Stellwerke: Alle reden über die Digitalisierung – die Bahn lieber nicht

Das "Schnellläuferprogramm", mit dem die Deutsche Bahn mit dem Bund und der Industrie herkömmliche Stellwerkstechnik digitalisieren will, kommt ins Stocken.

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(Bild: Markus Mainka/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Der Plan des Bundes, der Deutschen Bahn (DB) und der Wirtschaft, gemeinsam bei der Digitalisierung des Bahnnetzes Tempo zu machen, läuft nicht rund. Dieses Jahr können zunächst nur sieben Regionalstrecken mit digitaler Stellwerkstechnik ausgerüstet werden. Vorgesehen waren mit Stand November 2020 eigentlich 13 einschlägige Pilotprojekte.

Im September hatte die DB gemeinsam mit dem Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) und dem Eisenbahn-Bundesamt, das dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) unterstellt ist, eine Übereinkunft zur zügigeren Digitalisierung der herkömmlichen Stellwerks- und Bahnübergangstechnik getroffen. Die komplette Umrüstung soll demnach über ein "Schnellläuferprogramm" bis 2035 erfolgen – fünf Jahre früher als geplant.

100 Millionen Euro waren dafür bereits 2020 eingesetzt worden, 400 Millionen sollen dieses Jahr fließen. Das Geld kommt aus dem Corona-Konjunkturpaket des Bundes.

Dass sich nun zunächst nur rund die Hälfte der vorgesehenen Vorzeigeprojekte realisieren lässt, erklärt das BMVI in einem heise online vorliegenden Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags mit deutlich gestiegenen Kosten der Auftragnehmer. Die Angebote der Industriepartner hätten spürbar über den von der Bahn kalkulierten "Indikationspreisen" gelegen. Der Konzern habe aufgrund des fixen Finanzrahmens von 500 Millionen Euro daher nicht alle Umbauvorhaben für 2021 ordern können.

Mit einer raschen Trendwende rechnet das Haus von Minister Andreas Scheuer (CSU) nicht. Weiterhin bestehe "aktuell eine sehr ungünstige Marktsituation" in den nicht schon durch Modulverträge abgedeckten Sparten, ist dem Bericht zu entnehmen. Dies liege vor allem am personalaufwändigen Kabeltiefbau, der "in besonders hoher Menge beim Ersatz von alten, zum Teil mechanischen Stellwerken" anstehe. Das Ministerium geht davon aus, "dass die Firmen die sehr kurze Realisierungszeit", das neue Verfahrensmodell "sowie eine gewisse Unsicherheit" über verfügbare Arbeitskräfte "durch die Corona-Situation am Ende eingepreist haben". Die Ressourcenknappheit macht sich auch beim Glasfaserausbau bemerkbar.

Die sieben für dieses Jahr eingeplanten Projekte beziehen sich auf Regionalstrecken "mit geringer Komplexität" in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Die neue Technik sollt dort bestehende Anlagen "diverser Bauarten" ablösen. Laut europäischen Ausschreibungsunterlagen gingen die Aufträge an die Generalunternehmer Alstom, Hitachi, InoSig, Pintsch, Scheidt & Bachmann, Siemens sowie Thales. Die jeweiligen Signalbaufirmen sind für die gesamte Projektplanung verantwortlich.

Digitalisierung des Schienennetzes (2 Bilder)

(Bild: Deutsche Bahn)

Dem Bericht zufolge sind für drei Projekte inzwischen sieben von acht anberaumten Auftaktveranstaltungen abgehalten worden. Ziel sei es, "die Firmen mit den Prozessen und Verfahrensschritten vertraut zu machen" und offene Fragen zu beantworten. Dies erhöhe zwar die Anfangskosten zusätzlich, führe aber "im Ergebnis zu mehr Wettbewerb und Anbietern für den späteren, großflächigen Rollout der digitalen Signaltechnik".

Die Erfahrungen aus dem Pilotbetrieb will das BMVI nutzen, "um bei der weiteren Realisierung von digitalen Stellwerken die Kosten und Bauzeiten noch stärker zu reduzieren". Der Erkenntnisgewinn dürfte angesichts der Halbierung der ersten Runde nun deutlich geringer ausfallen als ursprünglich erhofft.

Stellwerke mit herkömmlicher Technik führten 2019 zu 14.459 und 2018 zu 14.285 Störungen bei der DB. Diese sollen mehr oder weniger gravierende Auswirkungen auf den Zugverkehr wie Verspätungen gehabt haben. Die angestrebte rasche Digitalisierung sieht die Bahn daher auch als "Beitrag zur Verkehrswende und zum Klimaschutz". Mit der Umstellung könnten "auf selber Strecke mehr Züge eingesetzt werden".

"Kürzere Fahrzeiten, kürzere Wartezeiten, präzise Kundeninformation", verspricht sich die DB von dem Programm. "Intelligente Gleise geben Alarm, bevor sie kaputtgehen: Ausfälle werden vermieden, der Zugverkehr läuft wie geplant weiter." Digitale Stellwerke bildeten zudem die Grundlage für die Ausrüstung des Netzes mit dem europaweit einheitlichen Zugbeeinflussungssystem European Train Control System (ETCS).

Zu den mittelfristigen Auswirkungen der Verzögerungen will sich die Bahn noch nicht äußern. "Wir sind mitten in der Rollout-Planung", erklärte eine Konzernsprecherin gegenüber der Süddeutschen Zeitung. "Über Zeit- und Kostenpläne zu spekulieren wäre verfrüht." Auch die Bahn habe aber überraschend hohe Finanzforderungen der Auftragnehmer im Verhältnis zu vergleichbaren "Ausschreibungen der Vergangenheit" erwähnt. DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla behauptete trotz des Rückschlags im März: "Wir sind mit der Digitalen Schiene Deutschland jetzt im Turbogang unterwegs."

Für den linken Haushaltspolitiker Victor Perli steht dagegen fest: "Das ohnehin überschaubare 'Schnellläuferprogramm' lahmt gewaltig." Es habe zudem ein Gschmäckle, dass drei der sieben verbliebenen Bauinitiativen in Scheuers Heimat Bayern lägen und der Freistaat so am meisten davon profitiere. Wieder einmal bedeute dies, dass der Minister mit der Bahn einfach nicht vorankomme, "egal ob es um Digitalisierung, Elektrifizierung oder Streckenausbau geht". Der Haushaltsausschuss will sich am Mittwoch als Tagesordnungspunkt 17 mit dem Bericht auseinandersetzen.

(tiw)