Missing Link: Das Starship und die Mars-Utopien des Elon Musk

Seite 2: Utopie 1: Planet B

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Die Temperaturen auf dem Mars schwanken am Äquator zwischen 0 °C und -100 °C; im Mittel liegen sie bei -68 °C und damit 80 °C tiefer als auf der Erde. Die Atmosphäre des Mars besteht zu 95,9 Prozent aus Kohlendioxid, zu 4 Prozent aus Argon und Stickstoff und das letzte Zehntel Prozent teilen sich Sauerstoff und das hochgiftige Kohlenmonoxid – nicht unähnlich den Abgasen eines Ottomotors.

Die "Luft" auf dem Mars ist zudem extrem dünn, sodass der Himmel senkrecht nach oben gesehen schwarz erschiene, wenn der Staub in der Atmosphäre das Sonnenlicht nicht so stark in Brauntönen streuen würde. Der Atmosphärendruck beträgt auf mittlerem Niveau (bei uns würde man "Meeresspiegel" sagen) etwa 6 Hektopascal (Millibar), das entspricht dem Druck der Erdatmosphäre in 32 Kilometern Höhe, bei Amateur-Stratosphärenballonflügen gerne als „Weltraum“ tituliert. Bei diesem Druck kann flüssiges Wasser nicht existieren, es würde bei etwa 0 °C gleichzeitig kochen und gefrieren, und erwärmtes Eis würde ohne Umweg über die flüssige Phase gleich gasförmig werden (Sublimation). In den tiefsten Tälern auf der Marsoberfläche kann der Druck immerhin den doppelten Wert erreichen. Er variiert zudem jahreszeitlich um 25 Prozent mit dem sommerlichen Sublimieren der Polkappen des Mars, die größtenteils aus gefrorenem Kohlendioxid bestehen (besser bekannt als Trockeneis).

Der Himmel auf dem Mars ist dunkler als gemeinhin auf Fotos zu sehen. Fast alle Aufnahmen der Mars-Rover und -Lander sind stark nachbearbeitet um eine „natürliche“, mit irdischen Aufnahmen vergleichbare Farbgebung zu erreichen. Die Farbe des Himmels schwankt tatsächlich beträchtlich je nach Höhe über dem Horizont, Sonnenstand und Staubgehalt. Diese Aufnahme des Rovers Opportunity zeigt realistische Farben, die ein Betrachter auf dem Mars sehen würde. Hier ist der Himmel extrem dunkel und alleine die feinen rostroten Staubpartikel geben ihm eine bräunliche Tönung. Dies zeigt, wie dünn die Marsatmosphäre ist.

(Bild: NASA/JPL/Cornell)

Ein Mensch, der diesem Druck ausgesetzt wäre, würde zwar nicht gleich wie in Schwarzeneggers "Total Recall" platzen, aber unterhalb von 63 hPa (nach dem Fliegerarzt Harry George Armstrong als "Armstrong-Grenze" benannt) beginnt das Blut in den Adern zu sieden, was dazu führt, dass Gasbläschen kleinere Blutgefäße blockieren, ein sogenannter Ebullismus, wie er auch bei der Taucherkrankheit auftritt – hier perlen bei zu schnellem Druckabfall beim Auftauchen Stickstoffbläschen im Blut aus. Der Ebullismus führt zunächst zu einem Anschwellen der Haut, Blasenbildung im Mund und nach wenigen Minuten zum Tod, weil das Gewebe des Gehirns nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird.

Man kann sich auf dem Mars also nicht alleine mit warmer Kleidung und Sauerstoffflaschen im Freien aufhalten, sondern muss einen vollwertigen Raumanzug tragen, der den Druck aufrechterhält, die Temperatur konstant und Atemluft mit sich führt, so wie der EMU-Anzug (Extravehicular Mobility Unit), den die Astronauten bei Außenbordeinsätzen an der ISS tragen. Mit voll befülltem Sauerstoffvorrat im Rückentornister (Primary Life Support System, PLSS) bringt er es auf über 120 Kilogramm – wohlgemerkt ohne Astronaut oder Astronautin. Zwar wiegt der Anzug auf dem Mars nur 38 Prozent seines Erdgewichts – ein 80-kg-Mann wöge also mit Anzug auf dem Mars so viel wie 76 kg auf der Erde. Dennoch ist selbst in der Schwerelosigkeit der Erdumlaufbahn jede Bewegung im Raumanzug Schwerstarbeit.

Der zurzeit auf der ISS und vorher beim Space Shuttle eingesetzte US-amerikanische EMU-Anzug für Außenbordeinsätze (EMU=Extravehicular Mobility Unit) hat nicht weniger als 14 Lagen. Zuunterst wird eine aus Schläuchen bestehende Unterwäsche getragen, in der Wasser zirkuliert, das für eine gleichbleibende Temperatur auf der Haut sorgt (Lagen 1. bis 3.). Die 4. Lage ist luftdicht und Schicht 5 hält den Druck aufrecht, ähnlich einem Fahrradreifen mit Schlauch. Die Lagen 6 bis 14 schützen vor Mikrometeoriten.

(Bild: NASA)

Zum einen, weil schon sein (beim aktuellen amerikanischen EMU-Anzug 14-lagiges) Material recht steif ist, und zum anderen, weil in ihm ein Druck von 1/3 Atmosphäre reinen Sauerstoffs herrscht, der ihn im Vakuum, wie auch im Beinahe-Vakuum der Marsatmosphäre, aufbläht wie einen aufgepumpten Fahrradreifen. Was übrigens der Grund für die hüpfenden Bewegungen der Mondbesucher war – in den Anzügen raumgreifende Schritte zu machen, war ungleich anstrengender als in den Knien und Sprunggelenken zu federn.

Wobei 1/3 Atmosphärendruck noch ein Kompromiss ist: Der Druck ist niedrig genug, um sich halbwegs im Raumanzug bewegen zu können, aber hoch genug, dass die Vorbereitung für den Ausstieg nicht zu lange dauert. Zwar würde schon 1/5 Atmosphärendruck reinen Sauerstoffs zum Atmen reichen (Atemluft enthält bekanntlich nur 21 Prozent Sauerstoff) und mehr Bewegungsfreiheit ermöglichen, aber wenn man von normaler Luft auf reinen Sauerstoff bei verringertem Druck wechselt, muss man zuvor den Stickstoff aus dem Blut abatmen, indem man reinen Sauerstoff voratmet, sonst kommt es zum vorgenannten Ebullismus. Das dauert bei der ISS ganze 4 Stunden (bei Gemini und Apollo waren es 2 Stunden, was bei Apollo-11 Astronaut Michael Collins zu Schmerzen im Knie führte). Man könnte in Betracht ziehen, auf der ISS oder auf dem Mars generell unter 1/5 Atmosphärendruck reinen Sauerstoffs zu leben, aber die NASA verwendete nach Skylab durchgängig gewöhnliche Atemluft unter Normaldruck, die Sowjets sogar schon früher.

Luft bei Normaldruck leitet den Schall der Stimme besser und es gab Bedenken, dass der menschliche Metabolismus langfristig unter geringem Druck Schaden nehmen könnte. Kein entscheidender Grund ist die Feuergefährlichkeit des reinen Sauerstoffs, die durch die Verringerung des Drucks weitgehend eliminiert wird (der zusätzliche Stickstoff hilft allerdings auch, Wärme besser abzuführen). Bei der ISS vereinfacht die Normalatmosphäre den Ausstieg aus den eintreffenden Kapseln, die ebenfalls mit normaler Luft gefüllt sind.

Während selbst in der Antarktis Ausflüge nach draußen mit hinreichend warmer Kleidung kein Problem sind (falls nicht gerade ein Blizzard herrscht), würden Exkursionen auf die Marsoberfläche vergleichbare Vorbereitungen wie ein Außenbordeinsatz auf der ISS erfordern. Die Bewegungsfreiheit wie auch die Verweildauer wären stark eingeschränkt und erholsame Spaziergänge wären das keinesfalls. Auf dem Mars wäre man also im Wesentlichen zum Hausarrest verdammt und Außenbordeinsätze wären auf notwendige Anlässe wie Wartungsmaßnahmen oder Forschung beschränkt. In Russland und auf Hawaii wurden Experimente durchgeführt, ob Menschen überhaupt für die gegebene Dauer einer Marsmission auf so engem Raum miteinander leben können, ohne psychischen Schaden zu nehmen. Was nicht in allen Fällen problemlos ablief.

Die Mars-Habitate müssten zudem Schutz vor der kosmischen Strahlung bieten. Da der Mars kein schützendes Magnetfeld und eine so dünne Atmosphäre hat, prasseln die Teilchen des Sonnenwinds und die kosmische Strahlung nur um gut die Hälfte vermindert auf die Oberfläche. Bei einer dreijährigen Marsmission während eines Sonnenminimums rechnet die NASA mit etwa 1000-1300 Millisievert (mSv) an Strahlenbelastung, davon jeweils 250 mSv während der sechsmonatigen Hin- und Rückflüge. Die internationale Strahlenschutzkommission gestattet nur 50 mSv pro Jahr und 100 mSv in Summe während einer fünfjährigen Periode für Berufe, in denen Personen ionisierender Strahlung ausgesetzt sind. Ein sechsmonatiger Aufenthalt auf der ISS, die sich tief im Magnetfeld der Erde befindet, verursacht etwa 50-100 mSv. Für NASA-Astronauten sind während seines gesamten Berufslebens höchstens 1000 mSv zulässig, was etwa 3000 Röntgenuntersuchungen des Oberkörpers entspricht.

Strahlendosen von Raumfahrtmissionen. Blaue Punkte sind mit Strahlendosimetern gemessene Werte, rote Karos solche, die aus der biologischen Wirkung der Strahlung auf die Astronauten rekonstruiert wurden (Biodosimetrie), beide gemessen in Milligray, einer Einheit, die nur die Energie der Strahlung betrachtet. Die hohlen Quadrate zeigen die entsprechende biologisch wirksame Dosis in Millisievert an. Die Strahlenbelastung steigt mit der Missionsdauer und der Entfernung von der Erde. Während Mercury- und Gemini-Missionen überwiegend kurz waren und in Erdnähe blieben, entfernte sich Apollo aus dem Erdmagnetfeld und Shuttle-Missionen waren meist zwei Wochen lang; Shuttle-Missionen zum Hubble-Weltraumteleskop entfernten sich weiter von der Erde, weil das Teleskop doppelt so hoch die Erde umkreist wie die meisten Shuttle-Orbits. Missionen der Raumstationen Skylab, Mir und ISS dauerten Wochen bis Monate. Missionen des Lunar Gateway, welches den Mond umkreisen soll, werden Wochen dauern und solche mit dem ehemals geplanten „Deep Space Transport“, einer Fähre vom Gateway zum Mars, hätten Monate bis zu einem Jahr gedauert. Sie sind direkte Entsprechungen der Strahlenbelastung des Spaceship auf dem Weg zum Mars. Mars-Missionen erreichen Dosen über 1000 mSv, die gesundheitsgefährdend sind.

(Bild: Lisa C. Simonsen, Cary Zeitlin, NASA, 2017)

Weitaus höher ist die kurzfristige Strahlenbelastung während eines Sonnensturms. Zwar machen diese aufgrund ihrer kurzen Dauer nur 5 Prozent der Gesamtstrahlenbelastung aus, können jedoch kurzfristig gefährlich hohe Strahlungsleistungen erreichen. Auf seinem Flug zum Mars 2011/2012 maß der Curiosity-Rover Spitzenwerte der 10- bis 100-fachen mittleren Strahlendosis. In Sonnenaktivitätsminima treten Sonnenstürme zwar deutlich seltener auf, aber bei ruhiger Sonne schirmt der Sonnenwind wiederum weniger gegen die besonders hochenergetischen Partikel der kosmischen Strahlung ab, deren Anteil an der Belastung somit zunimmt.

Als Abschirmung gegen kosmische Strahlung reichen Aluminium und dünnes Stahlblech nicht aus, schon gar nicht während eines Sonnensturms. Bleiplatten wären optimal, sind aber viel zu schwer für die Raumfahrt. Die NASA erwägt, im geplanten Lunar Gateway, einer in der Nähe des Mondes platzierten Raumstation, in der die Astronauten monatelang der gleichen Strahlenbelastung wie bei einem Marsflug ausgesetzt sein werden, Schutzräume einzurichten, die von Wasser umhüllt sind, in denen die Besatzung den größten Teil der kritischsten Stunden verbringen kann. Während des ersten astronautischen Flugs um den Mond im Rahmen des Artemis-Programms, EM-1, soll die Effektivität von Schutzwesten und abschirmenden Schlafsäcken untersucht werden. Dorit Donoviel, der Direktor des für die NASA arbeitenden Translational Research Institute for Space Health schätzt, dass wir noch 10 Jahre davon entfernt sind, Leute sicher zum Mars zu fliegen.

Elon Musk sieht das naturgemäß anders. Nach den Lebenserhaltungssystemen des Starship gefragt, antwortete er beim zweiten Nachhaken, dass er das Problem nicht als übermäßig kompliziert ansehe – im Gegensatz zum Bau des Raumschiffs. Lebenserhaltungssysteme zu bauen sei ziemlich simpel. Zur Abschirmung von Strahlung auf dem Flug meinte er, man würde das Starship einfach mit dem Heck zur Sonne orientieren, dann schützten die Tanks und zahlreichen Metallwände im Raumschiff die Besatzung ausreichend. Was grob vereinfachend ist, da die besonders energiereiche kosmische Strahlung aus allen Richtungen kommt. Im Übrigen schütze der Hitzeschild das Starship hinreichend – behauptet jedenfalls Elon Musk.

Um Wohnmodule auf dem Mars vor Strahlung zu schützen, wäre es am einfachsten, das zu verwenden, was man dort vorfindet und sie meterdick mit Regolith zu bedecken, in natürlichen Höhlen unterzubringen oder gleich komplett zu vergraben. Der Marskolonist sieht also einem Leben in einer durch künstliches Licht erhellten Blechröhre entgegen. Man mag sich fragen, warum jemand ernsthaft danach streben sollte und wie lange er es dort realistischerweise aushalten würde, bevor er es sich anders überlegt und ein Rückflugticket bucht (falls er es sich leisten kann).

Damit eine Marskolonie nicht am permanenten Tropf der Erde hängt, müsste sie sich selbst versorgen können. Zum einen mit Nahrungsmitteln, zum anderen mit Produktionsgütern. Zwei Biosphärenexperimente auf der Erde, bei denen versucht wurde, eine Gruppe von "Bionauten" in einem autarken und bis auf einfallendes Sonnenlicht von der Umgebung isolierten Gewächshaus sich selbst versorgen zu lassen, scheiterten an den Mikroorganismen im Boden, die den Sauerstoff aufzehrten. Mittlerweile laufen Experimente, Pflanzen ganz ohne Bodensubstrat mit Luftwurzeln zu züchten, die mit nährstoffhaltigem Wasser besprüht werden, und sowohl in der Antarktis als auf der Raumstation konnte schon selbstgezüchteter Salat geerntet werden.

Von einer industriellen Produktion, wie sie zur Ernährung einer Kolonie von tausenden oder einer Million Menschen notwendig wäre, ist man noch weit entfernt. Alleine auf der Basis von Salat wird man diese Menschen nicht gesund ernähren können. Und eine so große Bevölkerung wird es brauchen, um all die Rohstoffe zu fördern und daraus Produkte des täglichen Lebens wie Maschinen, Elektronik, Werkstoffe etc. herzustellen. Öl, aus dem wir zum Beispiel Asphalt und Kunststoffe herstellen, gibt es übrigens nicht auf dem Mars, die müsste man aus Kohlendioxid und Wasser synthetisieren. Mars ist kein Planet B. Mars ist ein Höllenloch.