KI soll herausfinden, wie schlimm E-Scooter wirklich sind

Elektrische Roller tummeln sich in den Straßen der Großstädte. Ein Projekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt untersucht, welche Rolle sie spielen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 67 Kommentare lesen
2 abgestellte Lime-Scooter

Abgestellte Scooter, die im Weg stehen.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 3 Min.

An der Ecke Friedrich- und Torstraße in Berlin-Mitte steht ein merkwürdiges Fahrzeug. Der Transporter verfügt über einen langen Aufbau, an dessen Ende ein Kamerasystem hängt, das die vielbefahrene Kreuzung beobachtet. Um das geöffnete Innere des Wagens steht eine Gruppe Menschen, die gebannt auf mehrere Bildschirme schaut. Darauf läuft eine Software, die um jeden Menschen, jedes Auto, jedes Fahrrad und jeden E-Scooter kleine Kästchen zeichnet.

Spioniert hier der BND oder das BKA? Gibt es in der deutschen Hauptstadt bald chinesische Verhältnisse und jeder bei Rot über die Straße gehende Fußgänger wird erfasst und auf einen Bildschirm der Schande projiziert? Nein, was hier abläuft, ist ein amtlich genehmigtes Projekt der Verkehrsforschung, genauer: eines des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Und es geht um eine besondere Entwicklung, die die Straßen deutscher Großstädte seit dem 15. Juni 2019 belebt – manche würden auch sagen: heimsucht –, den E-Scooter.

Die von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer augenscheinlich besonders geschätzten elektrischen Tretroller sind von Autofahrern meist verhasst, weil man sie kaum sieht. Fußgänger stolpern über sie, weil sie überall achtlos abgestellt werden und mit dem Fahrrad balgen sie sich um die zunehmend verstopften Fahrradstraßen. Doch was machen die Geräte mit uns und unserem Verkehr wirklich? Genau das wollen die DLR-Forscher herausfinden – und dafür müssen erst einmal Daten her. Aufgenommen werden diese mit besagtem Transporter und seinem High-Tech-Kamerasystem. Dieser fährt kreuz und quer durch Berlin und postiert sich an besonders vielbefahrenen Strecken.

Stundenlang werden – datenschutzfreundlich – Videos aufgezeichnet und "getaggt", also mit Auszeichnungen versehen, was da gerade unterwegs ist. Dabei hilft maschinelles Lernen. Parallel dazu werden Metadaten erfasst und qualifizierte Umfragen durchgeführt. Am Ende steht ein Datensatz, aus dem sich dann beispielsweise auslesen lässt, wie Verkehrsrecht gerecht E-Scooter unterwegs sind: Welche konkreten Probleme stellen sie im Verkehr dar? Auch die Daten anderer Verkehrsteilnehmer wie etwa Fahrräder werden diesbezüglich untersucht. Eine der beteiligten Forscherinnen grinst auf Nachfrage, dass sie sich auch wundere, dass an bestimmten Kreuzungen so viele Radler bei Rot hielten – und an anderen nicht.

Was letztlich aus dem Material herauskommt, wissen die Wissenschaftler noch nicht. Klar ist aber, dass eine Datenbasis her muss, auf deren Grundlage die Politik – ob lokal oder auf Bundesebene – besser entscheiden kann. Erste E-Scooter-Kurz- und Unfallstudien haben die DLR-Leute bereits publiziert. So gab es im Sommer 2020 eine lesenswerte Unfallbilanz des ersten Jahres E-Scooter.

Positiv fiel die für die Tretroller leider nicht aus. Die DLR-Verkehrsforscher analysierten die Zahlen des Statistischen Bundesamts und kamen auf ein "derzeit deutlich höheres" Unfallrisiko der E-Scooter im Vergleich zum Fahrrad. Genauer: Doppelt so hoch. Im Bereich der Schwerverletzten sei das Risiko sogar noch höher. "Bezieht man sich nicht nur auf die Fahrten, sondern auf die gefahrenen Kilometer, steigt das Unfallrisiko bei E-Scootern im Vergleich zum Fahrrad um gut das Vierfache und bei den Unfällen mit Schwerverletzten sogar um das Fünffache."

(bsc)