"Besser als nichts": Wie digitale Lehre das Leben der Studierenden beeinflusst

Frustration, Demotivation, fehlende soziale Kontakte: Die Auswirkungen eines nahezu reinen digitalen Studiums in der Corona-Epidemie setzt Studierenden zu.

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(Bild: insta_photos/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christine Schultze
  • dpa
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Die Kommilitonen sieht man nur noch online, die Mensa bleibt kalt und Partys sind Fehlanzeige – die Corona-Krise macht den Alltag vieler Studierender eher trist. Seit mehr als einem Jahr müssen sie an den hessischen Hochschulen mit dieser neuen Realität zurechtkommen und kämpfen vielfach noch zusätzlich mit finanziellen Sorgen, auch weil Jobs, beispielsweise in Gastronomie oder Handel, coronabedingt weggefallen sind. Auch wenn viele Hochschulen im vergangenen Jahr schnell auf Online-Modus umgestellt haben und die Studierenden so gut wie möglich zu unterstützen versuchen, ist das Frustpotenzial und die Verunsicherung bei manchen groß.

Das erlebt auch Robert Richter in seiner Tätigkeit. An der Hochschule Fulda bietet der Diplom-Pädagoge psychosoziale Beratung für Studierende an. Vor der Pandemie bestimmten Themen wie Prüfungsangst, das Vor-sich-herschieben anstehender Aufgaben oder auch depressive Episoden die Beratungsgespräche, doch mittlerweile hätten sich die Gewichte verschoben, sagt Richter. Die meisten Beratungsanfragen drehten sich um coronabedingte Schwierigkeiten wie Vereinzelung, Isolation und das Lernen unter den erschwerten Bedingungen. "Das ist jetzt tatsächlich in diesem Jahr noch deutlich stärker als im letzten Jahr", sagt Richter.

Besonders betroffen seien diejenigen, die im ersten Lockdown ihr Studium begonnen haben und bisher selten oder nie auf dem Campus waren. "Das ist schwierig, das ist auch traurig und bedauerlich, weil das ja gerade Menschen sind, die jetzt in einer Übergangsphase sind, in eine neue Lebensphase aufbrechen, sich orientieren wollen, für die Orientierung auch Kontakt mit anderen brauchen und das fehlt ganz vielen." Die Folge seien Ermüdung und Frust – sie fühlten sich gerade um den Einstieg in die Studienzeit betrogen, die sie doch eigentlich als eine Art verlängerte Jugend genießen könnten.

In seinen Beratungen sucht Richter mit den Studierenden Wege, verlorene Motivation wiederzufinden und besser in Kontakt mit anderen zu kommen – beispielsweise, indem sie sich mit Kommilitonen online zum Frühstück oder draußen zu Spaziergängen verabreden. Gerade nach dem Online-Lernen benötigten viele eher reale Sozialkontakte statt weiterer privater Video-Chats.

Um den schwierigen Start gerade für die Erstsemester weiß auch Danny Schneider vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Hochschule Fulda – und zwar aus eigener Erfahrung. Ein einziges Mal erst war er selbst vor Ort in der Hochschule – zu einer Einführungsveranstaltung im vergangenen Herbst. Schneider studiert im zweiten Semester interkulturelle Kommunikation und Europapolitik, ein Masterstudiengang, für den er zuvor bereits den Bachelor an der Uni Kassel erworben hatte. Eigentlich wollte Schneider für den neuen Lebensabschnitt nach Fulda ziehen, aber das wäre finanziell für ihn nicht zu stemmen gewesen. Deshalb blieb er in seinem Elternhaus und nimmt vom Kinderzimmer aus online an Vorlesungen und Seminaren teil.

Motivationsprobleme hat Schneider nicht – eher einen prall gefüllten Terminkalender. Neben dem Studium engagiert er sich im AStA als Referent für Marketing und PR und arbeitet noch als Werkstudent beim Kasseler Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik. "Ohne Corona wäre dieses Pensum, das ich mir auferlegt habe, gar nicht schaffbar", sagt er – weil erst mit der Pandemie die digitalen Voraussetzungen dafür geschaffen worden seien, dass sich so viele Aufgaben parallel digital bewältigen lassen. Durch die Corona-Beschränkungen fehle aber der Ausgleich wie regelmäßige Treffen mit Freunden und andere Freizeitaktivitäten.

Über seine AStA-Tätigkeit bekommt Schneider auch mit, welch finanzielle Probleme viele Kommilitonen plagen. Und wie es im kommenden Wintersemester weitergeht, wenn die Hochschule wieder mehr Präsenzveranstaltungen anbieten will und plötzlich wieder sehr viele Wohnungen in Fulda gebraucht werden, sei ungewiss, sagt der Student.

Die Verantwortlichen der Hochschule Fulda hatten erst kürzlich nach zwei Online-Semestern eine insgesamt positive Bilanz gezogen – auch wenn Präsident Karim Khakzar festhielt: "Was allen unheimlich abgeht, sind die persönlichen Kontakte." Es sei immer das Bestreben gewesen, dass den Studierenden keine Semester verloren gehen. "Das ist uns gelungen. Wir konnten alle Prüfungen anbieten und damit verhindern, dass es zu Verzögerungen im Studienablauf kommt", sagte Khakzar. Einige Studierende hätten aber auch Probleme mit dem Online-Format, ergänzte Kathrin Becker-Schwarze, Vizepräsidentin für Lehre und Studium der Hochschule Fulda.

Um sich Feedback zu holen und ihre Arbeit weiterzuentwickeln, hatte die Hochschule mehr als 1800 Studierende und fast 300 Lehrende befragt, wie sie mit den veränderten Bedingungen zurechtkommen. Insgesamt fiel das Urteil gut aus – so zeigten sich 70 Prozent der Erstsemester im Wintersemester überwiegend zufrieden mit der Umsetzung der digitalen Lehre.

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Auch das hessische Wissenschaftsministerium lobt, die Hochschulen hätten die Umstellung auf den Online-Betrieb insgesamt gut bewältigt. Nur wenige Lehrveranstaltungen seien ausgefallen, Prüfungen hätten stattgefunden und das Studium gehe weiter. Klar sei aber auch: "Wissenschaft braucht Diskurs; Forschen und Lernen brauchen Austausch. Nicht nur in Lehrveranstaltungen: Diskussionen zwischen Naturwissenschaftlerin und Soziologe beginnen oft in der Studentenkneipe. Zum Studium gehört der Blick über den Tellerrand, der mit dem Leben in einer Hochschulstadt verbunden ist. Und das alles fehlt", so das Ministerium.

Finanzielle Nöte und Schwierigkeiten mit der Studienorganisation – diese Themen treiben auch viele Studierende der Gießener Justus-Liebig-Universität (JLU) um, wie Hans Jonas Bäcker vom AStA der JLU berichtet. Neben dem Mangel an Nebenjobs sei auch der Zugang zu Praktika durch Corona weitgehend versperrt, was das Netzwerken für den späteren Beruf erschwere. Dass Seminare online angeboten werden, sei zwar "besser als nichts", doch fehle das soziale Leben schon sehr, sagt Bäcker. Um virtuell ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln, lud der AStA jüngst zu einem Online-Bier-Tasting. Das soll auch der Gremienarbeit Zulauf verschaffen. Denn auch in Corona-Zeiten braucht die studentische Interessenvertretung Nachwuchs – und der sei auf dem nahezu verwaisten Campus nicht leicht zu finden, sagt Bäcker.

(olb)