Kommentar: Warum technische Lösungen allein nicht das Klimaproblem lösen

So erfreulich die Aufbruchsstimmung der Klimapolitik ist, wird sie nicht ohne Nebenwirkungen bleiben. Eine davon ist der Hype um die CO2-Entnahme aus der Luft.

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(Bild: veeterzy / Unsplash)

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Erinnert sich noch jemand an CCS? Das Kürzel steht für Carbon Capture and Storage - eine Technologie, um Kohlendioxid direkt bei der Verbrennung aus dem Abgas zu waschen, das dann später komprimiert und unter der Erde gelagert werden soll. Als unterirdische Speicher hatte die Bundesregierung unter anderem tiefe geologische Formationen in Norddeutschland im Auge. Eine Kampagne von Umweltschützern machte dem jedoch einen Strich durch die Rechnung. Die Landesregierungen in Norddeutschland knickten ein und beschlossen die umstrittene Technologie zu stoppen.

Schon damals orakelte die taz, das könnte womöglich „ein Pyrrhussieg der Ökobewegung“ gewesen sein. „Wer die globale Verantwortung Deutschlands im Klimaschutz und beim Technologie-Transfer ernst nimmt“, schrieb Bernhard Pötter damals in der taz, „muss die Forschung an diesem Notausgang aus der Klimakatastrophe vorantreiben – und weiter Druck auf die Politik ausüben, die Energiewende und den Kohle-Ausstieg fortzusetzen.“

Genau dieses Argument – CO2-Entfernung als Notnagel – kommt jetzt wieder aus der Versenkung. Denn die ehrgeizigen Klimaziele, die zum Beispiel die US-Regierung jüngst formuliert hat, sind nur mit einer massiven Reduktion der CO2-Emissionen zu haben. Ohne tiefgreifende wirtschaftliche Einschnitte, die aber politisch auch nicht gewollt sind, ist das aber nicht zu machen.

Umgekehrt gilt: Was politisch machbar ist, reicht nicht für die Klimaziele. Am Beispiel Großbritanniens und Schwedens rechnete der britische Klimaforscher Kevin Anderson im Mai vergangenen Jahres vor, dass die Emissionen um das Doppelte reduziert werden müssten, damit diese Länder ihre Klimaverpflichtungen einhalten könnten. Die Rechnung dürfte auch auf andere westliche Industriestaaten übertragbar sein.

Ein möglicher Ausweg liegt in so genannten negativen Emissionen. Das bedeutet, Aktivitäten, die den CO2-Gehalt der Atmosphäre senken, statt ihn zu vergrößern. Als eine dieser Maßnahmen ist zum Beispiel die Aufforstung von Wäldern im Gespräch. Allerdings mehren sich mittlerweile die wissenschaftlichen Zweifel daran, ob auf diese Weise tatsächlich so viel CO2 gebunden werden kann, wie ursprünglich erhofft.

Ein Kommentar von Wolfgang Stieler

Nach dem Studium der Physik wechselte Wolfgang Stieler 1998 zum Journalismus. Bis 2005 arbeitete er bei der c't, um dann als Redakteur der Technology Review zu wirken. Dort betreut er ein breites Themenspektrum von Künstlicher Intelligenz und Robotik über Netzpolitik bis zu Fragen der künftigen Energieversorgung.

An dieser Stelle kommt eine Technologie ins Spiel, die mittlerweile als „Direct Air Capture“ (DAC) bezeichnet wird. Dabei geht es im Wesentlichen darum, bereits in der Luft befindliches CO2 aus der Luft zu waschen. Das funktioniert entweder mit flüssigen oder festen Schichten, in denen das CO2 gelöst wird. In einem zweiten Prozess-Schritt, wird das CO2 dann aus dem Fängermedium wieder entfernt, konzentriert, und gegebenenfalls weiter verwendet. Es gibt mehrere Unternehmen die diese Technologie versuchen zur Anwendungsreife weiterzuentwickeln. Das kanadische Unternehmen Carbon Engineering hat bereits 2015 in einer Pilot-Anlage gezeigt, dass es eine Tonne CO2 pro Tag binden kann. Das Schweizer Start Up Climeworks hat in Pilotanlagen gezeigt, das es 900 Tonnen CO2 pro Jahr binden kann.

Zur Zeit errichtet Climeworks in Island eine Demonstrationsanlage, die sogar 4000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft holen kann, das dann unterirdisch gelagert werden soll. Die Anlage mit dem Namen Orca wird geothermisch mit Energie versorgt. Sie soll zeigen, wie gut die Technologie skaliert. Orca soll noch in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen.

Das Island-Projekt illustriert allerdings auch eines der Haupt-Probleme dieser Technologie: Der Prozess benötigt Energie - und zwar, wenn man damit wirklich etwas gegen den Klimawandel tun will, sehr viel Energie. Ryan Hanna von der University of California San Diego und Kollegen haben das mit Hilfe eines Computermodells kürzlich untersucht (Paper in nature communications). Ihr Ergebnis: Der Strom- und Gasverbrauchs der USA könnte um bis zu 50 Prozent steigen. Denn die auf den ersten Blick naheliegende Idee, für DAC erneuerbare Energiequellen zu verwenden, würde „aus Kostengründen“ nicht funktionieren, argumentiert die Studie. Damit die Technologie schnell genug skaliert, müsse sie schon in einem frühen Stadium genügend Investitionsanreize für Inverstoren bieten.

Tatsächlich sind die Kosten ein erhebliches Problem. In einem aktuellen Aufsatz für die Fachzeitschrift Nature Communications schätzt Jonas Meckling von der University of California, Berkeley die Kosten für die Bindung von einer Tonne CO2 auf zwischen 600 und 1000 Dollar. Das zweite Problem ist, dass das so gewonnene CO2 ein Stoff ist, mit dem fast niemand etwas anfangen kann. Eine der wenigen Verwendungsmöglichkeiten für das CO2 besteht darin es in nahezu ausgebeutet Öl- und Gaslage Lagerstätten zu pumpen - aber dazu wird nur einen kleinen Teil des Gases benötigt.

Dennoch sieht Meckling vor allem die internationalen Öl- und Gaskonzerne in der Lage, die Technologie weiterzuentwickeln. Sie hätten sowohl die Mittel als auch das technische Know How dazu, müssten sich allerdings von der Vorstellung verabschieden, auch noch das letzte Bisschen Kohlenwasserstoffe aus der Erde zu holen, und stattdessen die Chancen einer „Technologie der negativen Emissionen“ zu entwickeln. Tatsächlich scheint die Idee bereits dort angekommen zu sein. Der Weltenergierat - eine Organisation der Energieproduzenten - propagiert die Technologie bereits seit einiger Zeit. Und schließlich gibt es auch Geld - die britische Regierung will die Entwicklung von DAC mit fördern.

Die Idee, an dieser Stelle - wieder einmal - Marktmechanismen einzuführen, um ausgerechnet die Öl-Industrie dazu zu bringen, die Welt zu retten, ist meiner Meinung nach allerdings ziemlich abenteuerlich. Sie folgt aber der Logik der gesamten Diskussion: Weil die naheliegenden, einfachen Lösungen - Umstieg auf erneuerbare Energien, Verkehrswende, Abschied vom Dogma des Wachstums - scheinbar nicht durchsetzbar sind, setzt mal lieber auf komplizierte, technische End-of-Pipe-Lösungen. Kurz gesagt: Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht.

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(wst)