Fan-Datenbank der Polizei Bayern: "Neue Dimension polizeilicher Datensammelwut"

In Bayern ist eine Datenbank bekannt geworden, in der die Polizei als verdächtig geltende Fußball-Fans erfasst. Juristen finden sie verfassungswidrig.

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Berittene Polizei vor der Münchner Arena.

(Bild: LKA Bayern)

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Unter Anhängern bayerischer Fußballvereine erregt zurzeit eine Datenbank Unruhe, die vom bayerischen Landeskriminalamt geführt wird. In der "EASy Gewalt und Sport" genannten Sammlung werden seit dem 24. Januar 2020 Personen erfasst, die durch Straf- oder Ordnungswidrigkeiten in Erscheinung getreten sein sollen.

Zurzeit sind in der Datenbank 1664 Personen erfasst, geht aus einer Antwort des bayerischen Innenministeriums (PDF) auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Maximilian Deisenhofer und Katharina Schulze hervor. Mit "EAsy GS" will die Polizei "bereits vorhandene relevante personenbezogene Erkenntnisse" zusammenführen und mit einer Analysesoftware auswerten, um vorab Personen identifizieren zu können, die wiederholt auf Sportveranstaltungen aufgefallen sind.

Der Katalog an Auffälligen reicht von "Gewalttaten gegen Personen oder Sachen", "Zusammenschließen zu gemeinschaftlichen friedensstörendem Handeln, Gewaltverherrlichende, rassistische, fremdenfeindliche, extremistische Handlungen" bis hin zu "Anbringen von Graffiti, Schmierschriften oder Aufklebern" und "besteigen von Zäunen und Bauten oder Betreten der Spielfläche".

Die Einträge nehmen "szenekundige Beamte" vor, also Ermittler und Sachbearbeiter, die explizit mit dem Phänomenbereich Gewalt und Sport betraut sind. Für die Datenbank werden personenbezogene Daten von öffentlichen Stellen aus dem gesamten Bundesgebiet und außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes herangezogen, heißt es in der Antwort des Innenministeriums. "Hierbei handelt es sich u. a. um Informationen zu Ermittlungsverfahren, welche außerhalb Bayerns gegen Anhänger bayerischer Vereine oder Personen mit Wohnsitz in Bayern geführt wurden."

Das Innenministerium listet unter anderem auf, dass 556 Anhänger des 1.FC Nürnberg, 407 des TSV München 1860 und 248 des FC Bayern München erfasst sind. Die jeweiligen Gründe, warum einzelne Personen erfasst sind, kann das Ministerium nicht nennen. Personen würden nicht "auf Basis eines einzelnen relevanten Sachverhalts" gespeichert, "sondern auf Grundlage einer Individualprognose". Dafür maßgeblich seien Faktoren wie der Status der Person, sei sie also beschuldigt, betroffen oder sonstiges.

Die personenbezogenen Daten werden so lange in EAsy GS gespeichert, wie dies "zur Erfüllung der polizeilichen Aufgaben erforderlich ist". Dabei gibt es je nach Kategorie Speicherprüffristen, die von zwei bis zehn Jahre reichen. Das Ministerium tausche sich nach eigenen Angaben "seit einziger Zeit" mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz über die Datenbank aus. Die Gespräche seien noch nicht abgeschlossen.

Die Arbeitsgemeinschaft Fananwälte, deren Mitglieder regelmäßig Fußballfans vertreten, spricht von einer "neue Dimension polizeilicher Datensammelwut" (PDF). Die bayerische Polizei habe im Verborgenen eine weitere Überwachungssoftware über Fußballfans eingeführt. Diese gehe weit über die bundesweite Datei "Gewalttäter Sport" – auch "Hooligan-Datei" genannt – hinaus, in der 500 Personen aus Bayern erfasst seien. Unter den in EAsy GS gespeicherten Personen hätten sich die meisten nicht strafbar gemacht; die Personen würden auch nicht darüber informiert, dass sie erfasst wurden. Darüber hinaus würden sie zu einem wesentlichen Teil nach subjektiven Einschätzungen durch Polizeibeamte eingetragen.

"Man kann in der Datensammlung landen, wenn die Polizei meint, dass von einer Person die Gefahr des Anbringens von Aufklebern oder eine überhaupt nicht näher definierte Gefahr ausgeht", schreiben die Fananwälte. Selbst wenn ein Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, solle eine Person aus der Datei nicht gelöscht werden, wenn sie eindeutig beweise, dass sie unschuldig ist. "Diese Datei greift erheblich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG ein und ist in dieser Form verfassungswidrig."

Die Fananwälte fordern, dass die Datei abgeschafft wird. Auch müssten die betroffenen Personen unverzüglich informiert werden, wenn sie in EASy GS eingetragen sind und umfassende Auskunft über die über jeweils gespeicherten Daten erhalten. Wer selbst über eine Eintragung Auskünfte einholen will, kann das über ein Auskunft-Formular machen.

Update 20. August 2021, 11.40 Uhr: Der bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz steht mit dem Innenministerium über die Einführung und den Betrieb von "EAsy GS" in kritischem Austausch, erklärte ein Sprecher gegenüber heise online. Den Landesbeauftragten beschäftigten solche Speicherungen personenbezogener Daten etwa seit 2017, ausgehend von den sogenannten regionalen Arbeitsdateien verschiedener Polizeipräsidien.

Die Polizei dürfe personenbezogene Daten nach dem Polizeiaufgabengesetz in Akten oder Dateien speichern und verarbeiten, wenn dies erforderlich sei, um ihre Aufgaben zu erfüllen, zeitlich befristet zu dokumentieren oder Vorgänge zu verwalten. Angesichts der hauptsächlich präventiven Ausrichtung "EAsy GS" Datei sei es hier oft als erforderlich zu werten, "szenetypische" Daten zu speichern, meint der Landesbeauftragte. Das gelte ebenso für die Verarbeitung von Daten aus dem Kontext von Straftaten oder Sicherheitsstörungen, die für die Risikoeinschätzung in den Stadionbereichen bedeutend seien. Allerdings sei im Einzelfall zu beurteilen, ob die polizeiliche Datenverarbeitung gerechtfertigt sei.

Nach dem Polizeiaufgabengesetz müsse das Innenministerium einer solchen Datenbank zustimmen, der Beauftragte für den Datenschutz müsse darüber informiert werden, es bedürfe aber nicht seiner Genehmigung. "Der Landesbeauftragte prüft aber regelmäßig zumindest die Plausibilität der übersandten Errichtungsanordnungen", heißt es in einer Mitteilung an heise online. Datenschutzrechtliche Auffälligkeiten würden eine vertiefte Prüfung veranlassen, die Polizei bekomme dazu Rückmeldungen. "Bei den hier in Rede stehenden Dateien sind diese Rückmeldungen Teil eines kontinuierlichen Abstimmungsprozesses."

Der Datenschützer plädiert dafür, dass Personen benachrichtigt werden, wenn sie in der Datei erfasst werden. "Aus datenschutzrechtlicher Sicht wäre eine entsprechende Regelung daher zu begrüßen. Diese Auffassung hat der Landesbeauftragte auch gegenüber dem Innenministerium vertreten."

(anw)