Verwaltung: Corona-Krise deckt digitalen Nachholbedarf "schonungslos" auf

Deutschland sei "mütend" – müde und wütend –, was die Krisenbewältigung und den Strukturwandel bei der öffentlichen Hand angehe, meint der Normenkontrollrat.

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(Bild: Stokkete/Shutterstock.com)

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"Deutschland tut sich schwer, die Digitalisierung im öffentlichen Sektor voranzutreiben." Dies kritisiert der Nationale Normenkontrollrat (NKR) in seinem am Mittwoch veröffentlichten "Monitor Digitale Verwaltung". Die diesjährige Ausgabe kommt dabei einer Abrechnung gleich: Schon die sogenannte Flüchtlingskrise habe die Dringlichkeit aufgezeigt, beim E-Government schneller und besser zu werden, schreiben die unabhängigen Berater der Bundesregierung. "Noch schonungsloser" decke die aktuelle Corona-Krise auf, "wieviel Nachholbedarf tatsächlich noch besteht".

"Deutschland ist 'mütend' – müde und wütend", hat das von Ex-Bahnchef Johannes Ludewig geführte Gremium festgestellt. Dies gelte sowohl mit Blick auf die Krisenbewältigung als auch auf die Langsamkeit des Struktur- und Kulturwandels im öffentlichen Sektor: "Das zehrt am Selbstbild und am Vertrauen in Staat und Politik." Deutschland suche nicht nur seinen Impfpass, "sondern auch nach Ansätzen, wie es Abläufe vereinfachen und Entwicklungen beschleunigen kann".

"Deutschland muss einfacher werden", lautet die Kernforderung des NKR. "Von Infektionswelle zu Infektionswelle schwand das Vertrauen, dass Staat und Verwaltung in der Lage sind, schnell, konsequent, nachvollziehbar und pragmatisch zu handeln. Dabei arbeiten viele im öffentlichen Dienst am Limit und bemühen sich redlich, Bürgern und Unternehmen durch die Krise zu helfen." Das Engagement sei da. "Doch müssen wir in aller Demut feststellen, dass das Ergebnis trotz des immensen Ressourceneinsatzes oft hinter den Erwartungen zurückbleibt."

Deutschland sei unzufrieden mit sich selbst, "mit einer mangelnden strategischen Weitsicht, mit komplizierten Abstimmungs- und Entscheidungsstrukturen, mit aufwändigen Lösungen und bürokratischen Abläufen", diagnostizieren die Experten vor allem unter Verweis auf die "fehlende Digitalisierung in Verwaltung, Bildungs- und Gesundheitswesen". Das Selbstbild eines gut organisierten und gut regierten Landes habe sichtbare Risse bekommen. Deutlich geworden sei: "Deutschland ist, denkt und handelt zu kompliziert."

Deutschland stecke in der Pandemiebekämpfung und bei der Verwaltungsdigitalisierung in einer Komplexitätsfalle, heißt es in dem Bericht. Was schmerzt, seien "die komplizierten Abstimmungsmechanismen und aufwändigen Kooperationskonstrukte zwischen Bund, Ländern und Kommunen". Diese Knoten zu lösen, müsse das langfristige Ziel einer Digitalisierungs- und Modernisierungsstrategie sein.

"Vereinheitlichung, Zentralisierung und Konsolidierung können an der richtigen Stelle und der richtigen Dosierung helfen, die Dinge zu vereinfachen", zeichnet der NKR einen Lösungsansatz auf. Dabei dürften "Eigenverantwortung, Einfallsreichtum und Wettbewerb" aber nicht auf der Strecke bleiben. Diesen Zwiespalt zeichnet das Gremium im Bereich der Kontaktnachverfolgung nach: Während der Ruf nach einem einheitlichen und flächendeckenden Einsatz der Software Sormas verständlich sei, "ist es genauso auch der Hinweis, dass viele Gesundheitsämter bereits gut funktionierende Systeme" fürs Contact-Tracing hätten.

Es komme so vor allem auf die "Einheitlichkeit der Schnittstellen und Datenstandards an", unterstreichen die Berater. Dies zeige sich auch bei der Debatte über die Luca-App. Die Politik wünsche sich der Einfachheit halber eine einheitliche Lösung und nehme in Kauf, "dass damit gleichwertigen Lösungen der Marktzugang erschwert" und innovationsfördernder Wettbewerb eingeschränkt werde. Die Alternative bestünde auch hier "in der einheitlichen und verbindlichen Definition von Schnittstellen und Austauschformaten" wie dem Iris-Gateway des Innovationsverbundes Öffentliche Gesundheit. Diese erlaubten Vielfalt, "ohne im Chaos zu versinken".

"Standards sind der Schlüssel zur Komplexitätsreduktion", unterstreicht der NKR. "Sie geben Orientierung und senken Transaktionskosten." Um hier zügig und verbindlich zu punkten, seien schlanke Strukturen nötig. Praktiker müssten konsequent eingebunden werden. Am besten wäre eine Plattform, die "alle Standardisierungsbemühungen bündelt und auf ein industrielles Niveau hebt". Die deutsche Industrienorm DIN könne Vorbild sein: "Denn im Industriebereich ist Deutschland Standardisierungsweltmeister."

In der Politik habe das Problembewusstsein zwar zugenommen, erkennt das Gremium an. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) etwa verpflichte Bund, Länder und Gemeinden, bis Ende 2022 "ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten" und diese "miteinander zu einem Portalverbund zu verknüpfen". Bis 2023 müsse dies für die wichtigsten E-Government-Dienste auf Basis einer EU-Verordnung sogar europaweit geschehen. Zuletzt habe der Bund so zusätzliche drei Milliarden Euro für die Umsetzung des OZG bereitgestellt.

Bisher gilt der Analyse zufolge aber auch hier: "Außer Spesen, noch nicht viel gewesen". Beim OZG wechselten Bund und Länder zwar nun von der Aufwärm- in die Leistungsphase. Dabei werde sich aber auch zeigen müssen, "ob sich der gewählte Ansatz bewährt und wie schnell in der Fläche skaliert werden kann". Der Erfolg des OZG sei bis dahin "weiterhin ungewiss". Die Umsetzung kämpfe auch hier vor allem "mit den eigenen Komplexitätsproblemen".

"Die deutsche Verwaltungsdigitalisierung muss schnellstmöglich in Richtung industrieller Produktionsmuster weiterentwickelt werden", verlangt das NKR. Für eine nachhaltigere OZG-Strategie sei es wichtig, die Transaktionskosten und Koordinierungsaufwände zu senken, die Schnelligkeit von Softwareentwicklungen zu erhöhen, ihre Nachnutzung zu vereinfachen und gleichzeitig Innovationskraft und Wettbewerb aufrechtzuhalten.

"Nutzerfreundlichkeit und Effizienzgewinne lassen sich nur durch ein modernes Datenmanagement erreichen", gibt das Gremium der Politik mit auf den Weg. Die umstrittene Registermodernisierung sei daher in Bedeutung und Dimension mit dem OZG vergleichbar. Hier komme es nun vor allem auf das "Once Only"-Prinzips an. Nutzerdaten und Nachweise sollten mit diesem "mit Zustimmung des Antragstellers durch Registerabfragen ersetzt werden". Jüngst hatte schon ein anderes Beratungsgremium der öffentlichen Hand "archaische" Zustände und "Organisationsversagen" bescheinigt.

(mho)