Problematische Führungskräfte: "Die Mehrzahl der Chefs ist ungeeignet"

Mit dem Aufstieg kommt oft Personalverantwortung dazu. Das können viele Vorgesetzte weniger gut – doch schlechte Chefs sind häufig ein Kündigungsgrund.

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Autosuggestion allein macht noch keine gute Führungskraft.

(Bild: Charles-Edouard Cote/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Der Angriff auf die Computer des Unternehmens war nicht der erste, doch diesmal waren die Hackerinnen gefährlich tief in die Systeme vorgedrungen. Der Geschäftsführer des großen mittelständischen Unternehmens drängte bei seinem CIO auf einer Lösung. Dieser IT-Leiter schlug vor, eine Spezialistin oder einen Spezialisten für Cyber-Security einzustellen. Der Geschäftsführer genehmigte zügig das Budget für die neue Stelle, bis der CIO aber jemanden fand, verging fast ein halbes Jahr.

Dann endlich fing Benjamin Bertrand als IT-Sicherheitsspezialist in der Firma an. Der junge Mann hatte fachlich und menschlich überzeugt und der CIO erwartet von seinem neuen Mitarbeiter, dass er die Löcher in den IT-Systemen rasch stopfte. Bertrand schaffte nicht nur das. Er erstellte ein IT-Sicherheitskonzept, plante Schulungen für Mitarbeiter und Regeln für den Umgang mit Daten. Sein direkter Vorgesetzter, der CIO, lehnte ihm gegenüber manches schroff ab – doch kurz darauf wurden die Ideen doch umgesetzt.

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Bertrand wunderte sich und als im Kollegenkreis drüber gesprochen wurde, erfuhr er, dass der CIO schon öfters Ideen seiner Mitarbeiter als seine eigenen bei seinem Vorgesetzten verkauft hat. Das wollte sich Bertrand nicht gefallen lassen und beschwerte sich daraufhin beim Geschäftsführer. Vier Wochen später war Bertrand großzügig abgefunden und das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen gelöst. Was war passiert? Bertrand musste gehen, weil in hierarchischen Konstellationen fast immer den letzten die Hunde beißen.

"Hätte der Geschäftsführer dem jungen Security-Spezialisten recht gegeben, dann hätte er seinem CIO in den Rücken fallen müssen", sagt Jürgen Hesse. Der Psychologe ist Karrierecoach und hat solche Geschichten über Chefinnen und Chefs, die ihren Mitarbeitern Erfolg missgönnen, schon oft gehört. In seinem Büro für Berufsstrategie werden Berufseinsteiger, Berufserfahrene und Führungskräfte in allen wichtigen Themen der Bewerbung, Karriere und Arbeitswelt unterstützt. So auch Benjamin Bertrand, der mit seinem richtigen Namen nicht genannt werden wollte.

Schlechte Chefs wie seinen gibt es viele. Hesse befürchtet, dass mehr als die Hälfte aller Vorgesetzten für Personalführung ungeeignet und jeder Zehnte sogar bösartig in seiner Funktion als Führungskraft ist. Nur ein Fünftel aller Chefs hält er für wirklich fähig in der Mitarbeiterführung. Seine Vermutungen stützt eine Umfrage der Unternehmensberatung Compensation Partner vor zwei Jahren, nach der Vorgesetzte der häufigste Grund für eine Kündigung durch die Beschäftigten sind: in 45 Prozent aller Kündigungen fühlten sie sich zu wenig wertgeschätzt durch den Chef.

"Dies ist schon mehrfach untersucht und bestätigt worden. Manchmal sind aber auch die Mitarbeitenden mit Schuld, wenn sie unter einer schlechten Vorgesetzten leiden", sagt Hesse. Wer kein gutes Elternhaus hatte, sucht sich mitunter auch leider einen schlechten Chef. Der Arbeitsplatz ist wie eine Familie: Kollegen sind die Geschwister, Chefs wie Mutter oder Vater. Wer kein gesundes Ego hat, lässt eher schlecht mit sich umgehen, weil er oder sie es nicht anders kennt.

Woran erkennt man aber einen fähigen Chef? "Ein guter Chef sammelt gute Leute um sich. Er ist der Dirigent eines Ensembles, wird aber nicht zum Solisten", sagt Hesse. Der fähige Chef befriedigt nicht seine eigenen Bedürfnisse, sondern fördert seine Mitarbeiter, damit sie besser werden, ohne auf deren Erfolg neidisch zu sein. Ein guter Chef sollte fair sein und kommunizieren können. Am letztgenannten mangelt es nach Meinung von Hesse häufig, insbesondere bei Informatikern, "weil die typischerweise nicht zu den Berufsgruppen mit starken Sozial-Kommunikativen-Kompetenzen gehören". Dies ist eine weitverbreitete Meinung.

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Führung lernt man am ehesten im Leben. "Wer seine Fähigkeiten darin testen will, sollte einige Tage mit guten Freunden verreisen", sagt Hesse. Dabei stellt sich schnell heraus, wer besser oder schlechter führt, denn gute Freunde geben hoffentlich ein ehrliches Feedback. Weitere Möglichkeiten bestehen im Sportverein oder als Elternvertreter in der Schule. Von Seminaren ‚So werde ich ein guter Chef‘ hält Hesse wenig. "Das ist eher graue Theorie, die nicht viel bringt." Die Wirklichkeit ist oft ganz anders als auf dem Papier.

So müssen sich Beschäftigte Kritik gefallen lassen, wenn ein Projekt nicht läuft wie verabredet und geplant. "Aber systematisch niedermachen lassen, das sollte sich niemand", sagt Hesse. Denn das demotiviert und macht auf Dauer krank. Keine Zeit für die Mitarbeiter zu haben geht auch nicht. "Dafür sind Vorgesetzte schließlich da", sagt Hesse. Sie sollten die Probleme der Beschäftigten anhören und Lösungen anbieten oder über ihre Ideen diskutieren und gute Vorschläge voranbringen. Sie aber nicht zu klauen und als eigene zu verkaufen, wie es der Vorgesetzte von Benjamin Bertrand getan hat.

Viele der heutigen Vorgesetzten sind bis vor etwa 15 Jahren hierarchisch aufgestiegen und haben so immer mehr Verantwortung für Personal übernommen, ohne zu wissen, wie das richtig geht. "Seitdem wird im Sinne einer Optimierung der Leistung von Mitarbeitern etwas mehr darauf geachtet, wer zum Vorgesetzten gemacht wird", sagt Hesse. Die wirklich problematischen Chefs in spe jedoch können sich geschickt tarnen und werden selbst von eher angeknacksten Vorgesetzten ausgewählt und gefördert.

Hesse plädiert deshalb dafür, Vorgesetzte sehr sorgfältig auszusuchen, auch unter Beteiligung der Mitarbeiter. "Ich empfehle eine tiefenpsychologische Analyse für die Auswahl von Vorgesetzten mit Personalführung", sagt Hesse. Die ist zwar aufwendig, bringt aber viel. Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrem Vorgesetzten zufrieden sind, sind sie ihrem Arbeitgeber gegenüber loyaler. In Zeiten von Fachkräftemangel sollten die Unternehmen also peinlichst darauf achten, gutes Führungspersonal zu haben. (vbr)