Bundespräsident soll Gesetz zu Web-Sperren stoppen

Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur hat Horst Köhler aufgefordert, das inzwischen auch vom Bundesrat gebilligte Vorhaben zur Errichtung einer flächendeckenden Filterinfrastruktur nicht zu unterzeichnen.

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Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur hat Bundespräsident Horst Köhler in einem offenen Brief (PDF-Datei) aufgefordert, das am Freitag auch vom Bundesrat gebilligte Gesetz zu Web-Sperren im Kampf gegen die Verbreitung kinderpornographischer Inhalte im Internet nicht zu unterzeichnen. "Das Zugangserschwerungsgesetz ist offenkundig nicht verfassungskonform, und zwar sowohl aus formalen wie auch aus inhaltlichen Gründen", warnt der für den AK Zensur tätige Rechtsanwalt Thomas Stadler in dem Gesuch. Es mangele dem Bund schon an der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz in diesem Bereich und das Gesetzgebungsverfahren sei "massiv fehlerbehaftet" gewesen.

Das Vorhaben sei auch nicht geeignet, den erhofften Zweck zu erreichen, schreibt Stadler im Anklang an die Meinung anderer Juristen weiter. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich damit die Anzahl von Zugriffen auf kinderpornographische Inhalte verringere. Für besonders bedenklich hält der Anwalt, dass die Entscheidung über die Aufnahme von Webseiten auf die geheime Filterliste einzelne Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) fällen würden. Der Gesetzgeber überlasse zudem die Entscheidung über die Art der Sperren und damit die Tiefe des Grundrechtseingriffs der Privatwirtschaft, was ebenfalls gegen das Grundgesetz verstoße. Die Initiative müsse so insgesamt als unverhältnismäßig bezeichnet werden.

"Sobald es um solch schreckliche Sachen wie Kinderpornographie geht, lassen sich viele Menschen nur zu leicht von emotionalen Nebelkerzen blenden und sind keiner rationalen Argumentation mehr zugänglich", begründet Alvar Freude vom AK Zensur das Schreiben an den Bundespräsidenten. Auch Parlamentarier seien nicht immun gegen solche Fehlschlüsse. Der Arbeitskreis setze daher "große Hoffnung in unser Staatsoberhaupt". Köhler müsse verhindern, dass eine Infrastruktur aufgebaut werde, "die sich zur Unterdrückung unerwünschter Inhalte aller Art umso besser nutzen lässt".

Bei den Sozialdemokraten mehren sich unterdessen Stimmen, die sich ernüchtert zeigen über den viel beschworenen Dialog mit "der Internet-Gemeinde". Eckhard Fischer, Wirtschaftsreferent der SPD-Bundestagsfraktion, sprach gegenüber heise online von einer "politischen Streitkultur, die neu ist". In der Debatte über das Sperrgesetz hätten sich "Spannungsfelder" eröffnet, "die nicht zu lösen sind und die wir aushalten müssen". Konkret beklagte sich Fischer über eine regelrechte Kampagne einzelner Nutzer, etwa einen auch unter dem Pseudonym "Turbo Tux" bekannten Aktivisten, gegen die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion, Ute Berg. Schon seit Monaten diffamiere der User die Politikerin teils öffentlich als "Verräterin" und "Zicke". Die Partei habe dies mehr oder weniger ignoriert, da sich "Turbo Tux" mit diesem Stil "selbst disqualifiziert". In der Union würden die Verleumdungen aber als Bestätigung für die These gesehen, dass es im Netz "rechtsfreie Räume" gebe und die Politik auf eine verstärkte Regulierung von Online-Foren setzen müsse.

Empört reagierte Fischer daher in einem heise online vorliegenden Schreiben auf die Ankündigung von "Turbo Tux", die geplanten Web-Sperren durch die Wahl eines offenen DNS-Servers zu umgehen. "Mit der neuen gesetzlichen Regelung bekämpfen wir nicht nur die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte im Internet, sondern schützen zugleich Internetnutzer, sichern rechtsstaatliche Grundsätze und ermöglichen ein transparentes Verfahren", schrieb der Referent zurück. "Sie hingegen haben für sich die technischen Voraussetzungen geschaffen, damit sie sich weiterhin unbeschränkt, wenn Sie denn die Absicht hätten, die Vergewaltigung von Kindern betrachten können und dies auch im Bekanntenkreis weiter empfohlen. Die Kinderschänder in dieser Welt werden es Ihnen danken." Pädophile, die ihre Neigung bekämpften, würden dagegen der SPD danken, "da sie nun nicht mehr Gefahr laufen, versehentlich auf entsprechende Seiten zu stoßen".

Frau Berg selbst hätte dem Nutzer nicht in diesem Ton geantwortet, räumte Fischer im Nachhinein ein. Er habe das Schreiben aber mit der Fraktion abgesprochen und um eine persönliche Note ergänzt. Generell könne er verstehen, dass Surfer mit der Wahl eines offenen DNS-Servers "ein Zeichen" setzen wollten gegen die auch von der SPD abgelehnte Netzzensur. Wer zu solchen Maßnahmen greife, müsse sich aber auch fragen, "wer ihm Beifall spendet". Durch das "massenhafte" Umgehen der geplanten Stopp-Seiten könnten sich Päderasten besser in der Menge verstecken und eine Strafverfolgung vermeiden.

In Australien haben derweil just Kinderschutzgruppierungen den Vorstoß der dortigen Regierung zum netzseitigen Filtern und Blockieren krimineller und anstößiger Inhalte scharf kritisiert. In einer gemeinsamen Erklärung betonen die Vereinigungen GetUp, Save the Children Australia und das National Children¹s & Youth Law Centre laut australischen Medienberichten, dass mit dem Vorhaben rund 33 Millionen US-Dollar effektiveren Ansätzen zur Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet entzogen würden. Anders als hierzulande soll in Australien von Anfang an auch der Zugang zu Webseiten mit Darstellungen sexueller Gewalt, Anleitungen zu Verbrechen, Gewalttaten und Drogengebrauch sowie der Aufruf zu Terrorismus erschwert werden.

Siehe dazu auch:

(Stefan Krempl) / (jk)