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Was war. Was wird. Von Tafeln, Trojanern und Stellungnahmen

Manche Lobbyisten scheinen wirklich so bescheuert zu sein, dass sie Moses mit Charlton Heston verwechseln. Oder ist das gar keine Dummheit, fragt sich Hal Faber

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Meer, ganz ungeteilt. Wo steckt Charlton Heston, wenn man ihn denn mal braucht? Ach, der umklammert ja seine Knarre mit "cold, dead hands".

(Bild: Delbars / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Adon oder Aton? Egal. Moses der Ägypter hatte jedenfalls alle Hände voll tun, als sich das Volk der Hyksos auf den Exodus machte und von Seuchen geplagt Ägypten verließ, die monotheistische Religion von Echnaton im Gepäck. So nahm er nur ein paar Notizen für den Alltag mit, geschrieben auf saphirblauen Tafeln, wie man deutlich sehen kann. Das wichtigste Verbot für die neue Religion kam gleich zuerst: "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir." Nun ist Saphir (oder war es Lapislazuli?) in 25 Zentimeter dicken Steintafeln ein hübscher Brocken, aber Moses hatte kräftige Hände, wie auf Bildern gut zu erkennen ist. Seit wenigen Tagen wissen wir dank des Lobbyverbands Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, dass auch Annalena Baerbock kräftige Hände hat und fotogen die Steintafeln in die Kamera halten kann.

(Bild: aus der taz)

*** Das Gequassel jedoch, das auf ihren Tafeln steht, spricht eine andere Sprache als die der drei großen abrahamitischen Religionen, die Moses in ihren Ahnenreihen haben. Es kündet viel mehr von Tanz um das goldene Kalb der freien kapitalistischen Marktwirtschaft mit der Vergötzung des Autos, der Flugzeuge und des Freihandels. Alles Sachen, die der Initiative Soziale Marktwirtschaft so wichtig sind, dass sie umstandslos ein copyright-geschütztes Bild verschandelt und rund 400.000 Euro für Zeitungsanzeigen ausgibt, damit die Nachricht vom goldenen Kapitalismus unter das Volk kommt. Wer weiß, vielleicht taucht Annalena Moses noch als Bandenwerbung bei dieser komische Fußball-EM auf, oder die Message wird wie damals bei den Schnulzgeschichten vom Marienhof unauffällig in die Berichterstattung eingebaut: "Skillzy findet Annalena doof" kommt doch dem Gequassel auf den INSM-Tafeln intellektuell erstaunlich nahe. Wer sich dazu den eingangs abgebildeten Flug- und Spielplan der EM anschaut, sieht auch die Differenz zwischen dem Gekicke und einem klimaschonenden Sport wie Trampolinspringen.

*** Differenzen muss man wahrnehmen, Differenzen gilt es auszuhalten. Deshalb ist die Moses-Baerbock-Collage nicht antisemitisch oder antijüdisch, sondern einfach nur dumm. Aber es passt zur Aufregung über den Parteitag der Grünen, der Baerbock zur Kanzlerinnen-Kandidatin ausgerufen hat. Dort war die Publizistin Carolin Emcke zugeschaltet und sagte über den nun beginnenden Wahlkampf: "Es wird sicher wieder von Elite gesprochen werden. Und vermutlich werden es dann nicht die Juden und Kosmopoliten, nicht die Feministinnen und die VirologInnen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die KlimaforscherInnen." Das brachte prompt die christlich selbstgerechten WahlkämpferInnen auf den Plan, die keinen Plan davon haben, welche Verschwörungszusammenhänge in der Neuen Rechten gepflegt werden. Die Tweets, in denen sie Annalena Baerbock aufforderten, die ungeheuerlichen "geschichtsvergessenen Entgleisungen" zu korrigieren, möge man selber suchen und lesen. An dieser Stelle soll nicht gemüllt werden. Genauso christlich avanciert war es wohl, die 98,5% bei der Wahl als "sozialistisches Ergebnis" zu veräppeln. Dabei sollte Baerbock längst Geschichte sein. Das war's, so ist ein hysterischer Kommentar betitelt.

*** Passend zur Mosestafeln-Aktion der ISNM wurde in den sozialen Medien INKI, die Initiative neuer kategorischer Imperativ gestartet: "Lebe stets so, dass die INSM etwas dagegen hätte." Nehmen wir nur das achte Verbot, das die INSM Annalena Moses untergeschoben hat. "Du darfst deine Arbeitsverhältnisse nicht frei aushandeln." Ein schönes Beispiel dafür bieten die Nachrichten, die die Mitarbeiter von Gorillas diese Woche produziert haben: Der erste "wilde Streik" seit der Wiedervereinigung von Ost- und Westberlin, schreibt empört Die Welt, ein Medienpartner der INSM, die bei der "Wahldebatte" des Blattes sogar als "redaktioneller Partner" auftritt. Womit sich übrigens der "wilde Streik" bei Gorillas erklärt. Den "Pickers" und "Riders" wurde die Wahl eines Betriebsrates bei diesem "Einhorn" untersagt. Auch sonst ist das ein seltsamer Laden, wie die Zerforschung zeigt. Bilder von Berliner Klingelschildern durch die Riders, das erinnert an die Sammelpraktiken von Datenkraken. Hoppsla, die hatten doch gerade ihren großen Tag mit der Gala der Big Brother Awards! Wobei die launigen Begründungen der Preisredner noch von den tiefer gehenden Datenschutzexpertisen übertroffen werden, wie das Beispiel Doctolib zeigt.

*** Zu den vermischten Nachrichten der Woche gehört die Geschichte vom Rädertierchen, das nach 24.000 Jahren aufgetaut wurde und damit weitermachte, was es machte, als es eingefroren wurde: Fressen und Fortpflanzen. Das dies möglich ist, liegt an der Evolution ohne Sex, die vom Rädertierchen erfunden wurde, lang bevor das Rad erfunden wurde und Moses sich mit den Seinen auf den Weg machte. Huch, kein Mammut mehr da, und diese zweibeinigen Affen machen ziemlich seltsame Sachen. Sie versuchen sich als Querdenker und vergessen ganz, was Edward de Bono zum Querdenken gelehrt hat. Mit dem Auftauen des Rädertierchens ist Edward de Bono gestorben. Da sage einer noch, dass es keine lateralen Rätsel mehr gibt.

Es ist noch eine Weile hin, bis die Hacker wieder Trauer tragen. Der 20. Todestag von Wau Holland ist erst am 29. Juli. Doch schon jetzt ist die Marketing-Maschine für den Film Alles ist eins außer der 0 angelaufen, der an diesem Tag in die Kinos kommen soll. Der hübsche Satz über den Binär-Buddhismus stammt aus dem Jahr 2000 und kann im Kontext auch genauer nachgelesen werden. Eine Panel-Diskussion führte damals "zu einer Aneinanderreihung von Statements, die entweder bereits Mediengeschichte geschrieben haben oder von nun an in die Netzgeschichte eingehen werden." Quod erat demonstrandum. "Dr. Waus Chaos Computer"-Film ist ein wunderlicher Mischmasch von alten Archivaufnahmen und viel Erzähltem von Peter Glaser geworden und damit gut geeignet für das sommerliche Freiluftkino mit kühlem Bierchen oder einem dieser abscheulichen Gesöffe wie dem "trinkfertigen Hugo".

In jedem Fall haben die Hacker keine Sommerpause, wie der Aufruf für eine neue Hackererethik zeigt. Was ist passiert? Nun, es ist eine Beteiligung, die nur eine Eiligung ist. Bis zum kommenden Mittwoch sollen "sachkundige Akteure" ihre Stellungnahmen zum Entwurf einer neuer Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung abgegeben haben, die die Nutzung von Zero-Days und die Lizenz zum Hackback umfasst. Nach der beschämenden Zustimmung der SPD für die Nutzung von Staatstrojanern durch die Geheimdienste und die Bundespolizei hat das Bundesinnenministerium große Eile, seine Hackbefugnisse zu erweitern. Erstens lenkt der Fußball wieder einmal alle ab, zweitens wird man zum Start der nächsten Regierung mit den Grünen diesen Raubbau an der IT-Sicherheit nicht durchziehen können. Schon die SPD hat die Zustimmung zur Ausweitung der Staatstrojaner die Partei ordentlich zerzaust, was aber auf dem Weg zur Splitterpartei keine große Bedeutung mehr hat.

"Neue Herangehensweisen in Bezug auf den unverschlüsselten Zugriff auf ursprünglich verschlüsselte Kommunikationsinhalte" sind gefragt, da gilt es, blitzeflitzeschnell zu handeln. Ein Schelm, wer darüber lacht, dass im Entwurf zwei Kapitel fehlen, die für "sachkundige Akteure" von einiger Bedeutung sind, nämlich die Beschreibung der aktuellen Cyberbedrohungslage (Kapitel 5) und die Frage, wie und wer bei der (Erfolgs)Kontrolle der Cybersicherheitsstrategie das Sagen hat (Kapitel 9). Sie "befinden sich noch in einem intensiven Bearbeitungsprozess, so dass diese nicht beigefügt wurden." Ja sowas aber auch. Gibt es denn keine künstliche Intelligenz, die dabei helfen kann, wie dies bei der Beantwortung von Kleinen Anfragen durch die Bundesregierung vorgesehen ist?

(jk)