Missing Link: Das Starship und die Mars-Utopien des Elon Musk

Seite 3: Utopie 2: Das Starship wird ein sicheres Transportmittel

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Schließlich besteht ein grundsätzliches Sicherheitsproblem mit dem Starship, das bei den jüngsten Versuchen nur allzu deutlich wurde. Im texanischen Boca Chica, nahe der mexikanischen Grenze, startet derzeit alle paar Wochen ein Starship-Prototyp in den Himmel, um nach einem von Leitflächen gesteuerten Absturz kurz vor dem Boden aus der Horizontalen wieder in die Vertikale zu wechseln („Belly-Flop-Manöver“) und elegant auf dem Feuerstrahl seiner Triebwerke schwebend mit seinen Landebeinen sanft auf dem Beton aufzusetzen. Was bisher dreimal mit einem großen Feuerball endete – zuletzt nach einer Landung mit entweder nicht komplett ausgefahrenen Landebeinen, oder mit solchen, die beim harten Aufsetzen brachen, was den Prototypen SN10 wie eine Hi-Tech-Version des Turms zu Pisa schief in der Gegend herumstehen ließ. Rund 10 Minuten später explodierte er dann doch noch.

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Das Problem dabei: das Starship hat kein Rettungssystem. Anders als die Dragon-Kapsel oder das Sojus-Raumschiff kann die Besatzung nicht durch Raketenkraft von einer havarierten Rakete wegkatapultiert werden.

SpaceX-Fans argumentieren, dass dies beim Shuttle und bei Verkehrsflugzeugen auch nicht möglich war bzw. ist und dass SpaceX das Problem der Landung selbstverständlich in den Griff bekommen werde. Dabei lassen sie zweierlei außer Acht: Erstens hatte das Space Shuttle zwei fatale Unfälle bei nur 135 Flügen. Das ist eine Fehlschlagrate von schlechter als 1:70. Dabei kamen 14 Menschen ums Leben. Bei aller Schönheit des Shuttles – kein anderes Raumfahrzeug forderte einen so hohen Blutzoll. Einer der Gründe, warum sich die NASA wieder gewöhnlichen Raketen für den Transport von Menschen zugewandt hat ist, dass man diese in Kapseln zu jeder Zeit des Flugs in Sicherheit bringen kann. Das Shuttle hatte (außer bei seinem Erstflug) nicht einmal Schleudersitze, und die hätten auch nur kurz nach dem Start und kurz vor der Landung eingesetzt werden können (mit dem Restrisiko beim Start, in den Feuerstrahl zu geraten).

Zweitens sind Verkehrsflugzeuge inhärent viel sicherer als Raketen. Ein Flugzeug ist selbst beim Ausfall aller Triebwerke noch flugfähig. Die Höhe gibt einem Flugzeug einen Aktionsradius, in welchem der Pilot nach Landemöglichkeiten suchen kann und der Fahrtwind kann einen propellergetriebenen Notfallgenerator antreiben, der auch ohne Triebwerke Strom erzeugen kann. Selbst wenn Teile des Leitwerks ausfallen, hat ein Flugzeug noch redundante Ruder, mit denen es notfalls gesteuert werden kann. Bei Flug United Airlines 232 fiel nach einem schweren Triebwerksschaden die gesamte Hydraulik und damit alle Steuerflächen aus, aber den Piloten gelang eine harte Landung alleine mithilfe der Triebwerke, die zwar 111 Menschen tötete, aber immerhin 185 Leben rettete.

Wenn es nicht durch eine Bombe oder eine Rakete zerstört wird, brennt, oder mit einem Hindernis kollidiert, hat es eine gute Chance heil herunter zu kommen. Daher zählen Flugzeuge zu den sichersten Verkehrsmitteln überhaupt. Die Verlustrate von Verkehrsflugzeugen liegt heute bei 1:5 Millionen Starts. Auf die Passagiere und Flugstrecke umgerechnet riskiert ein Mensch, nach im Mittel 25 Milliarden Flugkilometern einen tödlichen Unfall zu erleiden.

Ganz anders Raketen: Sie sind hochgezüchtete, empfindliche Diven. Der Start bedarf geeigneten Wetters, alle Sensoren müssen einwandfreie Werte anzeigen, damit sie überhaupt abheben dürfen und oft genug tun sie das dann doch nicht. 95 Prozent ihrer Startmasse sind hochexplosive Treibstoffe, heruntergekühlt bis zur Flüssigphase von Methan (Siedepunkt: -162 °C) oder Wasserstoff (-252 °C) und Sauerstoff (-183 °C).

Wenn eine Rakete gestartet wird, müssen sich alle Menschen außer ihrer Crew kilometerweit weit von ihr entfernen, denn sie hat die Sprengkraft einer kleinen Atombombe. Die extrem kalten Flüssigkeiten werden von Hochdruckpumpen zentnerweise pro Sekunde durch ofenrohrdicke Leitungen aus Leichtmetall in die Triebwerke gepumpt, wo sich Treibstoff und Oxidationsmittel vermischen, zünden und in Sekundenbruchteilen über 3000 °C und 70 bar erreichen, ein Druck so hoch wie in einer Kohlendioxidflasche.

Die Rakete durchbricht etwa eine Minute nach dem Start die Schallmauer in 10 Kilometern Höhe und erreicht ein paar Kilometer höher den Punkt der größten aerodynamischen Belastung, Max Q genannt. Während die Tanks sich leeren und die Rakete immer leichter wird, nimmt die Beschleunigung auf ein Vielfaches der Erdschwerkraft zu und so lastet ein Mehrfaches des Erdgewichts der vollgetankten zweiten Stufe auf der ersten. Das Material ist extremen Belastungen ausgesetzt, darf aber kaum etwas wiegen. Auf dem Weg nach oben werden Stufen abgetrennt und ein Satz neuer Triebwerke muss zünden, Vorgänge, die präzise und fehlerfrei ablaufen müssen. Am Ende erreicht die Rakete nach rund 8 Minuten eine Geschwindigkeit von 28.000 km/h und 200 Kilometer Höhe bei Brennschluss.

Es gibt kaum Toleranz für Abweichungen. Es gibt nur einen Weg, vorwärts nach oben, mit der einzigen Alternative eines Abbruchs unter Verlust des Raumfahrzeugs. Es sind Blechröhren, die ohne ihre Triebwerke wie Steine zu Boden fallen und mit der mehrfachen Geschwindigkeit eines Panzergeschosses unterwegs sind. Und oben auf der Spitze sitzen manchmal Menschen.

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Die NASA strebte im Constellation-Programm, welches die Shuttles ursprünglich ablösen sollte und dessen Abkömmling das heutige Space Launch System SLS ist, eine Wahrscheinlichkeit von besser als 1:1000 an, eine Crew zu verlieren (LoC, Loss of Crew). Untersuchungen ergaben, dass dieses Ziel nicht erreichbar sein würde – schon alleine wegen der Gefahr durch Weltraumschrott. Man billigte der Orion-Kapsel und ihren Ares-I- und -V-Raketen eine LoC-Rate von 1:270 zu und stellte dies auch als Anforderung an Boeing und SpaceX für ihre kommerziellen Weltraumtaxis.

Dank Rettungstriebwerken in den Starliner- und Dragon-Kapseln ist dieser Wert technisch realisierbar. Bei der Mission Sojus MS-10 am 11. Oktober 2018 rettete ein solches System den Raumfahrern Alexei Owtschinin und Nick Hague das Leben. Als ihre Rakete bei der nicht planmäßigen Abtrennung eines Sojus-Boosters in 50 Kilometern Höhe Leck schlug und in Drehung geriet, schleuderte das Rettungssystem der Sojus das Landemodul von der havarierten Rakete fort und sie landeten sicher in der kasachischen Steppe. Boeing und SpaceX mussten ihre Rettungssysteme von der Startrampe aus wie auch im Flug bei Max Q demonstrieren, um zugelassen zu werden. Selbst die Mondlandefähre des Apollo-Programms bot bei der Landung die Möglichkeit für die Crew, das Aufstiegsmodul während des Abstiegs im Notfall vom Landemodul zu trennen und sich so zu retten.

Das Starship hat nichts dergleichen. Bei der Landung verlässt es sich alleine auf das fehlerfreie Zünden seiner Triebwerke ein paar Meter über dem Erdboden. Ein Problem mit dem Druck in den Tanks bedeutet Loss of Crew. Probleme beim Zünden der Triebwerke: LoC. Aber auch andere Flugphasen sind potenziell gefährlich. Feuer beim Start: LoC. Triebwerksexplosion: LoC. Probleme bei der Stufentrennung: LoC. Probleme mit dem Hitzeschild beim Wiedereintritt: LoC. Probleme beim Ausfahren der Landebeine: LoC. Es gibt so vieles, was schiefgehen könnte, aber keinerlei Ausstiegsmöglichkeit.

Das Starship soll nach Musks Plänen sogar regelmäßig wie ein Airliner zwischen den Kontinenten der Erde verkehren. Auf diese Weise will er jeden Punkt der Erde in weniger als einer Stunde erreichbar machen und damit Geld für seine Marsmissionen und den Bau zahlreicher Starships und Super Heavys verdienen. Abgesehen davon, dass der Flug einer Achterbahnfahrt gleichen würde, die den Durchschnitts-Geschäftsmann oder -Urlauber nachhaltig davon abschrecken könnten, ein paar Flugstunden einzusparen – es würde ein verdammt gefährliches Transportmittel sein.

Es ist bewundernswert, dass SpaceX es geschafft hat, die erste Stufe der Falcon-9-Rakete regelmäßig wieder auf heil auf dem Erdboden und sogar auf schwimmenden Plattformen zu landen, was Experten vorher für unmöglich oder wenigstens unwirtschaftlich gehalten hatten. Aber manchmal geht es immer noch schief. Vom letzten Modell der ersten Stufe (Block 5) schlugen 5 von 56 geplanten Landungen fehl, eine Loss-of-Vehicle-Rate (LoV) von 1:11.

Zwar ist die Falcon 9 in erster Linie eine Frachtrakete und die Wiederverwendung der unbemannten ersten Stufe ein untergeordnetes Ziel. Aber es ist fraglich, ob es gelingen kann, auf der Basis vergleichbarer Technik eine um den Faktor 30 oder mehr erhöhte Sicherheit zu erreichen, um in die Gegend von einer LoC-Rate von 1:300 zu kommen, einem Wert der für die Raumfahrt akzeptabel, aber für zivilen Flugverkehr immer noch um Größenordnungen zu hoch wäre. Zumal das viel schwerere Starship mit seinem Belly-Flop-Manöver einem viel komplexeren Abstiegsprofil als die erste Stufe der Falcon 9 folgt.

Ich mag nicht so recht einsehen, dass dies möglich sein soll. Sobald aber das erste Starship mit mehreren hundert Passagieren bei der Landung zerschellt, dürfte es ihm ergehen wie den Zeppelinen nach dem Unfall von Lakehurst.

Das Starship hat voraussichtlich das Zeug, die Raumfahrt zu revolutionieren, so wie es die Falcon 9 bereits getan hat. Es wird große Nutzlasten zu einem möglicherweise hundertfach verringerten Kilopreis in den Orbit bringen und ein großartiges Frachtschiff werden. Vielleicht erreichen damit tatsächlich in den nächsten 10 Jahren die ersten Menschen den Mars. Dafür werden sich zweifellos genug wagemutige Passagiere finden. Aber dass Starships in den Linienbetrieb zwischen Kontinenten gehen, dafür dürften sich weder genug zahlende Passagiere begeistern, noch wird das derzeitige Design, das über keinerlei Rettungskonzept verfügt, eine für den Linienbetrieb geforderte Sicherheit ermöglichen. Hier dürfte sich Elon Musk in grandioser Selbstüberschätzung verzockt haben.

Quellen:

(mho)