4W

Was war. Was wird. Mit einer kleinen Maimusik.

Intertemporale Freiheitssicherung. Hal Faber hat ein neues Wort gelernt - das Selbstverständlichkeiten beschreibt, die niemanden zu interessieren scheinen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 29 Kommentare lesen
Eugene Delacroix: Die Freiheit führt das Volk

Ja, ja, "die Freiheit führt das Volk". Das waren noch Zeiten - damals, als es zwar noch keinen "Kampftag der Arbeiterklasse", aber auch keine Identitären, Verschwörungstheoretiker, Reichsdeutsche oder Corona-Leugner gab, die erstmal meinen, sie seien das Volk. Von Führung träumen sie nur, manche auch vom Führer. Aber auch früher endete so eine Freiheitsführung viel zu oft im Schrecken.

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** "Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst, ein Mädchen kann das nicht," sang Juliane Werding vor Jahren. Nun ist eine andere Zeit, aber was wurde alles über Luisa Neubauer gespöttelt. Nun hat sie mit ihrer Klage, zusammen mit Jugendlichen von der Insel Pellworm, aus Bangladesch und Nepal für ein historisches Urteil in Karlsruhe gesorgt.

Die Insel Pellworm. Beim prognostizierten Anstieg des Meeresspielgs hat sie keine Chancen.

Es wird wahlweise als "Recht auf Zukunft" oder als "Grundrecht auf Klimaschutz" gefeiert, während juristisch von der "intertemporalen Freiheitssicherung" die Rede ist. "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." Das ist schön formuliert und so gab es auch Beifall von allen Seiten, ehe der dicke Bundesnotbremser auf den Plan trat. War es nicht die CDU/CSU, die bei der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes laufend bremste und die jährlichen Reduktionsziele als "Planwirtschaft" disqualifizierte? Und hat das Verfassungsgericht so ungewöhnlich geurteilt, wenn es heißt: "Dass knappe Güter halbwegs gerecht, jedenfalls in einem fairen Verfahren verteilt werden, ist rechtsstaatlicher Alltag. Das gilt für Studienplätze, aktuell für Impfdosen und für vieles mehr."

*** Waren es nicht CDU/CSU und FDP, die das Verbot des Berliner Mietendeckels bejubelten? Jetzt hat das Team Laschet/Merz/Altmaier die Wahlkampfthemen bekommen, die es partout nicht haben wollte. Dazu tritt mit Hans-Georg Maaßen in Thüringen einer für den Bundestag an, der zarte Bande mit der AfD knüpfen kann, alles, um diese "Sozialisten" von der Regierung fernzuhalten. Rückwärtsgewandt und markige Sprüche nicht scheuend, will er den wahren schwarzen Kern verkörpern. "In den 1970er und 1980er Jahren gab es Maaßens in der Union an jeder Ecke", schreibt die verlinkte Zeitung. Ja, damals, als Rudi Carell vom traumhaften Sommer sang und sich einen nassen Hintern holte."Heute sind die Braunen nur noch Weiße", tralala. Wobei man auch von dieser Geschichte etwas lernen kann: Es gibt so etwas wie den aufrechten Gang, auch in der CDU. Vielleicht können die Grünen daraus etwas lernen, wenn sie aus dem Bärtaumel aufwachen.

*** Die Süddeutsche Zeitung macht passend zum 1. Mai mit einer Suchanzeige au. Zum Tag der Arbeit wird die SPD gesucht, die eben noch da war, aber dann unversehens verscholzt ist. Der Autor dieser Suchanzeige trauert, weil mit Personen wie Armin Laschet und Annalena Baerbock "sich der Siegeszug des west- und norddeutschen Kleinbürgertums" aus der "Provinz vollendet. Wo ist da der Arbeiterführer mit der geballten Faust, der Arbeit neu definiert, der neue Formen der Ausbeutung in der Pandemie anprangert? "Corona am Arbeitsplatz, Familie und Beruf, Arbeit und Klima, Sinn der Arbeit, all die vielen Boten und Kuriere ohne faire Bedingungen, dann gibt es die ausbeutenden Machtstrukturen in der Arbeit, wie sie im Zuge von 'Me Too' bekannt wurden. Nahezu alle Themen, die uns plagen oder nur zum Grübeln bringen, sind mit der Beschaffenheit der spät- und digitalkapitalistischen Arbeitswelt verbunden." Digitalkapitalistisch, das Wort sollte man sich merken beim Übergang zum Digitalsonstwasmitmus. Und dann ist da noch die Losung Nr. 32 für den 1. Mai "Verteidigt die Einheit der deutschen Kultur gegen die amerikanische Kulturbarbarei!" Das machen wir glatt!

*** Apropos Anzeigen: Manchmal wiederholt sich die Geschichte und dann überlegen alle, ob es eine Farce oder gar eine Tragödie war. Manchmal ist es einfach nur Absicht. Erinnert sei an die entfernte Zeit von 2017, als die Zentralstelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITIS) gegründet wurde und Informatiker suchte, worüber auch schon gelästert wurde. "Wir suchen Q, nicht 007. Du verbindest die Kreativität eines Q, die James Bond erst erfolgreich macht, mit grundsätzlichem Verständnis für öffentliche Institutionen?" So flappsig wird heute nicht mehr gesucht, man ist inzwischen eine seriöse Behörde und wirbt mit gemütlichen Sesseln im Bilde und mit der Auszeichnung, dass ZITIS und nicht etwa das Bundeskanzlerinnenamt von Eltern als das familienfreundlichste Unternehmen bewertet wurde. Dafür machen andere weiter und zwar richtig gekonnt. Der britische Geheimdienst MI6 schaltete eine Anzeige, um den "Director General Q" zu suchen, verhedderte sich aber grandios in der Job-Beschreibung als Agentur, die in der Lage ist, den britischen Interessen zu schaden. Prompt mussten Kommas her, denn natürlich geht für Q und seinen Chef C darum, die härtesten Feinde Großbritanniens zu bekämpfen: "As Q you are responsible for the teams who create and adopt technologies to enable our mission against the UK's hardest adversaries. You turn disruptive technologies from threats to our operations into opportunities, putting MI6 at the leading edge of digital innovation." In jedem Fall muss Q ein findiger Mensch sein, denn es geht nicht mehr gegen die Großschurken wie Goldfinger. MI6 schaut anderen Staaten beim Kampf um das Weltklima auf die Finger.

*** Zu den tristen Jubiläen zählt die Atomkatastrophe von Tschernobyl, an die in dieser Woche einige Artikel erinnerten. Als die radioaktive Wolke über Deutschland hinwegzog, gab es öffentliche Konzerte wie der Rhein in Flammen, wo auf mehreren Bühnen der Bär tobte, ehe der große Regen kam. Ok, der Nr.1-Hit mit Samantha Fox wird es nicht gewesen sein, vor 35 Jahren war in Westdeutschland im April eher die Midnight Lady angesagt. Obwohl die Gefahr bekannt war, wurde das Spektakel in und um Bonn herum nicht abgebrochen. Es gibt verblüffende Parallelen zum Krisenmanagement in der Pandemie, so der Zeitzeuge vom Beueler Extradienst. Die 1986 anlaufende Debatte nach Tschernoby spülte einen alten Dokumentarfilm wieder an die Öffentlichkeit, "Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv" von 1976, gedreht von Nina Gladitz. Nun ist die Agitprop-Filmemacherin , die sich danach mit der Filmregisseurin Leni Riefenstahl beschäftigte, im Alter von 75 Jahren gestorben. Da kann nur ein Hit dran erinnern, in der zeitgenössischen Fassung von Fridays for Future aus Münster.

In den USA hat Präsident Joe Biden nicht nur davor gewarnt, dass das Land sich im internationalen Technologie-Wettbewerb sputen muss, er hat nach 100 Tagen auch eine bemerkenswerte Erfolgsbilanz erzielt. Von wegen schläfriger Joe: Von den 219 Dekreten, die Trump in die Welt gesetzt hat, hat er bereits 62 außer Kraft gesetzt. Nur auf Twitter überzeugte er nicht – 600 Tweets gegen die 26.000 von Trump, da scheint jemand andere Prioritäten zu haben. Währenddessen lebt Trump in einem Hotel und tritt Abend für Abend vor seinen Gästen wie ein abgehalfterter Entertainer in einem Sketch auf, in dem er sichtlich lustlos von einer Wahl erzählt, die er verloren hat. Vielleicht fährt Biden ihn mal besuchen, wenn im Zuge der geplanten Amtrak-Revolution Mar-a-Lago einen Bahnhof bekommt. Better not complain, boy.

In Deutschland gibt es nicht nur die aktuelle Huschebahn, die das Kunststück fertig gebracht hat, im proklamierten Jahrzehnt der Schiene noch keine einzige neue Bahnstrecke zu eröffnen. Historisch belastet ist die Schiene das Transportmittel schlechthin gewesen, als es darum ging, unerwünschtes Leben loszuwerden. Tag für Tag twittert das Auschwitz Memorial mit Bild-Geschichten einzelner Menschen von diesem Verbrechen. Die Erinnerung muss bleiben, was für ein "Vogelschiss" das war. Das gehört auch zu der Aufgabe der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, die sich für die Zukunft freuen darf: Antifaschismus ist wieder gemeinnützig. Mögen die Spenden reichlich fließen in einer Zeit, in der Querdenker Sophie Scholl umstandslos beschlagnahmen.

Und wo wir bei gerade der Gemeinnützigkeit sind: Nicht alle Journalisten leben klassisch von generierten Einnahmen durch Abonnements und Werbung, wie dies bei Heise möglich ist. In der nächsten Woche gibt es im Bundestag einen interessanten Antrag der Akut Verzückten Partei: Der Journalismus, wie ihn Correctiv, Krautreporter, netzpolitik.org betreiben, soll als gemeinnützig anerkannt werden. Wer stimmt dagegen? Lasst sie Hieroglyphen lesen....

Analoge Hieroglyphen. Oder so.

(jk)