Missing Link: "EU-rosion" der Pressefreiheit

Zehn Jahre hat Victor Orban für die Strangulierung von Ungarns Medienlandschaft gebraucht – Polen nur halb so lang. Slowenien scheint im Zeitraffer zu folgen.

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Der slowenische Premierminister Janez Jansa

(Bild: European Union)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Am 1. Juli hat Slowenien die Ratspräsidentschaft der EU übernommen. Vor 15 Jahren noch auf Platz neun der Liste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt das kleine Land aktuell noch auf Platz 36 – Tendenz fallend. Gleich mehrere Delegationen von EU Parlamentariern und internationalen Medienorganisationen machten sich vorab ein Bild vom Krieg des Janez Jansa gegen kritische Journalisten und die Organisation Reporter ohne Grenzen, selbst Ziel von Attacken des slowenischen Ministerpräsidenten, spricht von einer in der EU von vielen für undenkbar gehaltenen EU-rosion der Pressefreiheit.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Eine Woche bevor der slowenische Premierminister Janez Jansa die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, gab er eine erste Kostprobe, wie er mit kritischen Journalisten auf dem Brüsseler Parkett umzugehen gedenkt. Die Frage einer Reporterin der slowenischen Nachrichtenagentur (STA) beantwortete Jansa einfach nicht. Leider habe er, zugeschaltet aus seinem Amtssitz, die Frage nicht hören können, gab er mit steinernem Gesichtsausdruck zum Besten.

Parlamentspräsident David Sassoli gab schnell auf. "Wir hören Sie hier im Presseraum, aber offensichtlich nicht in Ljubljana", sagte ein etwas betroffen wirkender EU-Parlamentspräsident. Nur nicht schon vor dem Beginn der zweiten slowenischen Ratspräsidentschaft einen Eklat produzieren. Stattdessen durfte sich Jansa, der während der Pressekonferenz brav beteuerte, wie wichtig Meinungs- und Pressefreiheit sei, sich noch amüsieren über die Frage eines niederländischen Kollegen. Warum er den auch von rechten Gruppen in seinem Land benutzten weißen Panther als Konterfei für Manschettenknöpfe gewählt habe, die er EU-Beamten zum Antritt verleihen wollte. Er habe eigentlich mit wichtigeren Fragen der Journalisten gerechnet.

Die Weigerung, auf die Frage der Kollegin Simona Grmek von der slowenischen Nachrichtenagentur (STA) zu antworten, rührt wahrscheinlich daher, dass Sloweniens Regierung seit Monaten seine gesetzlich vorgesehenen Zahlungen an die STA aufgeschoben hat. Die staatliche Finanzierung macht etwa die Hälfte des Budgets aus, und eigentlich ist gerade im Rahmen der Präsidentschaft Sloweniens Regierung auf die Dienste der Agentur angewiesen. Denn sie betreibt auch einen englischsprachigen Agenturservice. "Während der EU-Präsidentschaft ist der für die Regierung eigentlich unverzichtbar", sagt Spela Stare, Generalsekretärin bei DNS, dem größten und ältesten Journalistenverband des Landes.

Nachdem Janezs Regierung über Monate die Zahlungen eingestellt hatte, und STA zwischenzeitlich per Crowdfunding Geld sammelte, um die Gehälter der etwa 100 Mitarbeiter zahlen zu können, wird nun wieder verhandelt. Ein Gericht in Lijubljana hatte Mitte Juni den Antrag der Presseagentur auf Auszahlung der ausstehenden 850.000 Euro für das Jahr 2021 abgelehnt. Gegenüber Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sicherte Jansa diese Woche zu, es fehle eben noch ein Vertrag zwischen den Communication Office (UKOM) seiner Regierung und der STA.

Der in Aussicht gestellte Vertrag sei an Bedingungen geknüpft, berichtet Stare. Unter anderem will UKOM mehr Kompetenzen bei der Aufsicht über das Budget. Für das Überleben der STA wird sie nicht sein, befürchtet man bei der Nachrichtenagentur. Und der geht trotz ihrer anderen Einkünfte – der Spenden und beschaffter Kredite – die finanzielle Luft aus. Die vorangegangene Finanzkrise, das Erstarken der großen Techplattformen als Nachrichten-Surrogate und zuletzt die Covid-Krise haben die Situation der kritischen Presse überall und in der kleinen slowenischen Sprachgemeinschaft kontinuierlich verschärft.

Nur zwei Millionen Einwohner hat das kleine Land. Das dürfte mit dazu beitragen, dass die hetzerischen Tweetbotschaften, für die Herr Jansa berüchtigt ist, so große Wirkung entfalten. Als Lügner und als überbezahlt bezeichnet Jansa Journalisten, deren Arbeit ihm nicht gefällt. Dem ARD-Korrespondenten in Wien attestierte er Zensuraktionen ähnlich der Prawda oder des Stürmer. Jansas Beschimpfungen zweier slowenischer Journalistinnen als "abgehalfterte Huren" erklärte ein Gericht 2020 als vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt.

Janez Jansa

(Bild: European Union)

"Zitieren Sie mich nicht", sagen die, die man fragt, was die sprachliche Eskalation mit dem Land macht, "die Entwicklung fühlt sich an wie die Realisierung eines schlimmen Alptraums. Seine [Jansas, d. Red] Art zu regieren basiert auf Spaltung, Angst, Druck, Anschuldigungen, und jetzt führt er die EU, unglaublich, aber zitieren Sie mich nicht. Wir sind ein kleines Land und der Druck trifft jeden, Journalist oder nicht."

Bei Journalistenverband DNS hat man auf den "Twitterpräsidenten" und die ins gleiche Horn blasende, seiner Partei SDS nahe stehenden Gruppe von Online-Medien, reagiert und eine Meldeplattform für verbale und physische Attacken an den Start gebracht. Man beobachte die Situation schon länger und habe zum Start eigene Meldungen eingestellt. Künftig werde man selbst recherchierte oder gemeldete Hasskommentar-Fälle veröffentlichen, wenn die Opfer zustimmen. Geld für eigene Klagen hat DNS, das sich aus den Mitgliedsbeiträgen seiner rund 900 Mitglieder finanziert, nicht, sagt Stare.

Immerhin aber will man mit den Mitteln des Civitates Programms Opfern, die sich wehren wollen, eine einmalige Rechtsberatung anbieten. Außerdem kooperiert man mit der Meldeplattform des Europarates, der seit einigen Jahren versucht, dem bedenklichen Trend zu verbaler und physischer Gewalt gegen Bloggende sowie Journalistinnen und Journalisten mit der Plattform zu "Schutz und Sicherheit für Journalisten" etwas entgegenzusetzen versucht. Der Europarat reihte sich vor dem Start der slowenischen Präsidentschaft ein in die lange Reihe der Mahner, die Sloweniens Pressefreiheit bedroht sehen.

Sloweniens Ratspräsidentschaft hat möglicherweise dafür gesorgt, dass eine von Jansas Regierung geplante Verschärfung des slowenischen Mediengesetzes vorerst auf Eis gelegt wird, sagen Beobachter. Schafft Jansa die Wiederwahl 2022 könnte er das geltende Gesetz und damit die Regeln zu Medienkonzentrationsregeln und staatlichen Kompetenzen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk doch noch novellieren. Die geltende Version des Mass Media Act stammt übrigens auch schon von ihm, aus seiner ersten Amtszeit.