Missing Link: Das Starship und die Mars-Utopien des Elon Musk

Elon Musk will auf dem Mars eine Kolonie aufbauen – für Hunderttausende. Doch dagegen spricht einiges, dafür nicht viel.

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Kleine Kolonie auf dem Mars mit mehreren Starships vor ihren Toren

(Bild: SpaceX)

Lesezeit: 27 Min.
Von
  • Alderamin
Inhaltsverzeichnis

Auf Twitter machte kürzlich ein Clip die Runde, in dem Elon Musk, bekanntermaßen Gründer und CEO von SpaceX und mit Ambitionen, den Mars zu kolonisieren, in einem Interview den weltbekannten Astrophysiker Carl Sagan zitiert. Im Buch "Blauer Punkt im All" kommentierte Sagan das auf seine Anregung hin entstandene, von der Raumsonde Voyager 1 aus 6 Milliarden Kilometern Entfernung aufgenommene, gleichnamige Bild der nur pixelgroßen Erde mit den Worten:

Sehen Sie sich diesen blauen Punkt noch einmal an. Hier leben wir. Hier sind wir zu Hause. Hier hat jeder, den Sie lieben, jeder, den Sie kennen, jeder, von dem Sie je gehört haben, jeder Mensch, der je existierte, sein Leben verbracht. Hier durchleben wir all unsere Freude, all unser Leid. Tausende von Religionen, Ideologien und Wirtschaftstheorien, jeder Jäger und Sammler, jeder Held und jeder Schwächling, jeder Schöpfer und Zerstörer, König und Bauer, jedes jung verliebte Paar, Mutter und Vater, jedes aufstrebende Kind, jeder Erfinder und Entdecker, jeder Moralprediger, jeder korrupte Politiker, jeder "Superstar", jeder "höchste Anführer", jeder Heilige und Sünder in der Geschichte unserer Spezies kam von hier – von diesem Staubkorn, das in einem Sonnenstrahl schwebt.

[...]

Unser Planet ist nur ein einsames Pünktchen in einer großen, allumfassenden kosmischen Finsternis. In unserer Verlorenheit in all dieser Weite sieht es nicht danach aus, als wenn eines Tages von irgendwoher Hilfe kommen wird, um uns vor uns selbst zu schützen.

Die Erde ist die einzige uns bekannte Welt, auf der es Leben gibt. Es gibt keine andere Welt, auf die unsere Spezies auswandern könnte – zumindest nicht in näherer Zukunft.

Aufnahme der Erde aus 6 Milliarden Kilometern Entfernung am 14. Februar 1990 von Voyager 1. Auf dieses als „blassblauer Punkt im All“ bekannt gewordene Bild bezieht sich Sagans Zitat im Text.

(Bild: NASA/JPL-Caltech)

Musk endet, lacht und konterkariert das soeben Vorgelesene umgehend mit den Worten:

Das ist nicht wahr. Das ist falsch. Mars

Der junge Moderator Lex Fridman versucht noch, die Situation zu retten, indem er anfügt, dass Sagan dem sicherlich heutzutage zugestimmt hätte und dass er sich damals (das Zitat stammt aus dem Jahr 1994!) nicht hätte vorstellen können, zum Mars zu fliegen. Das ist absurd, wo Wernher von Braun schon in den 1950/1960er-Jahren vom astronautischen Flug zum Mars träumte und die Nova-Raketenreihe entworfen hatte, die Ende der 1970er als Nachfolger der Mondrakete Saturn V mit deren zwei- bis vierfacher Nutzlast zum Mars hätten aufbrechen sollen. Schließlich bedankt sich Fridman bei Musk dafür, dass er den Traum vom Flug zum Mars Wirklichkeit werden lasse.

So kennt man Elon Musk. Keine Herausforderung scheint ihm absurd genug, als dass er sich ihr nicht stellen würde. Zugegebenermaßen ist er damit ziemlich weit gekommen, aber reicht es auch bis zum Mars?

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

In der Tat arbeitet Musks Firma SpaceX mit Hochdruck am "Starship", einer rund 50 Meter hohen und 9 Meter durchmessenden Rakete, die schon in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zum Mars aufbrechen könnte, wenn es nach Musks Plänen geht. Zu einer Zeit, zu der die NASA realistischerweise gerade erst zum Mond zurückkehren könnte – eventuell mit einem modifizierten Starship als Mondlandefähre, denn SpaceX ist einer von drei Bietern für die Landefähre des Artemis-Projekts.

Das Starship beim Start nach der Stufentrennung vom Super Heavy Booster.

(Bild: SpaceX)

Das Starship wird den Weltraum allerdings nicht aus eigener Kraft erreichen können, es wird vielmehr die zweite Stufe auf einem als "Super Heavy" bezeichneten Booster sein, dessen erster Prototyp voraussichtlich bald fertiggestellt sein wird. Die aus beiden Elementen kombinierte Rakete soll mit 122 Metern Höhe die Saturn V noch um 11 Metern überragen und mit 140 Tonnen Nutzlast 10 Tonnen mehr als diese in die Erdumlaufbahn hieven können.

Beide Stufen sollen voll wiederverwendbar sein, während nicht einmal das Space-Shuttle komplett wiederverwendbar war, da es bei jedem Flug einen frischen externen Tank verbrauchte. Die Super Heavy soll wie bereits die erste Stufe der Falcon-9-Rakete nach der Stufentrennung zurück zur Startbasis fliegen, wo sie gemäß einiger Tweets von Musk wieder direkt im Startgerüst landen soll (was Landebeine einsparen und das Vorbereiten für den nächsten Flug beschleunigen würde) während das Starship die Umlaufbahn erreicht. Dort von weiteren als Tankschiffen ausgelegten Starships wieder vollgetankt würde es zum Mars durchstarten können, nach rund 6 Monaten dort eintreffen und durch seine Triebwerke gebremst auf dem Mars aufsetzen.

Dank zuvor schon zum Mars transportierter ISRU-Fabriken (ISRU = In Situ Resource Utilization, „Vor-Ort-Ressourcenausnutzung“), die aus Wassereis und atmosphärischem Kohlendioxid die Starship-Treibstoffe Sauerstoff und Methan produzieren, sind die Tanklager für den Rückflug bereits bei der Ankunft gefüllt und bei der nächsten geeigneten Konstellation von Erde und Mars kann das Starship aus eigener Kraft vom Mars starten und die Erde erreichen, wo es durch die Atmosphäre abgebremst wird, auf seinem Feuerstrahl landet und nach einer kurzen Überholung wieder startbereit ist.

Durch die vollständige Wiederverwendbarkeit fielen nur die Kosten des Treibstoffs und der Überholung an, im Gegensatz zu einer pro Flug völlig neuen Rakete, wie beim für die Artemis-Mondflüge in der Entwicklung befindlichen Space Launch System (SLS) der NASA und fast allen heutigen Raketen. Das SLS soll rund 2 Milliarden US-Dollar pro Start kosten, das Starship gerade einmal 2 Millionen. Selbst wenn der Preis um einen Faktor 10 zu niedrig angesetzt wäre, so wäre er immer noch weitaus günstiger als die Falcon-9-Rakete, deren Start derzeit 65 Millionen Dollar kostet und nur 1/6 der Nutzlast stemmen kann (als Falcon Heavy aus 3 Boostern für den doppelten Preis etwa die Hälfte).

Ein Ticket zum Mars soll nach Aussage von Musk höchstens 500.000 Dollar kosten, möglicherweise sogar nur 100.000 – nur etwa ein Hundertstel bis Fünfhundertstel dessen, was SpaceX derzeit für einen Flug zur ISS in einer Crew-Dragon-Kapsel verlangt und im Bereich dessen, was sich ein normalsterblicher Auswanderer leisten könnte. Dafür sollen gleich 100 zahlende Passagiere in 40 Kabinen auf dem Flug zum Mars an Bord sein. Auf diese Weise will Musk einen Shuttledienst (mit Rückflugmöglichkeit) einrichten, um mit bis zu 1000 Starships um 2050 eine Million Menschen auf den Mars zu bringen.

Das Errichten der Kolonie auf dem Mars will er allerdings der NASA und deren internationalen Partnern überlassen. Denn hier fangen die Probleme erst an.

Profil einer Starship-Marsmission: Das Starship startet auf dem Superheavy-Booster in den Erdorbit. Der Booster selbst fliegt wieder zur Startrampe zurück. Mehrere als Tankschiffe ausgelegte Starships füllen die Tanks des Mars-Starships im Orbit wieder auf, welches dann aus eigener Kraft den Mars erreichen kann und dort landet. 99 Prozent seiner Geschwindigkeit werden durch Luftwiderstand aufgezehrt, die Landung erfolgt mithilfe der Triebwerke. Vor Ort wird das Schiff mit Treibstoff wieder aufgefüllt, der mithilfe von vorher auf den Mars transportierten lokalen ISRU-Fabriken aus Wasser und Kohlendioxid produziert wurde. Das vollgetankte Starship kann die geringe Schwerkraft und die dünne Atmosphäre des Mars ohne Booster überwinden und aus eigener Kraft zur Erde zurückfliegen, wo es von der Atmosphäre gebremst wird und wieder mithilfe seiner Triebwerke aufsetzt.

(Bild: SpaceX)