Missing Link: Tesla, die Antriebswende und das Legacy-Problem der Autoindustrie

Tesla hat dem batterieelektrischen Auto den Weg bereitet. Übernehmen jetzt die traditionellen Hersteller das Massengeschäft oder wird Grünheide zu deren Troja?

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(Bild: Jonathan Weiss/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Timo Daum
Inhaltsverzeichnis

Bis vor wenigen Jahren wurde Tesla von der Automobilindustrie gar nicht als ernsthafter Konkurrent wahrgenommen, Elektroautos galten als Nischenprodukt, und die Produktionskapazitäten des kalifornischen Startups als mickrig. Auch heute noch ist nur jedes hundertste neu zugelassene Auto in Deutschland laut dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ein Tesla (Stand August). Erst als Tesla im Jahr 2018 erstmals eine wöchentliche Produktionskapazität von 5.000 Fahrzeugen erreichte, begann sich das zu ändern.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Noch im Dezember dieses Jahres soll es in Grünheide bei Berlin losgehen mit der Produktion, das kündigte Elon Musk beim Tesla-Volksfest letzte Woche an. In der Nähe der Hauptstadt Berlin sollen einmal bis zu 500.000 Fahrzeuge vom Band laufen, vorrangig vom Typ Model Y. Das wäre mehr als der gesamte Bestand an batterieelektrisch betriebenen Fahrzeugen in Deutschland (1. Juli 2021: 439.000) und mehr als doppelt so viel wie die gesamte Jahresproduktion aller deutschen Hersteller zusammen. Auch die weltgrößte Akku-Fabrik ist dort geplant.

Tesla Model Y (7 Bilder)

(Bild: Tesla)

Erinnern wir uns: Bis 2020 war in Deutschland der Glaube an eine langsame Ablösung des Verbrenners ein weitverbreitetes Mantra. Der Dieselskandal schien überstanden und der Kohlekompromiss gab für die schmutzigste aller fossilen Energieformen die skandalös lange Zeitspanne für deren Auslaufen vor, mit der auch die deutschen Hersteller beim Verbrenner gut hätten leben können: 2038. Die "Antriebswende", also die Umstellung unseres gegenwärtigen autozentrierten Verkehrssystems auf Batterieantrieb, bei ansonsten gleichbleibenden Rahmenbedingungen, kam dann aber doch schneller.

Immer strengere Abgasvorgaben aus Brüssel und die politische Steuerung in Richtung E-Mobilität auf Deutschlands wichtigstem Exportmarkt China beschleunigten diesen Prozess. Mittlerweile gilt 2030 als Ende des Verbrenners, einige Autokonzerne haben sich in den letzten Monaten in diese Richtung geäußert, zuletzt gar die Traditionsfirma Rolls Royce. Und Tesla, darin sind sich Expertinnen und Experten weitgehend einig, erwies sich dabei als entscheidender Beschleuniger – zwischen fünf und acht Jahren lauten dabei die Einschätzungen.

Teslas Rolle als Impulsgeber beim Umstieg auf Elektromobilität wird hierzulande mittlerweile zugestanden, insbesondere Volkswagen-CEO Herbert Diess wird nicht müde, Elon Musk zu loben und zu betonen, Tesla nachzueifern zu wollen. Erst kürzlich äußerte er: "Grünheide wird den Wettbewerb in Deutschland erhöhen." Gleichzeitig herrscht in der Branche Zuversicht, dass jetzt die Stunde der großen Hersteller mit ihrer Erfahrung im Automobilbau geschlagen habe, bei der Erschließung des batterieelektrischen Massenmarkts.

Doch möglicherweise gibt sich Tesla mit der Rolle als Initiator des Umstiegs auf elektrischen Antrieb und seiner Marktnische nicht zufrieden. Denn Tesla ist technologisch führend in allen relevanten Bereichen rund um das elektrische Auto, von der Batterieeffizienz über die Antriebstechnik und von der Ladeinfrastruktur bis zu Chip-Design und Software.

Ein Bereich, in dem Teslas Markführerschaft unstrittig ist, ist das Batteriemanagement. Das wird an der Energieeffizienz der Batterien deutlich, Tesla holt dank des weltbesten Temperaturmanagements mehr Energie bzw. Reichweite (abhängig vom Fahrzeuggewicht) aus seinen Batterien heraus.

Modell Gewicht[kg] Energieeffizienz [kWh/100 km] Gewichtsbezogene Energieeffizienz [kWh/100 km]/100kg*t
Model 3 Standard Range 1733 14,9 8,6
Tesla Model S P90D 2357 20,0 8,5
Tesla Model X Performance 2668 23,6 8,8
Audi e-tron 55 quattro 2445 25,8 10,6
Mercedes EQC 400 AMG Line 2495 27,6 11,1
Jaguar I-Pace EV400 S AWD 2208 27,6 12,5
Polestar 2 Long Range Dual Motor 2123 29,2 13,8
VW ID 3 1781 20,0 11,2


Tabelle Energieverbrauch: Tesla deutlich effizienter als die Konkurrenz

Der US-amerikanische Automobilexperte Sandy Munro, dessen Firma Munro & Associates die Autobranche bei ihrer Elektrostrategie berät, attestiert Tesla einen Vorsprung von im Schnitt fünf Jahren in allen relevanten technologischen Bereichen. "Die größten Stärken von Tesla sind Batterien, Elektromotoren und Elektronik. Ihre Elektronik ist allen vielleicht um fünf bis zehn Jahre voraus, ihre Elektromotoren sind leichter als die aller anderen."

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Ingenieur-Guru Sandy Munro war nicht immer so begeistert von Teslas Performance, seine Kritik an Tesla Karosserien ("zusammengeschusterter Flickenteppich") ist legendär. 2018 nahm seine Firma ein Tesla Modell 3 unter die Lupe und kamen zu dem Schluss, das Heckteil des Fahrzeugs weise "schlechtes Design, zu viele Einzelteile, mangelhafte Herstellung mit der Folge vergeudeter Gewinne" auf.

Doch Tesla reagierte auf die Kritik. Seit Sommer 2020 sind in Teslas Werk in Kalifornien die weltweit größten Hochdruck-Aluminium-Druckgussmaschinen im Einsatz, die von dem italienischen Unternehmen IDRA hergestellt werden. Die riesigen Maschinen wiegen 420 Tonnen und erzeugen eine Schließkraft von 6000 Tonnen. In den riesigen "Gigapressen" wird die gesamte hintere Hälfte des Autos mittlerweile in einem Stück gegossen.

Aus 70 Teilen, die zusammengenietet, -geschweißt oder -geklebt wurden, ist ein einziges Aluminium-Bauteil geworden. Experten zufolge führe die Gigapress zu einer Einsparung von 300 Montagerobotern, einer Reduktion der Herstellungskosten um 40 Prozent sowie der benötigten Werksfläche um 30 Prozent. Dazu hat Tesla eine spezielle Aluminiumlegierung entwickelt, die das ermöglicht.

Die Gigapress ist eine Schlüsselinnovation im Arsenal von Elon Musk, um die Kosten des Model Y zu senken und Produktionszahlen zu erreichen, die auf nennenswerte Marktanteile abzielen. Der weltweit führende italienische Hersteller INDRA ist überzeugt, dass früher oder später alle Hersteller diese Technologie übernehmen werden, erklärt INDRA-Chef im Interview: "Im August 2020 war alle Skepsis aus der Gießereibranche verflogen, als die IDRA Gigapress Nummer 1 das erste funktionierende Teil ausspuckte."

Selbst im eigentlichen Kernbereich der Autoherstellung setzt Tesla so neue Maßstäbe. Die Gigapress wird auch in Grünheide zum Einsatz kommen, im "floor plan" sind gar acht solche Maschinen vorgesehen. Der Druckguss-Zyklus dauert 90 Sekunden, damit wäre theoretisch eine Produktion von 1,5 Millionen Model Y Fahrzeugen pro Jahr drin.

Müssen also andere Hersteller nachziehen? Die Branchenanalysen von JP Morgan sind skeptisch, ob die großen Hersteller in der Lage sein werden, ihre eigenen Produktionslinien so radikal wie Tesla neu zu erfinden. Kleinere EV-Startups und agile chinesische Firmen werden hingegen eher in der Lage sein, Teslas Beispiel zu folgen.

Die weltgrößten Aluminium-Druckgussmaschinen kommen bei Tesla zum Einsatz

(Bild: IDRA Group)