Jenseits des Kästchen-Denkens: Wie der Staat digitaler werden kann

Die Pandemie legt aus Sicht von Kritikern digitales Staatsversagen schonungslos offen. Wo sind konkrete Schwachstellen – und wo kann angesetzt werden?

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(Bild: Stokkete/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Basil Wegener
  • dpa
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Umständliche Corona-Nachverfolgung, wenig Vernetzung, Formularwust – der Stand der Digitalisierung bei den Behörden in Deutschland ist in der Kritik. Der deutsche Staat hinkt anderen Ländern und der Wirtschaft scheinbar meilenweit hinterher. Offizielle Regierungsberater urteilten im Auftrag von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im April, die Schwächen hätten eine wirksame Antwort der Politik in der Pandemie „massiv behindert“.

Druck macht nun der Beamtenbund dbb. Auch der Letzte sollte in der Corona-Krise gesehen haben: „Wir brauchen einen Staat, der gegen globale Krisen gewappnet ist, die mit voller Wucht auch auf die Menschen in Deutschland durchschlagen“, sagte dbb-Chef Ulrich Silberbach der Deutschen Presse-Agentur.

Es gibt ganz konkrete Schwachstellen, einige Verbesserungen sind auf dem Weg – aber oft wirken seit Langem eingespielte Abläufe wie Sand im Getriebe. FDP-Fraktionsvize Frank Sitta forderte am Sonntag „eine Digitaloffensive für den Staat“. Silberbach sagte, der Kompetenzwirrwarr zwischen Bund, Ländern und verschiedenen Behörden behindere die Digitalisierung. Der dbb will an diesem Montag mit einer Online-Veranstaltung Druck machen.

Die Zeit der Kontaktverfolgung per Fax scheint in den Gesundheitsämtern laut dbb vorbeizugehen – wegen einer Software namens Sormas. Anfang Februar hatten 151 der 376 Gesundheitsämter die Corona-Software genutzt, mit der Kontakte von Corona-Infizierten effizienter nachverfolgt werden sollen. Die Verantwortung für die Ausstattung der Gesundheitsämter liegt laut Gesundheitsministerium bei den Ländern und Ämtern selbst. Silberbach sagte, der dbb habe mit Mitarbeitern von Gesundheitsämtern gesprochen, um herauszufinden, wie Sormas in der Praxis funktioniert.

„Das Ergebnis ist ernüchternd.“ Wenn ein Mitarbeiter eine digitale Datenakte anlege, müsse er an 16 verschiedenen Stellen den Namen einer infizierten Person eingeben. „Das hat nichts mit smarter Digitalisierung zu tun.“

Datenschutz sei wichtig, sagte Silberbach. „Aber bei den entscheidenden Daten im Kampf gegen das Coronavirus übertreiben wir es in Deutschland derzeit damit“, meinte er. Die Gesundheitsgefahren seien größer als die Risiken einer automatischen Weitergabe zentraler Infos: Wurde jemand positiv getestet? Wo war sie oder er seither?

„Millionen Menschen lassen es rund um die Uhr ohne Bedenken zu, dass die Google-Dienste etwa bei der Standortermittlung diese Daten absaugen.“ Aber bei der Corona-Warn-App gebe es keine Lokalisierung der Nutzer. „Wenn die Menschen nicht selbst eingeben, wenn sie positiv getestet wurden, bringt sie nicht mehr als ein Briefbeschwerer.“

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Silberbach wies auf eine weitere „ganz große Schwachstelle“ für Bürgerinnen und Bürger sowie die Verwaltung hin. „Es gibt keine standardisierte Möglichkeit für die unterschiedlichen Behörden, sich schnell zu vernetzen und die nötigen Stammdaten auszutauschen, wenn jemand zum Beispiel einen Antrag auf Elterngeld oder andere Leistungen stellt“, sagte er. „Hierfür wäre es nötig, den Bürgerinnen und Bürgern eine ID-Kennung zuzuweisen, diese in den Datensätzen bei allen Behörden hinzuzufügen und den unterschiedlichen Dienststellen dann in vorher festgelegten und transparent nachvollziehbaren Fällen zu erlauben, diese Daten zu benutzen.“

Das solle nun zwar mit der Steuer-Identifikationsnummer auch passieren. Der Bundesrat hatte Anfang März ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Silberbach meinte aber, es komme reichlich spät.

„Dazu kommt, dass wir in Deutschland digitale Tools meist erst einsetzen, wenn sie zu 110 Prozent geprüft sind“, stellte Silberbach fest. „In der Zwischenzeit kommen von allen möglichen Seiten Wünsche, was das Instrument unbedingt noch können muss oder keinesfalls darf.“ Bis es dann wirklich starte, sei es meist technisch schon veraltet oder so überfrachtet, dass es gar nicht richtig funktioniere. „Estland und Dänemark starten dagegen, wenn das IT-Projekt zu 60 bis 70 Prozent fertig ist, und der Rest ist learning by doing.“ Da klappe das bestens.

„Ein Rohrkrepierer ist der digitale Personalausweis“, meinte Silberbach. Viele bräuchten immer noch ein Kartenlesegerät, um ihn digital zu nutzen. Niemand laufe heutzutage noch mit so einem Gerät herum. Nicht bei allen Smartphones funktioniere es ohne. Nach einer Studie vom Oktober spielt der ePerso zehn Jahre nach seiner Einführung im Alltag der meisten keine Rolle: Sechs Prozent haben laut der Umfrage die Online-Ausweisfunktion bereits genutzt.

„Organisationsversagen im staatlichen Bereich“ – so lautete das harsche Urteil von Altmaiers Regierungsberatern zu Digitalisierung von Verwaltung und Schulen. Oft liege es auch an den Gesetzen. Silberbach meinte: „Bundesregierung und Bundestag tun zu wenig dafür, dass die Gesetze, die sie machen, auch zeitnah umsetzbar sind und die Verwaltung, Bürgerinnen und Bürger nicht frustriert zurücklassen.“ Oft würden komplizierte Regelungen ohne gute digitale Umsetzbarkeit verabschiedet. „Stichwort Novemberhilfe: Auch fünf Monate später ist sie nicht überall ausgezahlt.“

Für Altmaiers Regierungsberater ist klar: „Es bedarf dringend weiterer Investitionen in die digitale Infrastruktur, so vor allem in Schulen, Hochschulen, Gerichten, öffentlicher Verwaltung und im Gesundheitssektor.“ Mit Spannung wird nun erwartet, welche Prioritäten die Parteien im beginnenden Bundestagswahlkampf setzen. Silberbach meinte: „In den vergangenen Jahren war der politische Mainstream, dass der Staat nicht allzu viel kosten darf.“

(tiw)