Twitter: Ausweis- und Kontenchecks helfen nicht gegen Rassismus und Hetze

Nach der Fußball-EM hat Twitter analysiert, welche Nutzer wegen rassistischer Hassbeiträge automatisiert gesperrt wurden. 99 Prozent davon waren nicht anonym.

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(Bild: InFootage.com/Shutterstock.com)

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Eine Identitätsüberprüfung von Nutzern hätte rassistische Aufrufe zu Hass und Hetze während der Fußball-EM im Juli "wahrscheinlich nicht verhindert". Zu diesem Schluss kommt Twitter in einer jetzt veröffentlichen Analyse zu Beiträgen und Konten, die während des Sportturniers auf der Plattform gelöscht beziehungsweise gesperrt wurden. Zumindest von den dauerhaft gesperrten Accounts konnten demnach 99 Prozent der Inhaber identifiziert werden. Die betroffenen Mitglieder des sozialen Netzwerks posteten also fast ausnahmslos unter ihrem Klarnamen.

Im Vorfeld der EM hat der Plattformbetreiber nach eigenen Angaben im Rahmen seiner allgemeinen Arbeit mit den Fußballbehörden spezielle Pläne entwickelt, "um rassistische und missbräuchliche Tweets, die sich gegen das englische Team" und die gesamte Meisterschaft richteten, "schnell zu identifizieren und zu entfernen". Nach den" entsetzlichen Beschimpfungen gegen Mitglieder der englischen Mannschaft in der Nacht des Endspiels" hätten die eingesetzten automatisierten Werkzeuge "sofort gegriffen" und 1622 Tweets auch in den 24 Stunden nach dem Finale "identifiziert und entfernt".

Die Londoner Metropolitan Police hatte am Abend nach dem Abschlussspiel erklärt, die Welle rassistischer Beschimpfungen im Internet zu untersuchen. Diese hatte sich gegen die schwarzen Spieler der englischen Fußballmannschaft nach der Niederlage gegen Italien gerichtet. Bukayo Saka, Marcus Rashford und Jadon Sancho, die alle farbig sind, hatten an dem entscheidenden Elfmeterschießen teilgenommen. Im Anschluss wurden sie auf Social-Media-Seiten massiv angefeindet.

Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan forderte die Betreiber damals umgehend auf, rassistische Inhalte zu löschen und die Verantwortlichen für Online-Missbrauch zur Rechenschaft zu ziehen. "Es gibt absolut keinen Platz für Rassismus im Fußball oder irgendwo sonst", betonte er auf Twitter. "Diejenigen, die für den widerlichen Online-Missbrauch, den wir gesehen haben, verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden." Social-Media-Unternehmen müssten "sofort handeln, um diesen Hass zu entfernen und zu verhindern".

Insgesamt habe man über 90 Prozent der Tweets, die in den ersten Stunden rund um das Finale wegen Missbrauchs entfernt worden seien, "proaktiv entdeckt", heißt es in der Twitter-Analyse. "In den darauffolgenden Tagen haben wir weiterhin verletzende Inhalte entfernt, sobald sie auf der Plattform veröffentlicht wurden. Bis zum 14. Juli wurden 1961 Tweets proaktiv nach dem Finale entfernt, insgesamt 126 aufgrund von Meldungen." Die meisten einschlägigen Beiträge seien aus Großbritannien abgesetzt worden.

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"Wir arbeiten auch weiter daran, die Sichtbarkeit dieser Art von Inhalten zu verringern", unterstreicht der Anbieter. Tatsächlich seien nur zwei Prozent der nach dem Finale gelöschten Tweets auf mehr als 1000 Aufrufe gekommen. Rassistisches Verhalten spiegele nicht die Ansichten der großen Mehrheit der Twitter-Nutzer wider. So sei das Wort "stolz" am Tag nach dem Endspiel häufiger verwendet worden "als an jedem anderen Tag in diesem Jahr". Viele Menschen hätten so "ihre Unterstützung für die englische Mannschaft zum Ausdruck" gebracht.

Twitter hatte erst im Mai die nun im Kampf gegen Hass und Hetze als nicht sonderlich tauglich eingestufte Verifizierung von Konten wieder aufgenommen. Sie pausierte vorher seit November 2017. Damals hatte es unter anderem Kritik daran gegeben, dass just der Organisator einer rassistischen Demonstration einen überprüften Account hatte. Twitter will mit dem Signet grundsätzlich zeigen, dass "ein Account von öffentlichem Interesse authentisch ist".

Wer das blaue Häkchen bekommen will, muss seine Identität zunächst nachweisen etwa über die Vorlage eines amtlichen Ausweises. Auch eine offizielle E-Mail-Adresse oder den Link zu einer Webseite der eigenen Organisation können ausreichen. Nach den aktuellen Leitlinien können etwa Behörden, Unternehmen und ihre Marken, Organisationen sowie Sportler, Schauspieler und Journalisten ein verifiziertes Konto beantragen.

Hierzulande gibt es immer wieder Rufe nach einer gesetzlichen Klarnamenpflicht für soziale Medien und andere Online-Portale. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) etwa hat Anonymität im Netz wiederholt als Problem ausgemacht. Sie enthemmt ihm zufolge ein Stück weit und führe zu "Schweinereien, Widerlichkeiten", die es so "in der realen, analogen Welt" nicht gebe. Auch aus der SPD gab es wiederholt Forderungen, dass Diensteanbieter Nutzer identifizieren sollten. Mittlerweile setzt die Partei auf eine zielgerichtete "Login-Falle".

(tiw)