Geheimdienst: Bundestag legalisiert BND-Massenüberwachung erneut

Der BND darf künftig global bis zu 30 Prozent aller Netze bespitzeln, heimlich Online-Durchsuchungen durchführen und eng mit der NSA kooperieren.

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Aufschrift "Bundesnachrichtendienst" an Gebäude

(Bild: nitpicker/Shutterstock.com)

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Der Bundesnachrichtendienst (BND) erhält breite Befugnis zum Hacken ausländischer Vermittlungsanlagen, Telekommunikationsinfrastruktur und der IT-Systeme von Internet-Providern. Dies hat der Bundestag am Donnerstag im Rahmen der Reform des BND-Gesetzes beschlossen. Für die Initiative stimmten die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD, die Opposition war geschlossen dagegen.

Das Parlament verfolgt mit der Novelle das Ziel, Überwachungspraktiken des Auslandsgeheimdienstes zu legalisieren und neue Kompetenzen draufzupacken. Der BND kann künftig so auch offiziell in Computer und Handys von Ausländern im Ausland mit technischen Mitteln wie dem Bundestrojaner eindringen und heimliche Online-Durchsuchungen durchführen. Daten, die bei solchen Eingriffen erhoben wurden, müssen spätestens alle fünf Jahre auf Erforderlichkeit geprüft werden.

Anlass für die Reform ist das Urteil des Bundesverfassungsgericht zur verdachtsunabhängigen BND-Massenüberwachung in Form strategischer Fernmeldeaufklärung. Die Karlsruher Richter erklärten damit den dafür vom Auslandsgeheimdienst verwendeten Datenstaubsauger für verfassungswidrig.

Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen halten dieses Werkzeug und Datenerhebungen aus IT-Systemen in anderen Ländern aber prinzipiell für unverzichtbar. Nach wie vor soll dort abgezogene Netzkommunikation anhand von Selektoren durchsucht werden dürfen. Verwertbare Ergebnisse erbrachte das Fischen in den Datenmengen mithilfe tausender eingesetzter Suchbegriffe 2018 nicht.

Maximal darf der BND fortan bis zu 30 Prozent aller Netze weltweit durchrastern. Bisher lag das Limit bei 20 Prozent für "einzelne" Netze. Schon hier hatten Provider Foul gerufen, da sie ihre Leitungen nicht voll auslasten und die Agenten so letztlich bei einem größeren Datenvolumen landeten.

Da der Datenstaubsauger nicht trivial zu steuern ist, soll der BND dafür die Hilfe befreundeter Geheimdienste wie der NSA oder des britischen GCHQ in Anspruch nehmen können. Er "darf ausländische öffentliche Stellen zur Durchführung strategischer Aufklärungsmaßnahmen ersuchen". Dies sei unproblematisch, da die eingesetzten Selektoren die gleichen Voraussetzungen erfüllen müssten wie beim BND. Persönliche Daten von Bürgern und Einrichtungen der EU sowie von öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten dürfen so etwa nicht "gezielt" erhoben werden. Es gelten erhöhte Anforderungen.

Die ausländischen Spione sollen die übergebenen Selektoren auch "für eigene Zwecke" nutzen dürfen, wenn der BND zugestimmt hat und dies grundsätzlich zulässig ist. Trotzdem verweist der Bundestag auf das Ziel, den "sogenannten Ringtausch" beim Datensammeln zwischen Geheimdienstpartnern auszuschließen. Beobachter gehen davon aus, dass die hiesigen Agenten mit diesen Klauseln die Bedienung des umstrittenen NSA-Werkzeugs XKeyscore outsourcen und das riesige Datenzentrum des US-Geheimdienstes in Utah mitnutzen dürften.

Das Parlament weitet zudem die Gefahrenbereiche deutlich aus, in denen der BND den Datenstaubsauger anwerfen darf. Bisher beschränkte sich die Kompetenz auf die Sektoren internationaler Terrorismus, Weitergabe von Atomwaffen-Material, illegales Schleusen und "Cyber". Künftig kommen etwa "krisenhafte Entwicklungen im Ausland", internationaler Extremismus, Geldwäsche, der Schutz kritischer Infrastrukturen, die Proliferation von Technologien und "Datenverarbeitungsprogrammen von erheblicher Bedeutung" sowie "Fälle des Diebstahls geistigen Eigentums" dazu.

Für Daten aus einer Vertraulichkeitsbeziehung etwa zu Geistlichen, Verteidigern, Rechtsanwälten und Journalisten gelten höhere Auflagen. Der Bundestag hat hier gegenüber dem Regierungsentwurf klargestellt, dass generell alle "frei und unabhängig" berichtenden Medienvertreter sowie auch regierungskritische Blogger in Staaten geschützt sein sollen, "in denen die Pressefreiheit sehr stark bedroht ist". Zudem hat der BND eine Entscheidung über die Zugehörigkeit einer Person zum Kreis der Berufsgeheimnisträger zu dokumentieren.

Maßnahmen zur individuellen und zur massenhaften Überwachung müssen von der BND-Spitze genehmigt und schon im Vollzug dieser Anordnung von einem neuen "unabhängigen Kontrollrat" geprüft werden. Dieses Organ wird dem Entwurf nach die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) sowie der G10-Kommission ergänzen. Es soll etwa Selektoren einsehen dürfen, um einen zweiten GAU wie nach dem ungeprüften Einsatz von NSA-Suchbegriffen zu verhindern.

Der Rat werde eine "gerichtsähnliche Rechtskontrolle" übernehmen, erklärt der Bundestag. Die beiden Spruchkammern dürfen nur mit Richtern des Bundesgerichtshofs beziehungsweise des Bundesverwaltungsgerichts besetzt werden. Insgesamt sollen bei der Aufsichtsbehörde 62 Mitarbeiter dem BND auf die Finger sehen. Die Abgeordneten unterstreichen in einem neuen Paragrafen, dass das PKGr die zentrale Rolle bei der Geheimdienstkontrolle einnehme. Whistleblower, die sich an das Gremium wenden, können nach außen anonym bleiben.

(ds)