Kritik an Epidemie-Bekämpfung: Indische Regierung lässt Tweets löschen

Die Regierung in Indien lässt Dutzende Tweets sperren, die die Maßnahmen gegen die Coronavirus-Epidemie kritisch kommentieren. Betroffen sind auch Prominente.

vorlesen Druckansicht 69 Kommentare lesen

(Bild: Koshiro K/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die indische Regierung hat Twitter per Notfall-Weisung aufgefordert, unliebsame kritische Tweets über die Regierungsmaßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie zu löschen. Twitter hat daraufhin Dutzende Tweets zunächst für alle Nutzer in Indien ausgeblendet; mittlerweile sind zahlreiche dieser Tweets gelöscht. Darüber berichtete zuerst die indische Nachrichten-Website Medianama.

Unter den mehr als 50 Tweets, die Twitter aufgrund der Weisung gesperrt hat, sind zahlreiche kritische Äußerungen zu den Maßnahmen der indischen Behörden zur Bekämpfung der Coronavirus-Epidemie in dem Land (oder zum Ausbleiben von Maßnahmen), berichtet Medianama. Die Sperrungen wurden nur bekannt, weil Twitter die Sperraufforderung in der "Lumen"-Datenbank der Universität von Harvard hinterlegte. Dieses Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, Löschverfügungen zu digitalen Inhalten zu veröffentlichen.

Twitter hat die von der Regierung bemängelten Tweets allein aufgrund der Weisung gesperrt. Ein Verstoß gegen geltendes Recht oder die eigenen Hausregeln lag offenkundig nicht vor. Ein großer Teil der zunächst nur in Indien gesperrten Tweets ist inzwischen komplett gelöscht.

Videos by heise

Die Coronavirus-Epidemie in Indien hat in den vergangenen Wochen einen besonders schweren Verlauf genommen. Das Land meldet derzeit absolute Höchststände bei der Zahl der nachweislich Infizierten (über 330.000 Personen vor wenigen Tage) sowie mehrere Tausend Tote täglich. Viele Kliniken sind überlastet und beklagen einen drohenden Mangel an Sauerstoff zur Versorgung der Schwerkranken, die an COVID-19 leiden. Angesichts dieser Lage ist es wenig überraschend, dass in der Öffentlichkeit und damit auch in den sozialen Medien wie Twitter kritische Stimmen laut werden.

Doch offenbar störte sich die indische Regierung an zahlreichen Äußerungen und setzte sie auf die Zensuraufforderung an Twitter. Unter den betroffenen Nutzern befinden sich Politiker, Schauspieler, Filmemacher und ein Landesminister, schreibt Medianama. So twittert etwa der Nutzer "vijaypks51", dass sich die Menschen derzeit "auf die Brust schlagen... und die selbstgenügsame indische Regierung befasst sich mit Wahlkampf?" Und Twitter-Nutzer "revanth_anumula" – hinter dem sich der Parlamentsabgeordnete Revanth Reddy verbirgt – schreibt: "Zu wenig Impfstoff, zu wenige Medikamente, immer mehr Todesfälle... Das Gesundheitssystem bricht zusammen...!"

Twitter hat nach eigenen Angaben die Betroffenen darüber informiert, dass ihre Tweets gesperrt wurden. Außerdem wies das Unternehmen darauf hin, dass Inhalte zu COVID-19 normalerweise nur gelöscht würden, wenn sie gefährliche oder nachweislich falsche Behauptungen enthalten. Nach Aussage von TechCrunch ist Twitter nicht das einzige Social-Media-Unternehmen, das von der Weisung der indischen Regierung betroffen ist. Auch Facebook soll angeblich eine derartige Aufforderung zum Sperren von Inhalten bekommen haben. Facebook äußerte sich jedoch dazu nicht gegenüber TechCrunch – und veröffentlicht Löschaufforderungen auch nicht wie Twitter in der "Lumen"-Datenbank.

Das Zensieren von Tweets durch Regierungsstellen hat in Indien bereits eine lange Geschichte. Im Februar dieses Jahres reagierte die Regierung auf Bauernproteste vor der Hauptstadt mit der Sperrung von Twitterkonten und der Abschaltung des Internets in den betroffenen Distrikten. Da Twitter sich zunächst weigerte, der Forderung nach Kontensperrung nachzukommen, drohte die Regierung einzelnen Twitter-Mitarbeitern im Land sogar mit mehrjährigen Gefängnisstrafen. Anders als im Fall dieser Bauernproteste teilen die nun gesperrten 52 Tweets zur Coronavirus-Pandemie keine Hashtags miteinander.

(tiw)