Missing Link: Wie sich China zur Normungsweltmacht aufschwingen will

Seite 2: "Chinese Standards 2035"

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Den Boden für den neuen Kurs bereitet hat vor allem das Forschungsprojekt "Chinese Standards 2035". Es wird oft in einem Atemzug mit dem Programm "Made in China 2025" für technologische Souveränität in Schlüsselbranchen zusammengebracht, das unter diesem Titel offiziell inzwischen aber nicht mehr verfolgt wird. Die beteiligten Partner wie das chinesische Normungsinstitut SAC, die Akademie für Ingenieurwissenschaften sowie Universitäten und Forschungseinrichtungen beschäftigten sich etwa mit der Frage, wie das Normungssystem politische Ziele unterstützen kann. Ihre Ergebnisse legten sie dem chinesischen Staatsrat Anfang 2020 vor.

Die wichtigsten Empfehlungen lauten, eine chinesische Normungsstrategie zu entwickeln und die einst fünf vor Ort gepflegten Standard-Formen auf zwei zu reduzieren: solche mit nationaler und globaler Relevanz. Letztere sollen von einschlägigen Institutionen oder Verbänden und Technologie-Allianzen erstellt werden. Ferner riet der Zirkel, die Qualität des chinesischen Normungswesen zu erhöhen und ein Standardisierungsforum für die "Neue Seidenstraße" einzurichten.

Einen offiziellen Schlussbericht hat der Projektverbund bislang nicht veröffentlicht, auch einen Regierungsbeschluss für ein darauf aufbauendes Programm gibt es noch nicht. Dem Vernehmen nach wurde ein unveröffentlichtes Papier dazu aber im Staatsrat als Vorlage für eine nationale chinesische Normungsstrategie diskutiert.

Die chinesische Botschaft in Berlin will sich dazu nicht direkt äußern. Einer ihrer Technologieexperten verwies aber auf die SAC-Webseite. Das Normungsinstitut veröffentlichte dort im Frühjahr ein Arbeitsprogramm für die nationale Normungsarbeit im Jahr 2021, das aus 90 kleinteiligen Punkten und Arbeitsaufgaben besteht. Es soll den Auftakt für die bis 2025 laufende "14. fünfjährige Planperiode" machen, sich letztlich aber bis 2035 auswirken. Ähnlichkeiten zum Ansatz des ursprünglichen Forschungsprojekts sind so unübersehbar.

Die Normung wird demnach in China eine stärkere Rolle etwa auch bei der Reduktion von CO2-Emissionen und der Wiederbelebung des ländlichen Raums spielen. Das SAC fordert zudem eine höhere Beteiligung an der internationalen Standardisierung. Nationale und internationale Normen sollen harmonisiert, Kooperationen auf diesem Feld ausgebaut werden.

Ganz im Sinne von "Chinese Standards 2035" betrug das Wachstum der Einreichungen aus dem Land bei ISO und IEC in den vergangenen Jahren je 20 Prozent. 2019 unterbreitete es dort insgesamt 238 Vorschläge für internationale Normen. Parallel reichten chinesische Firmen 830 technische Dokumente bei der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) ein – mehr als die drei nachfolgenden Staaten Südkorea, USA und Japan zusammen.

Für Stirnrunzeln im Westen sorgte dabei vor allem der Vorschlag des Netzausrüsters Huawei, der im Zentrum der 5G-Sicherheitsdebatte steht, für ein neues Internetprotokoll ("New IP"): China wolle damit sein Modell des staatlich kontrollierten Netzes "inklusive Massenüberwachung" und Filter salonfähig machen, warnt Sibylle Gabler, Leiterin Regierungsbeziehungen beim DIN. Zudem trieben chinesische Firmen über die ITU etwa die Standardisierung der nicht weniger umstrittenen automatisierten Gesichtserkennung massiv voran.

Prinzipiell begrüßt Gabler, dass sich das Reich der Mitte stärker bei der ISO und dem IEC einbringt. In diesen Organisationen sei Transparenz gegeben und alle Sachverständigen weltweit hätten die Möglichkeit, ihre Interessen zu vertreten: "Das ist natürlich viel vorteilhafter als der Versuch, chinesische Normen global zu verankern." Wichtig sei aber, "dass die internationalen Normen dann auch von allen unverändert übernommen und genutzt werden". Da hapert es: Laut dem Maschinenbauverband VDMA setzte China selbst ISO- und IEC-Normen 2010 noch zu 35 Prozent um. Diese bereits vergleichsweise niedrige Quote sei bis 2019 auf nur noch 24 Prozent gesunken.