EU-Migrationskontrolle: Biometrie-Superdatenbank verursacht Milliardenkosten

Die EU hat bereits fast eine Milliarde Euro für den ersten Teil des Ausbaus ihrer großen Datenbanken für die Migrations- und Grenzkontrolle veranschlagt.

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(Bild: HQuality/Shutterstock.com)

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Der geplante virtuelle Zusammenschlusses sämtlicher EU-Datenbanken in den Bereichen Sicherheit, Grenzmanagement und Migrationssteuerung dürfte insgesamt mit mehreren Milliarden Euro zu Buche schlagen. Für den Aus- und Aufbau einschlägiger erster IT-Systeme hat die europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Sicherheitsbereich, EU-Lisa, bereits Aufträge im Wert von rund 932 Millionen Euro ausgeschrieben. Damit ist das Gesamtprojekt aber noch lange nicht abgeschlossen.

Die Zahl ergibt sich aus der an die EU-Kommission übermittelten Antwort von EU-Lisa auf eine Anfrage des EU-Abgeordneten Patrick Breyer (Piratenpartei), die Netzpolitik.org veröffentlicht hat. Laut darin verlinkten Ausschreibungsunterlagen hat die Brüsseler Regierungsinstitution allein 442 Millionen Euro für die Einrichtung des neuen Ein-/Ausreisesystems (EES) zur biometrischen Grenzkontrolle bereitgestellt.

Angehörige von Drittstaaten müssen sich künftig bei der Einreise in die 26 Mitgliedstaaten des Schengen-Raums an Land, zu Wasser und in der Luft sowie an den Grenzen Bulgariens und Rumäniens mit vier Fingerabdrücken und Gesichtsbild registrieren lassen. Zusätzlich sollen Identitätsangaben sowie weitere Daten aus Reisedokumenten im EES aufbewahrt werden.

An den entsprechenden EU-Außengrenzen sollen dazu Anlagen errichtet werden, um voraussichtlich von 2022 an die biometrischen Merkmale zu erfassen. Diese sollen möglichst aus biometrischen Ausweisen ausgelesen werden. Für Reisende ohne solche Personaldokumente sind Kioske zur Selbstregistrierung vorgesehen. Über eine Schnittstelle sollen Fluglinien und andere Transportunternehmen an das EES angeschlossen werden.

Bereits bekannt war, dass EU-Lisa ein Konsortium aus den französischen Konzernen Idemia und Sopra Steria damit beauftragt hat, ein gemeinsames System für den Abgleich biometrischer Daten zu errichten. Für dieses "Shared Biometrics Matching System" (SBMS) sollen laut der aktuellen Auskunft maximal 303 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Planmäßig wird auch das SBMS 2022 funktionsfähig sein und eine Datenbank von über 400 Millionen Personen aus Drittstaaten für die automatisierte Erkennung enthalten. Es soll zunächst die Identifizierungserfordernisse des EES erfüllen.

Das SMBS ist als übergeordneter "Speicher für Identitätsdaten" und Basis für einen gemeinsamen Abgleichdienst vorgesehen. Es soll die Grundlage für die Verknüpfung der Datenbanken für die "Smart Borders"-Initiative darstellen. Ziel des unter dem Aufhänger "Interoperabilität" laufenden Großprojekts ist es, mittelfristig auch das Schengen-Informationssystem (SIS) mit seinen Millionen Einträgen, das Visa-Register (VIS) und die Eurodac-Datei, in der vor allem Fingerabdrücke von Asylbewerbern gespeichert werden, von 2023 an über ein Suchportal zu verknüpfen.

Dazu kommen sollen etwa auch das künftige Europäische Reisegenehmigungssystem (ETIAS) und das sich im Aufbau befindende Strafregister für verurteilte Drittstaatsangehörige (ECRIS-TCN). Ermöglicht werden soll ein Abgleich der vorhandenen Daten "mit einem einzigen Klick". Grenzschützer und Polizisten könnten so bald etwa Ausweise einfacher überprüfen, indem sie alle EU-Informationssysteme auf einem Bildschirm gleichzeitig abfragen. Im Prinzip entsteht damit eine Biometrie-Superdatenbank, vor der im Vorfeld nicht nur Datenschützer gewarnt hatten.

Für den dafür benötigten "Detektor für Mehrfachidentitäten", der im Hintergrund den Abgleich leisten soll, stehen den Ausschreibungspapieren zufolge rund 187 Millionen Euro zur Verfügung. Steht diese Komponente, werden dem Vorhaben nach die Kreise der Zugangsberechtigten nach und nach erweitert. Mit als erste sollen etwa Europol und die Grenzschützer von Frontex Identitätsdaten in den Speicher einspeisen und auslesen dürfen.

Noch völlig unklar sind die Kosten für den Anschluss der bestehenden beziehungsweise vorgesehenen Datenbanken SIS, VIS, Eurodac, ETIAS und ECRIS-TCN an den Suchverbund. Sie dürften sich ebenfalls im Milliardenbereich bewegen. Hier gibt es teils aber noch rechtliche Unsicherheiten. So forderten 31 Bürger- und Menschenrechtsorganisationen wie European Digital Rights (EDRi), Access Now, Amnesty und Statewatch den Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU-Parlaments unter der Woche in einem offenen Brief auf, das Konzept für die Eurodac-Reform grundlegend zu überarbeiten. Es gelte, die Grundrechte und das Völkerrecht zu achten.

Sollte der Gesetzentwurf für die Neuausrichtung der Datenbank verabschiedet werden, werde diese "weit über ihren ursprünglichen Zweck hinaus ausgedehnt und zu einer unkontrollierbaren und ausufernden Überwachung an den EU-Grenzen führen", warnen die Unterzeichner. Eurodac würde eine größere Anzahl von Personen und Datenkategorien erfassen und die Informationen noch länger vorhalten. So könnten selbst biometrische Merkmale von Kindern ab 6 Jahren ausgiebiger mit verschiedenen Datenbanken der Polizei und zur Migrationskontrolle abgeglichen werden. Dieses Verfahren würde Menschen automatisch als Kriminelle abstempeln und Rechte etwa auf Privatsphäre sowie die Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit untergraben.

(bme)