4W

Was war. Was wird. Limus enim cum a ad astra

Bilder sind nicht alles. Aber oft blankes Entsetzen auslösend. Wie reagiert man? Genau jetzt ist die Zeit für politische Debatten, meint Hal Faber.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 57 Kommentare lesen

"Unter dem Pflaster liegt der Strand" hieß es früher mal ganz hoffnungsvoll. Heutzutage liegt unter dem Pflaster höchstens noch der nächste Erdrutsch. Zwischen immer wieder hinausgeschobenen Maßnahmen gegen die Klimakrise und immer wieder angemahnten Vorkehrungen gegen die heute bereits sichtbaren Auswirkungen dieser Krise bleibt ein großes Loch: Und das lässt sich nicht nur mit Mitleid und Geld füllen.

(Bild: maradon 333 / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Es gibt gelungene Bilder und nicht so gelungene. Zu den nicht so gelungenen gehört das Ansinnen, das Lagezentrum in Hagen mal schnell in das Rathaus zu verlegen, damit die TV-Kameras bessere Bilder von dem Mann aufnehmen können, der in Stiefeln das Modernisierungsjahrzehnt einläutet. Zu den gelungenen zählt das "Fuck you Greta" auf einem im Wasser treibenden Wagen. Das war aber zu perfekt, um wahr zu sein.

Dann gab es noch hübsche Metaphern wie die von der 360-Grad-Wende des Kanzlerkandidaten Armin Laschet, der es inmitten all der Toten, Verletzten und Vermissten nicht einmal schafft, an die Toten in Rheinland-Pfalz zu erinnern. Das ist halt ein anderes Bundesland, noch dazu mit einer SPD-Ministerpräsidentin, das ist ganz weit weg, wie diese Rumänen und Bulgaren in einer großen Fleischfabrik. Näher dran an Düsseldorf ist das größte Hüttenwerk von Thyssenkrupp in Duisburg, das für 2,5 Prozent aller CO2-Emissionen von Deutschland verantwortlich ist. Grund genug für einen Kanzlerkandidaten, gegen das "Fit for 55" der EU anzustänkern, irgendwo bei 180-Grad auf der drehenden Laschetscheibe. Ja, das ist alles so lustig, nech? Wobei, wir wollen ja nicht einseitig sein in diesem "Wohlfühlwahlkampf": Der Vorschlag des SPD-Kandidaten Olaf Scholz, einen "Klimaclub" zu gründen, ist auch schon einer dieser alten Hüte, die zu modischen Caps umgedreht werden. Doch was soll die ganze Aufregung, wenn sich im Schlamm der Flut wieder einmal einer dieser Grünen in der Wortwahl vergriffen haben soll.

*** Immerhin war die Reaktion eines Konstantin von Notz noch weitaus besser als der Unsinn, die eine Partei namens Alternative für Deutschland verfasst, die Klimakatastrophe nur in Anführungszeichen setzt, wie einst die "DDR", zum Zeichen, dass es eben keine Klimakatastrophe gibt, nur eine "Warmzeit", die zu einer "Blüte der Kulturen" führen wird. "Statt einen aussichtslosen Kampf gegen den Wandel des Klimas zu führen, sollten wir uns an die veränderten Bedingungen anpassen, so wie es Pflanzen und Tiere auch tun." Ja, das ist doch mal ein toller Ratschlag: Sterben wir halt aus, wie die Pflanzen und Tiere, die sich einfach nicht genug anpassen. Aber vielleicht wird die Debatte trotz aller Wahlkampfposen endlich wieder politischer. Jetzt ist die Zeit zum Politisieren, heißt es im Spektrum der Wissenschaft. Warum wurden die Menschen ihrem Schicksal überlassen? "Die älteren Menschen noch bekannten Sirenen wurden in nicht wenigen Städten und Dörfern abgeschaltet und abgebaut. Ihr Heulen mag altmodisch erscheinen, machte aber eben viele aufmerksam. Gleichzeitig haben neue Technologien es schwerer gemacht, alle Menschen zu erreichen – der WDR verwies etwa auf seine Warnmeldungen im Internet. Doch erreichen diese wirklich viele Senioren, Menschen mit Migrationshintergrund oder Eltern, die früh ins Bett gehen? Und nicht zuletzt sind rein digitale Technologien außer Gefecht, sobald der Strom in einer Region ausfällt."

*** Die Bilder der Woche kamen jedenfalls von Dörfern wie Schuld und Insul, aus Erftstadt-Blessem oder aus Kreuzberg in Rheinland-Pfalz. Die Sätze der Woche gab es schon am Montag, mit all den Warnungen der Meteorologen vor einem Starkregen bei einem Tief "Bernd", das sich kaum bewegt. Das European Flood Awareness System (EFAS) schickte Anfang der Woche dringende Warnungen vor lebensbedrohlichen Überschwemmungen an die nationalen Behörden in Belgien, den Niederlanden und auch in Deutschland, doch es gab keine Evakuierungen oder Vorbereitung. Was sollte man auch vorbereiten bei begradigten Flussläufen, versiegeltem Sickerboden und betonharten Ackerflächen, die durch schweres Gerät komprimiert werden? Alle einschlägigen Maßnahmen vor solchen Hochwassern sind bekannt, doch werden sie nicht eingeschlagen. "Jetzt wird nichts mehr sein wie vorher", titelte die tageszeitung am Freitag über ein Foto zerborstener Häuser in Schuld. Von wegen. "Ach, und Sie haben keine Versicherung gegen Elementarschäden? Da ist nichts zu machen." Wenn diese Zeilen online gehen, sollen nach einer Wetterwarnung in den Alpen am Sonntag 400 Liter pro Quadratmeter niedergehen, noch einmal 200 Liter mehr als in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

*** Vielleicht reichen die Schockwellen aus, um wenigstens die hohlen Versprechungen von einem einfachen "Pfad zur Klimaneutralität" aus dem Wahlkampf verschwinden zu lassen und stattdessen realistisch zu vermitteln, dass die notwendige Dekarbonisierung der Gesellschaft richtig etwas kosten wird. Vor allem der Emissionshandel ist ja politisch schwer deformiert, mit einer CO2-Steuer von 25 Euro pro Tonne beim Preis von Benzin und Heizöl, wo dieser deutlich über 50 Euro liegen müsste. Der niedrige Ansatz wurde eingeführt, um der Wirtschaft die Anpassung zu erleichtern, heißt es. "Eine anfänglich niedrige Steuer verbunden mit einem glaubwürdigen Plan künftiger Steuererhöhungen würde zudem Anreize für emissionsmindernde Innovationen schaffen und so die anfänglichen und späteren Kosten niedrig halten." Wo ist der Bierdeckel, auf dem diese Idee notiert wurde?

*** Als die letzte Wochenschau erschien, da rang er noch um sein Leben. Nun ist Peter R. de Vries gestorben, genau wie der Blogger Martin Kok und der Rechtsanwalt Derek Wiersum sowie der Bruder des Kronzeugen im "Marengo-Prozess". All das, um genau diesen Zeugen unter Druck zu setzen. Das Leben von Menschen ist der organisierten Drogenkriminalität nicht viel wert. Es ist der vierte Journalistenmord in der EU in vier Jahren. In einem anderen Teil der Welt sind Menschenleben noch viel weniger wert: An der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan starb der preisgekrönte Fotojournalist Danish Siddiqui. Zuletzt dokumentierte er das Ausmaß der Corona-Pandemie in seiner indischen Heimat.

Inmitten der Katastrophen und dem "Klima-Horror" lässt es der nächste Milliardär krachen: Jeff Bezos will am 20. Juli seinen Weltraum-Spaß haben. Dafür hat sein Geld hart genug gearbeitet, um es mit Berti Vogts im Stil seiner Werbung für Bank24 zu sagen. Man darf spekulieren, ob der Tag gewählt wurde, um an die Mondlandung von 1969 zu erinnern oder an die ersten Nahaufnahmen der Marsoberfläche von Viking 1 im Jahre 1976. Interessanter ist es allemal auf der Erde, vor allem in Berlin. Hier öffnet am 20. Juli das Humboldt-Forum mit der Schau "Nach der Natur", die die Auswirkungen des individuellen Handelns auf die Umwelt zeigen soll. Natürlich ist der Klimawandel ein Thema. Feinsinnig heißt es: "Im zweiten Raum gibt es dann eine kinetische Wand aus beweglichen Rollos, auf denen Nachhaltigkeitsforscher den Klimawandel diskutieren – und auch, wie das liberale Gesellschaftsmodell diese Katastrophe stoppen könnte. Im Raum werden außerdem Sammlungsobjekte vorgestellt, die mal innovative, mal schreckliche Antworten aus der Wissenschaftsgeschichte auf die aktuellen Forschungsfragen geben." Die schrecklichen Antworten sind ein Apple II, ein Commodore Pet, ein IBM PC und weitere Oldies, die auf das Jahr 1977 verweisen sollen, dem verhängnisvollen Jahr, als die Ich AG den Durchbruch schaffte.

Es muss ja nicht immer Berlin sein. Eine weitere Ausstellung mit unseren Freunden, den Rechnerlein und Roboterlein, ist in München unter dem Titel KI.Robotik.Design gestartet. Kuratiert von Sami Haddadin, der für den fühlenden Roboterarm als 41. deutscher Erfinder in die Hall of Fame der besten Tüftler aufgenommen wurde. Das dürfte Armin Laschet freuen, ist es doch seine CDU, die in ihrem "Regierungsprogramm" 300 Millionen Euro für die robotische Pflege in Altenheimen ausgeben und sich so die Stimmen der Alten und Kranken sichern will. Haddadin will diesen Homunkulus bauen. Das entzückt die feinfühligen Geister, diese "totale Symbiose von Mensch und Maschine über die Interfaces. Es ist zwar Technik, aber doch auch ein evolutionärer Prozess, für den die Menschheit Jahrmillionen, die Technologie aber nur Jahrzehnte gebraucht hat." (Mensch, tritt ab.)

Wird sonst noch was? Die Tour de France geht heute zu Ende, mit einem Sieger, der sich lächelnd aller Doping-Fragen erwehrt. Im Zweifel für den Verdächtigten? Als Doper kann man schnell in die Annalen eingehen, wie eine Sport-Redaktion mal zeigt, die ihren Job ernst nimmt. Damit sind die Sportereignisse für dieses Jahr erledigt. Oder nimmt noch jemand die Olympischen Spiele ernst, die ohne Zuschauer, aber durchgeführt von einer Organisation stattfinden, denen Sportler und Publikum herzlich egal sind. Hauptsache, die Sponsoren sind zufrieden mit den TV-Einschaltquoten und die eigenen Geldsäckel ebenfalls gut gefüllt – Pandemie und steigende Infektionszahlen hin, Corona-Tote her. (Mensch, hat keinen Auftritt mehr.)

(jk)