Digitaler Impfnachweis: EU-Abgeordnete warnen vor Riesenstaus

Bei einer ersten Aussprache über den Plan der EU-Kommission für ein "digitales grünes Zertifikat" im EU-Parlament blieben viele Fragen offen.

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Person mit Reisepass und digitalem Impfnachweis in einer Smartphone-App wartet auf dem Flughafen.

(Bild: Shutterstock.com/ronstik)

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Die Praktikabilität und Effizienz des geplanten digitalen Nachweises für Impfungen gegen Covid-19, Testergebnisse und überstandene Infektionen mit Sars-Cov-2 in Europa leuchten vielen EU-Abgeordneten noch nicht ganz ein. Mitglieder des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU-Parlaments überzogen Justizkommissar Didier Reynders und den Europäischen Datenschutzbeauftragten Wojciech Wiewiórowski am Dienstag bei einer ersten Aussprache über den Verordnungsentwurf mit so vielen Fragen, dass sie den Zeitrahmen der Sitzung sprengten und trotzdem nicht viele Antworten bekamen.

Jeroen Lenaers von der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) begrüßte zwar den Ansatz der Kommission, die Reisefreiheit zum Sommer hin wieder zu erleichtern. Die Bürger sollten damit leicht zeigen können, dass sie die erforderlichen Bedingungen erfüllen. Das vorgesehene "digitale grüne Zertifikat" müsse aber neue wissenschaftliche Erkenntnisse etwa zu Antikörpern widerspiegeln und international interoperabel sein. Zudem dürfe die Kommission nicht darauf warten, bis die Weltgesundheitsorganisation WHO das Ende der Corona-Pandemie erkläre, um die volle Freizügigkeit wiederherzustellen. Unklar war dem Niederländer auch, wie der Nachweis hinreichend vor Fälschungen geschützt werden sollte.

Die Sozialdemokratin Birgit Sippel wollte wissen, ob die Mitgliedsstaaten das Zertifikat nicht doch für andere Zwecke nutzen und prüfende Behörden Profile über die Nutzer anlegen könnten. Der Ministerrat mache bereits Druck auf "mehr Flexibilität" rund um den Einsatz des Instruments. Was mit den erhobenen Daten nach der Pandemie erfolge, gehe auch nicht eindeutig aus dem Entwurf hervor.

Werde es wirklich so sein, dass Bürger an der Grenze durchgelassen würden, auch wenn sie kein Zertifikat hätten? Diese Frage beschäftigte die Liberale Sophie in ’t Veld genauso wie die Interoperabilität des Werkzeugs mit nationalen Systemen, auf deren Basis Interessierte wieder in Museen, Restaurants oder auf Konzerte gehen könnten. Die Vertreterin der Renew-Fraktion forderte von der Kommission einen Vorschlag für einfach handhabbare und kostenlose Tests. Wie beim Roaming müssten dabei Preisobergrenzen der Anbieter festgelegt werden. Zudem sei ihr schleierhaft, wie alle Verkehrspunkte mit Lesegeräten ausgestattet werden sollten.

Für die Grünen signalisierte Tineke Strik, die Initiative prinzipiell zu unterstützen. Der Datenschutz und das Prinzip der Nicht-Diskriminierung müssten aber noch gestärkt werden. Für die Konservativen und Reformer unterstrich Nicola Procaccini, dass die EU-Länder nicht weitere Maßnahmen wie Zusatztests und Quarantäne fordern dürften.

Die Linke Cornelia Ernst empfand es als irritierend, von einem digitalem Zertifikat zu sprechen, wenn auch analoge Nachweise gelten sollten. Unverständlich sei, warum das Instrument an den Schengen-Raum geknüpft werde, wenn es doch ohne Grenzkontrollen auskommen solle. Angesichts allein 12 Millionen täglicher Pendler zwischen Mitgliedsstaaten und vielen Lkw-Fahrern befürchtet sie "Riesenstaus wie im Suez-Kanal", da Grenzübertritte ja irgendwie überprüft werden müssten. Die Deutsche sorgt sich ferner, dass etwa Personen durchs Raster fielen, die Covid-19 schon gehabt, aber keine Antikörper hätten.

Justizkommissar Reynders hielt dagegen, dass keine neuen nationalen Grenzkontrollen kommen sollten. Das kostenlose Zertifikat bette zusätzliche Faktoren, aber weniger Daten ein als ein Impfausweis. Es werde etwa am Flughafen helfen, "lange Diskussionen am Gate zu vermeiden". Für alle EU-Bürger sollten damit die gleichen Bedingungen rund um die Freizügigkeit gelten, sobald die Mitgliedsstaaten den Lockdown lockerten. Für andere Nutzungszwecke als die Reisefreiheit bräuchten die Staaten ein eigenes Gesetz, das im vollen Einklang mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) stehen müsste.

Reynders warnte davor, ein separates nationales System aufzubauen, da dies nur zu Fragmentierung und zusätzlichen Hürden für die Bürger führen würde. Es sollte auch ohne Impfung und Zertifikat möglich sein zu reisen.

Die Technik werde zusammen mit dem E-Health-Netzwerk der Mitgliedsstaaten entwickelt. Im Kern komme eine digitale Signatur zum Einsatz, die aus einem privaten Schlüssel einer Behörde beziehungsweise des Ausstellers und einem öffentlichen bestehe. Letzterer könne zur Verifizierung der Authentizität des Zertifikats von vielen Stellen genutzt werden. Sonst gehe nur darum, einen QR-Code auszulesen und die elektronische Unterschrift dabei zu prüfen. Falls erforderlich, solle dafür noch eine spezielle Software entwickelt werden.

Der Datenschutzbeauftragte Wiewiórowski, der in einer Stellungnahme bereits die Gefahr einer möglichen Diskriminierung herausgearbeitet hatte, will das Zertifikat vor allem nicht als Immunitätsausweis verstanden wissen. Dazu gebe es noch keine belegbaren empirischen Befunde. Selbst wenn das System aus Datenschutzgesichtspunkten tragfähig wäre, dürfe die Politik damit kein falsches Sicherheitsgefühl bei der Bevölkerung schaffen. Im Kampf gegen Corona lasse sich mit dem Werkzeug kaum punkten, aber die Bürger könnten sich damit eher wieder als Europäer fühlen.

Eine Endklausel sei nötig, hob Wiewiórowskir hervor. Es müsse klar kommuniziert werden, dass mit dem Ende der Pandemie kein Zugang mehr zu den Daten bestehe. Dieser Zeitpunkt sei bisher aber nicht absehbar, da das Virus sich hartnäckig halten dürfte.

(axk)