"Team Wallraff": Angstkultur, Dumping und Retouren-Zerstörung bei Amazon

Undercover-Reporter um Günter Wallraff erheben schwere Vorwürfe gegen Amazon: der Konzern beute Mitarbeiter aus und umgehe hiesige Gesetze.

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(Bild: TV Now)

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158 Pakete verschickt Amazon pro Sekunde, teils werden sie noch am selben Tag an weltweit über 300 Millionen Kunden geliefert. Doch der Service des E-Commerce-Imperiums hat seinen Preis, wollen Reporter vom "Team Wallraff" herausgefunden haben. Sie berichteten am Donnerstagabend zur Primetime auf RTL in der Sendung "Undercover bei Amazon" über Sozial- und Lohndumping, ein System der Ausbeutung, Überwachung und Angst bei dem Versandriesen.

Den Journalisten um Enthüller Günter Wallraff gelang es demnach, sich in unterschiedliche Unternehmensbereiche einzuschleusen und dort zu recherchieren. Über ein Jobangebot bei eBay-Kleinanzeigen wurde Reporter Alexander Römer etwa zum Paketausfahrer für Amazon in Berlin. Angestellt war er aber nicht bei dem Online-Großhändler direkt. Vielmehr gelangt er in ein undurchsichtiges Firmengeflecht: Die Vertragsunterzeichnung findet bei der Sicherheitsfirma Pignus als Subunternehmen statt, die wiederum eine weitere Firma beschäftigt.

Römer wurden zunächst 11 Euro brutto die Stunde versprochen. Letztlich erhielt er nur 7,78 Euro, da das Arbeitspensum in der vorgegebenen Zeit nicht zu schaffen war. Das ist weit unter Mindestlohn und laut Experten ein Gesetzesverstoß. Arbeitsrechtler Sven Jürgens zufolge ist Amazon als oberste Instanz in der Pyramide bei Schwierigkeiten fein raus. Gleichzeitig entstehe ein Preisdruck bei den Auftragnehmern.

Doch der investigative Journalist stößt in dem Beitrag auf weitere Missstände. Zuspätkommen, zu schnelles Fahren, zu langsames Arbeiten, Kundenbeschwerden - all das gebe Strafpunkte auf dem "Konto" der Fahrer. Bei zu vielen davon oder Kundenbeschwerden drohe die Kündigung. Das Verhalten der Auslieferer werde mittels Scanner und App erfasst. Amazon wisse so zu jedem Zeitpunkt über den Fahrer und seine Tour Bescheid, die mit Pause neun Stunden haben soll. Schaffe er das zugeteilte Pensum wider Erwarten, bekomme er am Folgetag noch mehr Pakete zugeteilt oder müsse Kollegen helfen.

Überschreitet der Fahrer die Arbeitszeit, melden sie sich der Sendung zufolge oft per Scanner im Konto eines Kollegen. So könne das Arbeitszeitgesetz trickreich umgangen werden. Konfrontiert mit den Recherchen erklärte Amazon, die Zusammenarbeit mit Pignus aktuell ruhen zu lassen und die Behauptungen zu untersuchen. Der Partner sei ferner angewiesen worden, nicht weiter mit anderen Unternehmen zusammenzuarbeiten, um Amazon-Pakete zuzustellen.

Lkw-Fahrer für längere Touren kämen oft aus Osteuropa oder Weißrussland, seien bei einer Sub-Firma in Litauen beschäftigt und würden mit Minibussen zu ihren Einsätzen in Deutschland gebracht, berichtet Römer. Eigentlich stehe ihnen in Deutschland ein Mindestlohn von 9,60 Euro die Stunde zu. Für die litauische Spedition gelte dies aber nicht. Warten die Fahrer vor den Toren von Amazon-Niederlassungen auf die Beladung, stünden ihnen oft nur mobile Aufstellklos zur Verfügung. Der Konzern hält dagegen, es gebe an allen Standorten "Trucker-Lounges mit Kaffeemaschinen, Essensautomaten und Toiletten".

Ein nur unter seinem Vornamen Daniel eingeführter Reporter heuert derweil über eine Zeitarbeitsfirma als Lagerarbeiter bei Amazon in Krefeld an. 350.000 Pakete sortiert er hier mit seinen Kollegen pro Tag. Alle Angestellten erhalten einen Scanner, der laut einem Informanten auch die Leistung und die Pausenzeiten der Mitarbeiter überwacht und die entsprechenden Daten an Manager weitergibt. Auch Kameras mit intelligenten Analysefähigkeiten überwachten jeden Schritt der Mitarbeiter. Feste Arbeitsplätze sollen laut Amazon aber nicht gefilmt oder technisch geschwärzt werden. Zugriff hätten nur Techniker und Sicherheitspersonal.

Nach einem Wechsel in das Werk Duisburg wuchtet der Rechercheur bis zu 3200 Pakete am Tag auf die Transportbänder, 17 Kilometer habe er dabei in einer Schicht zurückgelegt. Für den Toilettengang bedürfe es der Erlaubnis des Vorarbeiters. Eine Zeugin habe erzählt, dass Kollegen sich krank zur Arbeit schleppten aus Angst, ihre Stelle zu verlieren. Sie selbst sei trotz schwerer Verletzung hingegangen, da sie sonst ihren Festvertrag wohl kaum bekommen hätte. Ein Mitarbeiter habe sich sogar im Urlaub notwendiger Operationen unterzogen.

Aus dem Amazon-Werk in Bad Hersfeld meldet "Giuliano" aus dem Wallraff-Team ähnliche Zustände, auch hier herrsche eine Kultur der Angst. Petra Kusenberg von Verdi erläuterte, dass viele Kollegen aus Syrien und anderen Ländern kämen und keine Gewerkschaften kennten. Amazon widersprechen entschieden der Behauptung, dass man sich nicht um die körperliche und psychische Gesundheit aller Mitarbeiter kümmere.

Zu bestätigen scheint der Beitrag auch frühere Meldungen, wonach Amazon viele Retouren vernichten soll: Römer bestellte testweise T-Shirts und einen Kopfhörer und versah die Rücksendungen mit einem Tracker. Diesem folgte er quer durch Europa bis nach Polen zu einem Amazon-Werk in der Nähe von Kattowitz. Im Anschluss habe er Kontakt zu einer Amazon-Mitarbeiterin aufnehmen können, die als "Zerstörerin" vor Ort arbeite.

Die Insiderin gab laut der Sendung an, dass Deutschland in der Anlage den größten Markt darstelle und sämtliche Produkte vernichtet würden. Dabei handele es sich auch um Neuware. Die Gewerkschafterin Magdalena Malinowska vermutet, dass Amazon die Retouren ins Ausland bringe, da dort die Kontrollen laxer seien. In Deutschland würde das Unternehmen mit dem Ansatz gegen das Kreislaufwirtschaftsgesetz verstoßen.

"Ein marktbeherrschender Weltkonzern, der solch exorbitante Gewinne erwirtschaftet und seine Belegschaft so systematisch ausbeutet, darf sich nicht länger der gesellschaftlichen Kontrolle entziehen", fordert Wallraff. "Wir brauchen eindeutige Gesetze und durchsetzungsstarke Politiker, die diesem extremen Missbrauch von Arbeitskraft endlich Einhalt gebieten."

Das gezeichnete Bild spiegele nicht die Erfahrungen Tausender Angestellter "von Amazon oder unseren Partnerunternehmen in Deutschland wider", erklärte ein Konzernsprecher gegenüber heise online. "Tatsache ist, dass wir fast 20.000 fest angestellte Mitarbeiter:innen in unserem Logistiknetzwerk in Deutschland beschäftigen und rund 90 Prozent von ihnen ihren Arbeitsplatz mit Bestnoten bewerten."

Bei Subunternehmen würden regelmäßig Audits durchgeführt und entdeckte Probleme rasch behoben. Der einzige Grund, "warum wir Produkte über die Grenze zu Retourenzentren schicken", sei, deren Leben zu verlängern. Man habe zudem allein 2020 1,5 Millionen unverkaufte Produkte an Bedürftige gespendet.

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