Videoverbindungen erschweren Verhandlungen zwischen Betriebsräten und Managern

EU-weit klagen Betriebsräte über verschlechterte Verhandlungen mit Arbeitgebern. Die Schuld geben sie dem Umstieg auf Videokonferenzen.

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Mann sitzt alleine an ovalem Tisch, davor ein großer Bildschirm der mehrere Teilnehmer einer Videokonferenz zeigt

(Bild: Bernd von Jutrczenka / dpa)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Andreas Schuchardt

Virtuelle Meetings sparen oft Zeit und Geld. Doch wenn es um harte Verhandlungen mit konträren Positionen geht, behindern Bildschirme und Mikrofone mitunter die Verständigung. Das zeigen aktuelle Umfragen und Studien zu den Auswirkungen von Videokonferenzen auf Tarifverhandlungen und die Arbeit von Betriebsräten in Europa: Die Arbeitnehmervertretungen registrieren eine deutliche Verschlechterung der Verhandlungen und eine Verschärfung der Konflikte mit Firmenvorständen.

Seit Mai 2020 sind in Deutschland laut Paragraph 129 BetrVG auch Betriebsratsbeschlüsse rechtsgültig, die nicht in Präsenz, sondern per Telefon oder Videokonferenz getroffen werden. Mehr als ein Jahr später hat jetzt das zum Europäischen Gewerkschaftsbund gehörende Gewerkschaftsinstitut (ETUI) die Ergebnisse einer Befragung (PDF, englisch) von 476 Mitgliedern vorgelegt. Sie gehören Europäischen Betriebsräten (EBR) an, von denen in der EU rund 1100 existieren. Voraussetzung für ihre Gründung ist, dass eine Firma mindestens tausend Mitarbeiter hat, von denen mindestens 150 in einem anderen EU-Land arbeiten.

Den Aussagen der Befragten zufolge habe die Unterrichtung und Anhörung durch das jeweilige Management "erheblich gelitten". Zudem konstatiert ein Drittel der Betriebsräte eine Verschlechterung der internen Funktionsweise ihres EBR.

Vor Ausbruch der Pandemie wurden bei Präsenzsitzungen 78 Prozent der Betriebsräte regelmäßig über die Lage des Unternehmens informiert. Bei der aktuellen Befragung Anfang 2021 waren es nur noch die Hälfte. Während vor Corona in über der Hälfte der Fälle Anhörungen zu Umstrukturierungsplänen der Unternehmensleitung stattfanden, hat sich dieser Anteil während der Pandemie auf ein Viertel halbiert. Infolgedessen ist die Zahl "ernsthafter Konflikte" zwischen Betriebsräten und Vorstandsetagen gegenüber dem Vorjahr von 7 auf 19 Prozent gestiegen.

Zudem berichten EBR-Angehörige von Behinderungen ihrer Arbeit. Laut ETUI hat jedes neunte EBR-Mitglied trotz gesetzlicher Vorgaben keine angemessene Ausrüstung für Onlinekonferenzen erhalten, und knapp ein Drittel keine ausreichende technische Einweisung erfahren. Jedes vierte Mitglied musste auf Dolmetscher verzichten, die beispielsweise für die Verständigung einer deutschen mit einer ungarischen Niederlassung dringend notwendig sind.

In einer Umfrage der ETUI äußerten sich die Telnehmer skeptisch gegenüber Videokonferenzen.

(Bild: Bild: aus ETUI-Umfrage)

Eine übergroße Mehrheit sprach sich für eine Rückkehr zu Präsenzsitzungen aus. Diese verbesserten nicht nur die interne Zusammenarbeit der Betriebsräte, sondern auch den Meinungsaustausch mit Managern.

In diesem Punkt stimmten ihnen auch Personalchefs zu, die zusammen mit Betriebsräten von der französischen Denkfabrik Réalités du Dialogue Social (RDS) Anfang Mai für eine Studie (PDF, französisch) interviewt wurden: Vertreter beider Seiten berichten dort, dass Online-Meetings mit höherem Tempo ablaufen, bei dem die nicht sichtbare Körpersprache ein gegenseitiges Verständnis beeinträchtige und zu Verzerrungen führe. Betriebsräte hatten zuweilen den Eindruck, dass die Arbeitgeberseite die Distanz nutze, "um Dinge beiseitezuschieben oder durchzusetzen, die ansonsten nicht akzeptabel wären".

Ebenso relativieren sie die angebliche Zeitersparnis virtueller Zusammenkünfte. Denn die Vorbereitungen erforderten deutlich mehr E-Mails und Telefongespräche. Das bestätigt auch eine neue Untersuchung der Nationalen Agentur zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen (ANACT) aus Frankreich (PDF, französisch): Von den 1415 Unternehmer- und Beschäftigtenvertretern sagen 40 Prozent, dass die Vorbereitung von Onlinesitzungen mehr Zeit braucht. Zwei Drittel sehen insgesamt erhöhte Arbeitsbelastung zur Aufrechterhaltung des sozialen Dialogs.

Bei den von der Denkfabrik RDS Befragten herrscht Einigkeit darüber, dass der direkte persönliche Kontakt unerlässlich sei, "denn enge menschliche Beziehungen sind das Herzstück des sozialen Dialogs". Fürsprecher einer Virtualisierung derartiger Verhandlungen könnten am Ende die sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit torpedieren und womöglich ungewollt einen Klassenkampf alter Prägung fördern.

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(hag)