3D-Audio: Wie die Musikindustrie Hörern den Kopf verdreht

Streamingdienste locken Hörer mit 3D-Audio für Kopfhörer und Smart Speaker. Ist das nur ein von der Industrie getriebener Hype oder steckt mehr dahinter?

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(Bild: Albert Hulm)

Lesezeit: 4 Min.
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Formatkriege sind so alt wie die Unterhaltungsindustrie. Erinnern Sie sich noch an den Kampf zwischen SACD gegen DVD-Audio? Oder an die CD4- und Quadro-Schallplatten aus den 70ern? Am Ende konnte sich keines der Formate durchsetzen, weil nur wenige gut betuchte Kunden bereit waren, Geld dafür auszugeben. Die Musikindustrie ist jedoch auf ein Massenpublikum ausgerichtet. Neue Formate müssen daher auch mit Wiedergabegeräten für den kleinen Geldbeutel funktionieren, wenn sie nicht in einer Nische verkümmern wollen.

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An dieser Schwelle zum Massenmarkt stehen gerade zwei neue Formate für 3D-Musik: Dolby Atmos und Sony 360 Reality Audio (360RA). Dolby Atmos hat sich mittlerweile im Film- und Video-Bereich etabliert. In vielen Wohnzimmern sind entsprechende Audio/Video-Receiver beziehungsweise Soundbars zu finden und zahlreiche Filme und Serien bringen dafür Tonspuren mit.

360RA spielt in Filmen hingegen keine Rolle und es gibt bislang auch keine AV-Receiver, die das Format wiedergeben könnten. Sony setzt deshalb auf eine rasche Verbreitung über Musikstreamingdienste und Kopfhörerausgaben – denn die meiste Musik wird heutzutage unterwegs per Smartphone konsumiert. Wer diesen Massenmarkt dominiert, der beeinflusst am Ende auch, ob und in welchem Format sich 3D in der Musikindustrie am Ende durchsetzt.

Wir testen die acht größten Streaminganbieter, von denen die Hälfte inzwischen auch 3D-Musikstücke im Programm hat. Die Gesamtzahl der Songs ist zwar noch gering, jedoch dürfte diese frühe Aufbauphase entscheidend dafür sein, ob sich die Geschichte der Quadrofonie-Schallplatten wiederholt oder sich ein 3D-Format tatsächlich etabliert.

Dolby bekommt Unterstützung von zwei der drei globalen Major-Label: Warner Music und Universal Music, zu dem auch die Deutsche Grammophon gehört. Dolbys wichtigster Partner ist jedoch Apple, die mittlerweile die komplette Herstellungs- und Wiedergabekette unter einem Dach vereinen – angefangen von Produktionswerkzeugen wie Logic Pro X, über den Vertrieb per Apple Music, bis hin zu Empfangsgeräten wie Apple TVs, iPhones und Homepods sowie Airpods mit Head-Tracking.

Sony kontrolliert das dritte Major-Label Sony Music und veröffentlicht 360RA-Aufnahmen in Eigenregie. Als Streamingpartner holte Sony Deezer ins Boot sowie Amazon Music und Tidal, die beide auch Dolby Atmos unterstützen. Zur Wiedergabe bietet Sony neben einer Reihe von Kopfhörern inzwischen auch erste Smart Speaker mit 360RA-Unterstützung an, die sich im Test gegen Konkurrenten und Soundbars beweisen.

Die Einführung von 3D-Audio wird also primär von der Industrie getrieben: Major-Label können sich von kleinen unabhängigen Vertrieben absetzen, Streamingdienste neue Kunden gewinnen und die Hersteller von Unterhaltungselektronik neue Abspielgeräte, Lautsprecher und Kopfhörer verkaufen. Das wäre eine Win-Win-Win-Situation für die Unternehmen.

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Angesichts derartiger Profitaussichten ist es umso erstaunlicher, wie viele Fehler der Industrie unterlaufen. Das fängt bei den allzu gut versteckten 3D-Songs auf den Streamingplattformen an, die man oft nur durch Suchbegriffe wie "3D Audio" findet. Es geht weiter über schlampig zusammengestellte Playlisten, die 3D- und Stereoversionen bunt durcheinanderwürfeln. Nicht selten bollert darin zudem ein Song viel zu laut im Bass, während man beim nächsten den Sänger kaum hört. Und schließlich verpatzt Sony auch noch die Kopfhörersimulation von 360RA: Manche Klassiker wie "Space Oddity" klingen in 3D so unnatürlich aufgeblasen, dass David Bowie im Grab rotieren würde.

Dabei ermöglicht die Technik wirklich hervorragende Aufnahmen, die unter guten Bedingungen weitaus besser klingen als in Stereo – hören Sie mal in "Point" von Yello oder "Out to Lunch" von Eric Dolphy rein. Dazu braucht es allerdings Musiker, die mit 3D kreativ umgehen – und Toningenieure und Produzenten, die 3D richtig umsetzen und nicht bloß einen Stereomix aufpumpen.

Als Zuhörer sollten Sie sich daher ein wenig in Geduld üben. Schreiben Sie 3D-Musik nicht gleich ab, wenn der Klang der ersten Stücke nicht Ihrer von der Werbung geweckten Erwartung entspricht. Auch die ersten Stereoalben der Beatles klangen Mitte der 60er gewöhnungsbedürftig. Es dauert üblicherweise mehrere Jahre, bis sich das Wissen um die Möglichkeiten neuer Formate verbreitet und alle Kinderkrankheiten ausgemerzt sind. Noch steht die Musikbranche am Anfang.

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(hag)