Urheberrechtsverletzung: Sony erwirkt einstweilige Verfügung gegen DNS-Resolver

Sony will per einstweiliger Verfügung die DNS-Auflösung von Domains verbieten. Ausgesucht haben sie sich den kleinsten der öffentlichen DNS-Resolver, Quad9.

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(Bild: Wirestock Images/Shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert
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Der kürzlich aus Datenschutzgründen von den USA in die Schweiz immigrierte offene DNS-Resolver-Betreiber Quad9 macht Bekanntschaft mit Europas Urheberrechtsjägern. Sony und ihre Hamburger Kanzlei Rasch erwirkten beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen die Neuschweizer. Bei Androhung von 250.000 Euro beziehungsweise einer Ordnungshaft seien sie verpflichtet, den Zugang zu einer Domain zu unterbinden, die per Sharehoster Alben des Musiklabels zugänglich macht.

Quad9 wird dabei als sogenannter Störer in Anspruch genommen, weil die Stiftung über ihren kostenfrei verfügbaren öffentlichen DNS-Resolverdienst die Auflösung der entsprechenden Domains ermögliche.

Das Landgericht in Hamburg befand, dass Quad9 nicht etwa wie ein Internet Services Provider oder sogar Domainregistrare von den üblichen Haftungsprivilegien für reine Mittler gedeckt sei. Auch gegen den Quad9-Mitbewerber Cloudflare hatte die Kanzlei Rasch im vergangenen Jahr ein Urteil erwirkt. Allerdings ging es dabei um Kunden des CDN-Dienstes von Cloudflare. Quad9 hat als öffentlicher DNS-Resolver selbst gar keine Kunden.

Bemerkenswert ist die Einlassung des Gerichts, dass es gar nicht darauf ankomme, dass Quad9 nur einer von vielen DNS-Resolverbetreibern sei. Immerhin, wenn die Nutzer bei Quad9 als DNS-Resolver blieben, würden doch die entsprechenden Seiten durch die einstweilige Verfügung unzugänglich. Der Marktanteil von Quad9 am Resolvermarkt liegt bei etwa einem Prozent. Die Stiftung zog kürzlich in die Schweiz – eigentlich, um sich als datenschutzfreundliche Alternative zum Platzhirsch im DNS-Markt zu positionieren, Google DNS.

Google zieht das Gros der nicht über den jeweils eigenen ISP der Nutzer abgewickelten DNS-Anfragen auf sich. Laut jüngsten Messungen laufen 14 Prozent der normalen DNS-Anfragen und nochmal 15 Prozent der zunächst erfolglosen Anfragen über die Kalifornier. Dort landen dann vielleicht künftig auch die Anfragen nach den Urheberrechtsverletzern, auf die es Sony abgesehen hat.

Bill Woodcock – Vorsitzender von Quad9 – kündigte gegenüber heise online an, dass sich die Stiftung gegen die einstweilige Verfügung zur Wehr setzen werde. Das Argument, dass Quad9 ja auch einen Filterdienst für Malware und Phishing zur Verfügung stelle, also ohnehin schon filtere, lässt er nicht gelten. Diese Filter dienten der Sicherheit der Nutzer vor Angriffen – und sie kosten die Stiftung einiges.

Der Stiftungsvorsitzende beklagt zugleich die Art des Verfahrens. Laut Gerichtsbeschluss hatte Quad9 nur wenige Stunden, um auf das "Schreiben" des Sony Anwalts zu reagieren. Es sei am 26.3.2021 übersandt worden, mit Fristsetzung bis 26.3.2021 16 Uhr.

Auch beim Sharehoster und den zwei von Sony aufs Korn genommenen Urhebern der Rechteverletzung hat sich Sonys Team nicht sehr viel Mühe gegeben. Man habe sie angeschrieben und, im Fall der Domaininhaber, selbst nach zwei Tagen noch keine Antwort bekommen. Der von der Kanzlei Rasch beauftragte Dienstleister ProMedia habe am 11.3.2021 und am 18.3.2021 Löschungsaufforderungen an den Sharehoster geschickt und am 23.3 per Formular eine "Nachricht an den Administrator" der betreffenden Domains gesandt und Frist bis zum 24.3. gesetzt. Leider bekam man da keine Antwort, ebenso wenig wie von ausfindig gemachten Firmen in Litauen und der Ukraine, die laut einer Recherche aus der RIPE-Datenbank gefischt worden seien.

Ob damit die Anforderung der in früheren Urteilen geforderten Subsidiarität tatsächlich erfüllt sind, wird das Gericht am Ende nochmal überprüfen müssen.

Thomas Rickert, Anwalt des eco Verbands der deutschen Internetwirtschaft, hält die Inanspruchnahme des Resolverbetreibers allerdings für fragwürdig: "Ich kann mir keinen Anbieter vorstellen, der von der Verantwortlichkeit für etwaige rechtsverletztende Domains weiter entfernt ist als ein öffentlicher Resolverbetreiber", sagt er. Hätte der Hamburger Beschluss tatsächlich Bestand, müssten künftig aber wohl vor allem Internet Service Provider mit mehr Post von Anwälten rechnen müssen, befürchtet er.

[Update 21.6.2021 9:00 Uhr:] Quad9 stellt klar, dass das Unternehmen der kleinste unter den großen öffentlichen DNS-Resolvern ist. Neben den wenigen Großen (die zitierte Quelle von APNIC Netzvermessungs-Guru Geoff Huston hat drei verglichen) gebe es noch Millionen von kleinen und kleinsten DNS-Resolvern, unterstreicht Bill Woodcock von Quad9. Nicht die Größe, versichert er, sondern der Umstand, dass Quad9 als einziger großer DNS-Resolver nicht mehr in den USA angesiedelt sei, hätten Sony zur Erwirkung der einstweiligen Verfügung veranlasst.

(bme)