"Cybersicherheitsstrategie": Zivilgesellschaft schlägt Alarm wegen Hintertüren

Gut 70 Organisationen und Forscher warnen die Regierung davor, Seehofers Plan für ausgehöhlte Verschlüsselung, Hackbacks und Staatstrojaner zu beschließen.

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(Bild: Skorzewiak/Shutterstock.com)

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38 Vereine, Verbände, IT-Firmen und Netzwerke sowie 32 Wissenschaftler appellieren nachdrücklich an die Bundesregierung, den von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vorgelegten Entwurf für eine "Cybersicherheitsstrategie" in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu beschließen. In der jetzigen Form würde das Vorhaben den Kritikern zufolge "auf Jahre eine Cybersicherheitspolitik zementieren, für die es keinen ausreichenden Rückhalt in Wirtschaft und Gesellschaft gibt". Die vorgeschlagenen Maßnahmen hätten wenig Aussicht darauf, die IT-Security in Deutschland zu verbessern.

"Im aktuellen Entwurf der Cybersicherheitsstrategie finden sich eine Reihe an Maßnahmen, die auf Kosten der IT- Sicherheit die Überwachung durch deutsche Sicherheitsbehörden vorantreiben", moniert das Bündnis in einem am Freitag publizierten offenen Brief. Es reibt sich vor allem an der geplanten "Entwicklung technischer und operativer Lösungen für den rechtmäßigen Zugang zu Inhalten aus verschlüsselter Kommunikation". Dies bedeute nichts anderes, als dass Hintertüren implementiert werden sollten, um starke Verschlüsselung zu umgehen.

Ein solcher Schritt sei seit Jahren heftig umstritten, weil er ausländischen Geheimdiensten und Cyberkriminellen "mehr nutzen würde als unseren Sicherheitsbehörden", beklagt die Allianz. Dazu kämen "die internationale Signalwirkung und die Auswirkungen für besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen, die so ein Vorhaben hätte".

Zu den Unterzeichnern gehören neben dem Chaos Computer Club (CCC), dem eco-Verband der Internetwirtschaft, Reporter ohne Grenzen (RoG), der Gesellschaft für Informatik (GI), dem Forum Informatiker:innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), AG Kritis sowie Digitalcourage, Digitale Gesellschaft und Wikimedia auch die netzpolitischen Vereine CNetz, D64 und Load, die CDU/CSU, SPD und FDP nahestehen. Mit vertreten sind ferner etwa Mail- und Hosting-Provider.

Weiter fordere das Bundesinnenministerium (BMI) etwa Befugnisse zur "aktiven Cyberabwehr". Solche Hackbacks seien derart umstritten, "dass sich sogar die aktuelle Bundesregierung selbst dagegen entschieden hat sie voranzutreiben". Es handele sich dabei nicht um eine "minimale Befugniserweiterung", sondern um ein Vorhaben, das "sehr wahrscheinlich in einer Grundgesetzänderung münden wird". Darüber sollte allenfalls nach der Bundestagswahl im Herbst entschieden werden.

Kaum weniger problematisch sei der geplante Ausbau der Zentralstelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) ohne "Kontroll- und Schutzmaßnahmen". Es sei noch immer umstritten, ob die "Hackerbehörde" aufgrund ihrer Aufgaben statt eines Ministererlasses mit einem Errichtungsgesetz auf eine solide rechtliche Grundlage gestellt werden sollte. Dazu finde sich in dem Papier kein Wort.

Generell vermissen die Verfasser darin die im Koalitionsvertrag versprochene stärkere parlamentarische sowie wirksame juristische und administrative Kontrolle über die Sicherheitsbehörden. Viele der erwähnten Passagen müssten gestrichen werden.

Die schwarz-rote Koalition habe allein in den vergangenen zwei Wochen tiefgreifende neue Überwachungsmöglichkeiten für die Geheimdienste und die Bundespolizei geschaffen, kritisiert RoG-Geschäftsführer Christian Mihr. Nun wolle das BMI, dass Staatstrojaner noch häufiger eingesetzt werden: "Die Grenzen des Erlaubten werden im Akkordtempo verschoben – im Namen eben jener IT-Sicherheit, die hier aktiv untergraben wird."

Zuvor hatten die E-Mail-Dienstleister mailbox.org, Tutanota und mail.de sich in einer gemeinsamen Stellungnahme besorgt gezeigt, dass mit dem Entwurf etwa das vom Bundesverfassungsgericht postulierte "Grundrecht auf digitale Intimsphäre" die Wettbewerbsfähigkeit am Wirtschaftsstandort Deutschland auf der Strecke blieben. Seehofer wolle auf den letzten Metern der Legislaturperiode seinen Nachlass regeln mit noch mehr Überwachung und dem Offenhalten von Sicherheitsschwachstellen. Dies sei "brandgefährlich".

(mho)