Wie eine neue Generation von KI-Robotern die Lagerhäuser übernimmt

In wenigen Jahren könnten Arbeitsschritte, für die jetzt noch Menschen benötigt werden, robotisiert sein.

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(Bild: Osaro)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Karen Hao
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Deep Learning und neuartige neuronale Netze machen es möglich: Fortschrittliche KI-gesteuerte Roboter schaffen es mittlerweile, mit nahezu jeder Art von Objekt zurechtzukommen. Das macht sie zu sicheren Kandidaten für einfache Tätigkeiten wie das Packen von Paketen in Warenhäusern – ein Job, der bislang vor allem Menschen vorbehalten war.

Bisherige kommerzielle Roboter waren auf die Ausführung von Aufgaben mit wenig Variation beschränkt: Sie konnten Paletten entlang festgelegter Pfade bewegen und dabei vielleicht ein wenig ausweichen, um Hindernissen aus dem Weg zu fahren. Die neuen Roboter, die in der Lage sind, Objekte unterschiedlicher Form und Größe in zuvor nicht eingeübten Ausrichtungen zu manipulieren, könnten der Automatisierung ganz neue Aufgaben eröffnen.

Vor der Pandemie befand sich die Technologie noch in der Erprobungsphase. Doch nun scheint sie bereit fürs Rampenlicht. Seit die Nachfrage im E-Commerce in die Höhe geschossen ist und der Arbeitskräftemangel zunahm, sind KI-gesteuerte Roboter von einem Nice-to-have zu einer Notwendigkeit geworden. In den USA ist die Technik besonders weit.

Covariant, eines der vielen Start-ups, die an der Entwicklung der Software für die Steuerung dieser Systeme arbeiten, verzeichnet nach eigenen Angaben eine rasch steigende Nachfrage in Branchen wie Mode, Kosmetik, Pharma und Lebensmittel – genauso wie sein engster Konkurrent Osaro. Kunden, die einst nur an Pilotprogrammen teilnahmen, gehen dazu über, KI-gesteuerte Roboter dauerhaft in ihre Produktionslinien zu integrieren.

Knapp, ein Unternehmen für Lagerlogistiktechnik und einer der ersten Kunden von Covariant, das Ende 2019 mit der Erprobung der Systeme begonnen hat, gibt ann, dass es jetzt "eine volle Pipeline von Projekten" weltweit gebe, einschließlich der Nachrüstung alter Lager und der Entwicklung völlig neuer Warehousing-Anlagen, die für die Arbeit von Covariants Kommissionierrobotern an der Seite von Menschen optimiert sind.

Derzeit sind etwa 2.000 KI-gesteuerte Roboter im Einsatz, wobei in einem typischen Lagerhaus ein oder zwei Roboter stehen, schätzt Rian Whitton, der bei ABI Research den Markt für Industrieroboter analysiert. Aber die Branche hat einen Wendepunkt erreicht – und er sagt voraus, dass jedes Lagerhaus bald mehr als 10 Roboter beherbergen wird, wodurch die Gesamtzahl in den nächsten Jahren auf zehntausende Automaten ansteigen wird. "Die Skalierung erfolgt ziemlich schnell", sagt er. Die Pandemie sei ein Treiber.

In den letzten zehn Jahren haben der Online-Einzelhandel und die Versandbranche immer mehr ihrer Lagerhäuser automatisiert, wobei die großen Unternehmen eine Vorreiterrolle spielen. Im Jahr 2012 erwarb Amazon Kiva Systems, ein in Massachusetts ansässiges Robotikunternehmen, das autonome mobile Roboter herstellt, die in der Branche als "AMR" bekannt sind. Sie transportieren Warenregale, so dass der Arbeiter nicht mehr zu den Regalen laufen muss. Im Jahr 2018 begann FedEx mit dem Einsatz seiner eigenen AMRs, die von einem anderen Startup namens Vecna Robotics aus Massachusetts entwickelt wurden. Im selben Jahr machte der britische Online-Supermarkt Ocado Schlagzeilen mit seinem hochautomatisierten Fulfillment-Center in Andover, England, in dem ein riesiges Netz von Robotern an Metallgerüsten entlang sauste.

Es gibt jedoch einen Grund dafür, dass diese ersten Automatisierungswellen vor allem in Form von AMRs stattfanden. Aus technischer Sicht ist das Bewegen von Objekten von A nach B eine der einfachsten Aufgaben, die Roboter lösen können. Die weitaus schwierigere Herausforderung besteht darin, Objekte so zu manipulieren, dass sie aus Regalen und Behältern entnommen und in Kartons und Tüten verpackt werden können, wie es menschliche Arbeiter mit ihren Händen tun.

Darauf hat sich die neueste Generation von Robotikunternehmen wie Covariant und Osaro spezialisiert – eine Technologie, die erst Ende 2019 kommerziell nutzbar wurde. Im Moment sind solche Roboter am besten für eher einfache Aufgaben geeignet – wie das Aufheben von Gegenständen und das Ablegen in Kisten. Doch beide Start-ups arbeiten bereits mit Kunden an komplizierteren Bewegungsabläufen, einschließlich des automatischen Verpackens, bei dem die Roboter mit zerknitterten, schwer zu greifenden oder durchsichtigen Materialien arbeiten müssen. In wenigen Jahren könnte jede Aufgabe, die bisher von Hand erledigt werden musste, teilweise oder vollständig automatisiert sein.

Einige Unternehmen haben bereits damit begonnen, ihre Lager umzugestalten, um diese neuen Möglichkeiten besser nutzen zu können. Knapp zum Beispiel ändert sein Bodenlayout und die Art und Weise, wie es die Waren verteilt, um zu berücksichtigen, welcher "Arbeitertyp" – Roboter oder Mensch – besser für die Handhabung verschiedener Produkte geeignet ist. Bei Gegenständen, die für Roboter immer noch schwierig zu handhaben sind, wie z. B. ein Netzbeutel mit Murmeln oder empfindliche Keramik, schickt ein zentraler Routing-Algorithmus diese zurück an eine Station mit menschlichen Kommissionierern. Leichter handhabbare Gegenstände – wie Haushaltswaren und Schulbedarf – werden an eine Station mit Robotern geschickt.

Derik Pridmore, Mitbegründer und CEO von Osaro, prognostiziert, dass in Branchen wie dem Modeversand vollautomatische Lager innerhalb von zwei Jahren in Betrieb genommen werden könnten, da Kleidung von Robotern relativ leicht zu handhaben ist. Das heißt aber nicht, dass alle Lagerhäuser bald automatisiert sein werden. Es gebe Millionen von ihnen auf der ganzen Welt, sagt Michael Chui, ein Partner beim McKinsey Global Institute, der die Auswirkungen von IT auf die Wirtschaft untersucht. "Die Umrüstung all dieser Einrichtungen kann nicht über Nacht erfolgen", sagt er. Nichtsdestotrotz wirft der jüngste Automatisierungsschub Fragen zu den Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und ihre Arbeitsplätze auf.

Frühere Automatisierungswellen haben den Forschern mehr Daten darüber geliefert, was zu erwarten ist. Eine kürzlich durchgeführte Studie, die erstmals die Auswirkungen der Automatisierung auf Unternehmensebene analysierte, ergab, dass Unternehmen, die Roboter vor anderen in ihrer Branche einführten, wettbewerbsfähiger wurden und stärker wuchsen, was sie dazu veranlasste, mehr Mitarbeiter einzustellen. "Der Verlust von Arbeitsplätzen kommt von Unternehmen, die keine Roboter eingeführt haben", sagt Lynn Wu, Professorin am Wharton College und Mitverfasserin der Studie. "Sie verlieren ihre Wettbewerbsfähigkeit und entlassen dann Arbeiter."

Doch wie die Mitarbeiter von Amazon und FedEx bereits erlebt haben, werden sich die Arbeitsplätze für Menschen verändern. Aufgaben wie das Verpacken von Kartons oder Tüten werden verdrängt, während neue hinzukommen werden – einige stehen im direkten Zusammenhang mit der Wartung und Überwachung der Roboter, andere ergeben sich aus Sekundäreffekten der Abarbeitung von mehr Aufträgen, die eine Ausweitung der Logistik- und Liefertätigkeiten erfordern. Mit anderen Worten: Die Arbeit mit mittlerer Qualifikation wird zugunsten von Arbeit mit geringer und hoher Qualifikation verschwinden, sagt Wu: "Wir brechen die Karriereleiter auf und höhlen die Mitte aus".

Anstatt zu versuchen, den Trend zur Automatisierung zu stoppen, so die Experten, sollte man sich lieber darauf konzentrieren, den Übergang zu erleichtern, indem man den Arbeitnehmern bei der Umschulung hilft und neue Möglichkeiten für die berufliche Entwicklung schafft. "Aufgrund der Überalterung gibt es weltweit eine Reihe von Ländern, in denen die Zahl der Arbeitskräfte bereits abnimmt", sagt Chui. "Die Hälfte unseres Wirtschaftswachstums ist darauf zurückzuführen, dass in den letzten 50 Jahren mehr Menschen gearbeitet haben, und das wird nun wegfallen." Es sei also dringend notwendig, die Produktivität zu steigern – und diese Technologien könnten dabei helfen. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer auch davon profitieren."

(bsc)