Missing Link: Wie sich China zur Normungsweltmacht aufschwingen will

Der Plan "China Standards 2035" hat Experten aufgeschreckt. Er zeigt, dass Peking die Normung als industrie-, geo- und machtpolitisches Instrument entdeckt.

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(Bild: rongyiquan/Shutterstock.com)

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Bis zum 100. Geburtstag der Volksrepublik im Jahr 2049 will China technologisch an der Weltspitze und souverän sein. Schon von 2030 an soll sich das Reich der Mitte nach dem Willen seiner Herrscher als Weltmacht in Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz (KI) inklusive biometrischer Gesichtserkennung, Cloud-Computing und autonomen Fahren etablieren. Es ist bereits seit einigen Jahren Weltmeister bei Patentanmeldungen. Parallel hat die Regierung in Peking die Macht des Setzens von Standards erkannt, um den technologischen Führungsanspruch auch durchzusetzen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Beim Wettlauf um Standards und Normen geht es generell nicht nur um internationale Geltung, sondern auch um finanzielle Gewinne. Wem der Standard gehört, der beherrscht den Markt, wird dem Erfinder und Industriellen Werner von Siemens gern als Zitat in den Mund gelegt. Oder wie es die parlamentarische Wirtschaftsstaatssekretärin Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) ausdrückt: "Wer den Standard bestimmt, hat beste Aussichten, sich auf dem Markt durchzusetzen."

Im Bereich der Computerprogramme gibt es sogar ein eigenes Wort für die Macht hausgemachter Normen: "Standardsoftware". Die deckt zwar nur einen eingegrenzten Anwendungsbereich ab, dafür funktioniert sie überall gleich und kann relativ einfach bedient werden. Seit die damals noch junge Firma Microsoft in den 1980ern Windows und später Office im Kampf gegen etablierte IT-Größen wie IBM in den Markt drückte, gehören das Betriebssystem und das Büropaket für viele nach wie vor trotz Open-Source-Alternativen zum "Standard".

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Neben der Einflussnahme auf die industriepolitische Ausrichtung spielen bei Normen auch Lizenzgebühren eine große Rolle. China hat hier bisher das Nachsehen: Da die meisten proprietären Standards in der Technologiebranche von ausländischen Unternehmen geschaffen werden, ist es global noch der zweitgrößte Zahler solcher Tantiemen.

Das soll sich ändern. Die kommunistische Staatsführung fährt mit ihrer neuen Strategie dazu mehrgleisig: Sie vereinheitlicht das nationale Normungswesen, bringt chinesische Experten verstärkt in internationale Foren wie die Internationale Organisation für Normung (ISO) und die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) ein und versucht, Standards mit der Initiative der "Neuen Seidenstraße" ("Belt and Road") über Handelskorridore in die beteiligten Länder vor allem in Afrika, Asien und auf dem Balkan zu exportieren. Dabei werden chinesische Überwachungstechniken gleich mit dort verankert und internationale Normungsbemühungen unterlaufen.

Frühe Industriestandards setzten vor allem europäische Länder wie Deutschland. Vor einigen Jahrzehnten übernahmen viele Staaten und Unternehmen auf der Welt noch einfach DIN-Normen. Heute werden Standards für das Internet dagegen vor allem von Gremien mit Sitz in den USA wie der Internet Engineering Task Force (IETF) oder dem World Wide Web Consortium (W3C) geschaffen. Im Internet der Dinge (IoT), bei der Industrie 4.0, den neuen Mobilfunkgenerationen 5G und 6G sowie anderen Zukunftstechnologien wie der E-Mobilität will Peking nun die Nase vorn haben.

China führe etwa bereits eine neue internationale Forschungsgruppe zur Standardisierung von IoT- und Blockchain-Lösungen an, erläutert Rebecca Arcesati vom Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin. Peking habe es auch geschafft, das erste Treffen des derzeit für die KI-Standardisierung besonders wichtigen SC42-Forums auszurichten und sich eine hohe einheimische Vertretung zu sichern.

Zugleich arbeitet das Land laut der Forscherin daran, die Spielregeln zu ändern: Es dränge auf eine kostengünstige Lizenzierung von Know-how, das in Standards eingebettet ist. So könnten chinesische Firmen vor allem Gewinne aus gesteigerten Produktverkäufen ziehen. Weniger Wert legten sie bislang auf die Verwertung von Immaterialgüterrechten, aber das könnte sich rasch ändern.