Missing Link: "EU-rosion" der Pressefreiheit

Seite 3: Verkaufs- und Entlassungswellen

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Vielleicht lernen auch die Wettbewerbshüter irgendwann noch dazu. Ganz aktuell hat ein polnisches Gericht den Verkauf der größten Gruppe von Regionalzeitungen in Polen, Polska Press, an den staatlichen Ölkonzern Orlen vorläufig gestoppt. Insgesamt 20 Regionalzeitungen, 300 wöchentliche erscheinenden Publikationen und 500 Online-Angebote kaufte Orlen Ende vergangenen Jahres von der Neuen Passauer Presse. Im März begann der Konzern mit der Umstrukturierung – und setzte zunächst den Chefredakteur der Gruppe, Pawel Fafara vor die Tür. Nach Antritt der neuen Leiterin der Gruppe, Dorota Kania, traf es gleich vier Redakteure großer Regionalzeitungen: Marek Twaróg vom Dziennik Zachodni in Kattowitz, Stanisław Sowa von der Gazeta Codzienna Nowiny in Rzeszow und Jerzy Sułowski von der Gazeta Krakowska in Krakau.

Mit dem Stopp durch die Wettbewerbshüter, den der streitbare Ombudsmann für Menschenrechte in Polen, Adam Bodnar, angestrengt hat, sollten die Entlassungen eigentlich passé sein. Der Deal soll aber, so hat Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Berlin, erfahren, doch durchgezogen werden. Und übrigens, Bodnar wurde mittlerweile selbst entlassen. Von der Geschäftsführung der Neuen Passauer Presse war zunächst keine Aussage über den Verkauf und die Nachrichten über die Entlassungen ihrer ehemaligen, teils langjährigen Chefredakteure zu bekommen.

Der Fall Polska Press illustriert eine weitere Entwicklung in den von EU-rosion betroffenen Medienmärkten. In Ungarn, Polen, beim laut Rangliste von Reporter ohne Grenzen Schlusslicht Bulgarien oder eben in Slowenien stoßen westliche Medienkonzerne aktuell vermehrt Beteiligungen oder ganze Presseunternehmen ab. Die "Re-Polnisierung" ist ein Schlachtruf der seit 2015 regierenden PIS-Partei von Jaroslaw Kaczynski. Der Verkauf der AT&T Tochter Central European Media Enterprises mit Fernsehsendern und Redaktionen in Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien war ein gefundenes Fressen für einen anderen Oligarchen, den jüngst verunglückten Prager Unternehmer Petr Kellner.

Jetzt werde, so berichtet Starevom Verband DNS in Ljubljana, eine Kontrolle der Nachrichteninhalte des größten kommerziellen TV Senders in Slowenien, Pro Plus, von Prag aus gemacht. Natürlich würden dort oft Beschwerden des slowenischen Präsidenten ankommen.

Was ist zu tun, um den Flächenbrand, der sich weiter auszubreiten droht, doch noch zu bekämpfen? Aktivisten aus den verschiedenen Ländern beantworten das trotz des geteilten Loses unterschiedlich.

Urban vom Mertek Media Monitor kann sich ganz gut in die Lage der EU-Kommission hineinversetzen. Zwar wüsste sie schon gerne, wann die Kommission auf ihre Anfragen zu Staatsbeihilfeverstößen und Diskriminierung im Medienmarkt reagiert, aber der Salami-Taktik der Regierung Orban sei nicht so leicht beizukommen. Enttäuscht ist Urban von der CDU/CSU in Deutschland und deutschen Unternehmen, die dem Autokraten Orban so lange die Stange gehalten haben. "Ich denke, dort könnte Einfluss im Sinne der Pressefreiheit geltend gemacht werden – und Ungarn ist kein großes Land."

Stare, die die Aushöhlung des kritischen Journalismus im Zeitraffer beobachtet, hält die fortgesetzten Bekundungen von Besorgnis auf Seiten der EU-Kommission für nicht ausreichend. Politische Führer wie Jansa könnten beobachten, dass Entwicklungen in Ungarn oder Polen einfach hingenommen werden und planten natürlich an ihrem eigenen Medienimperium. "Was für eine Presse werden wir am Ende noch haben", fragt sie.

Auf die Durchsetzung von Grundwerten per Rechtsstaatlichkeitsmechanismus durch die EU-Kommission hoffen sie zwar alle, doch noch war die Kommission mehr als zurückhaltend mit dem Instrument. So zurückhaltend, dass das Parlament inzwischen eine Klage gegen die Kommission anstrengt, wegen Untätigkeit bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Hüterin der Verträge.

Um das Ruder herumzureißen reicht das Warten auf die EU ziemlich sicher nicht, meint RoG Geschäftsführer Christian Mihr. "Das ist allenfalls ein Einstieg", sagt er, dabei könnte die EU mehr tun. Für den Anfang könnte sie in den Rechtsstaatlichkeitsberichten, in denen die Autokratien im Bereich Medien alle schlecht aussehen, die verantwortlichen Regierungen an den Pranger stellen. Die Kürzung von EU-Subventionen, mit denen indirekt durchaus auch die Medienimperien in Osteuropa genährt werden, wäre natürlich gut, aber ganz offensichtlich schwer durchzusetzen.

Letztlich aber müsse Presse- als Teil der Meinungsfreiheit gesamtgesellschaftlich "nachgefragt werden. Das lässt sich nicht verordnen", fordert der ehemalige Journalist. Die Gesellschaft, einschließlich der Unternehmen müssten wissen, was ihnen eine freie Presse wert ist. Anzeigen müssten entsprechend geschaltet werden, Korruption und mangelhafte Information über Regierung und Unternehmen als teuer für alle erkannt werden. Dem Flächenbrand entgegenwirken kann aus seiner Sicht zudem, wenn der Entstehung von Mischkonzernen, die das Mediengeschäft nebenher machen, mit großer Wachsamkeit begegnet wird. In Deutschland gebe es solche Mischkonzerne wie Kellners PPF oder Orlen in Polen noch nicht im Mediengeschäft.

(bme)