC und ICANN-Director entgegen: "Der Staat kann den Bürgern nicht vorschreiben, was sie lesen sollen. Und über Freiheits- und Grundrechte entscheidet nicht das Verwaltungsgericht Düsseldorf."

Zum Abschluß der Kundgebung übergab Alvar Freude von der Initiative odem.org jedenfalls die "rote Netzwerkkarte" an Büssow, die dieser zunächst nicht "hier vor der Presse" annehmen wollte und dann schnell in seiner Jackentasche verschwinden ließ. Die unter der "Erklärung gegen die Einschränkung der Informationsfreiheit" gesammelten 6.300 Unterschriften dagegen bekam Büssow dann in der Realität, entgegen der Ankündigung der Bezirkgsregierung, nur gezeigt, aber nicht übergeben. Statt dessen bekam der Politiker einen Stapel Mickey-Mouse-Hefte angeboten.

Nicht nur Büssow vertrat übrigens heute in Düsseldorf gewagte Thesen. Der in Lederhosen erschienene Münchener Rechtsanwalt Günter Freiherr von Gravenreuth trug ein Plakat um den Hals, wonach der bayerische Innenminister Beckstein (CSU) liberaler sei als der Sozialdemokrat Büssow ... (Volker König, Alexander Kleinjung) / (ghi)