Dieses Urteil freut die Immobilienmafia

Basta! Wer sich keine Miete mehr leisten kann, soll doch ein Haus kaufen. Symbolbild: ID_249 auf Pixabay (Public Domain)

Freibrief für Wohnungsspekulanten: Bundesverwaltungsgericht kippt kommunales Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten

Vor fünf Jahren hat eine "rot-rot-grüne Koalition" die Berliner Landesregierung übernommen, die unter anderem vorhatte, den Schutz von Mietern vor Verdrängung aus ihren Wohnungen durch Spekulanten zumindest einzudämmen.

Das war auch dringend nötig, denn besonders die innerstädtischen Quartiere hatten sich zuvor zu Hotspots der nationalen und internationalen Immobilienspekulation entwickelt. Aufwändige Modernisierungen trieben dort die Mieten in die Höhe und machten Wohnraum für viele Menschen unbezahlbar. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen mit der Möglichkeit, für diese nach einer Schonfrist dann Eigenbedarf geltend machen zu können, war ein weiterer Verdrängungstreiber.

Der Berliner Senat und allen voran der grüne Baustadtrat von Kreuzberg-Friedrichshain, Florian Schmidt, holten daher ein zuvor weitgehend unbeachtetes Instrument aus der Versenkung: Paragraph 24 des Baugesetzbuchs sieht nämlich vor, dass Kommunen in Wohngebieten, für die eine soziale Erhaltungssatzung (auch Milieuschutz genannt) gilt, beim Verkauf von bebauten Grundstücken ein Vorkaufsrecht geltend machen können.

Das heißt, sie können innerhalb einer bestimmten Frist anstelle des Erwerbers in einen geschlossenen Kaufvertrag eintreten. Der ursprüngliche Käufer kann dies verhindern, wenn er eine entsprechende Abwendungsvereinbarung unterschreibt, in der er sich verpflichtet, für einen festgelegten Zeitraum auf mietentreibende Modernisierungen und die Umwandlung in Eigentumswohnungen zu verzichten.

Verweigert er die Vereinbarung, kann der betroffene Bezirk das Vorkaufsrecht wahrnehmen, was in der Regel zugunsten Dritter ausgeübt wird. In Berlin sind das hauptsächlich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften.

Milieuschutz komplett ausgehöhlt

Nach einem stockenden Start mit einigen wenigen Pilotprojekten in Kreuzberg nahm das Vorkaufsrecht Fahrt auf. Zum einen wurde die Zahl der Milieuschutzgebiete, für die vor der Festlegung in umfangreichen Untersuchungen ein besonderes Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial ermittelt werden muss, beträchtlich erhöht. Derzeit sind es 72.

Und allmählich trauten sich auch weitere Bezirke, vor allem Pankow, Neukölln und Mitte, das komplizierte und aufwändige Vorkaufsrecht anzuwenden. In den vergangenen Jahren wurden auf diesem Weg rund 11.000 Wohnungen der Spekulation entzogen und den betroffenen Mietern damit die Angst vor dem Verlust der angestammten Wohnung genommen.

Doch damit ist jetzt Schluss, entschieden am Dienstag die Richter des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Sie gaben in letzter Instanz der Klage einer Immobiliengesellschaft statt, die in den beiden Vorinstanzen gescheitert war. Streitgegenstand war ein Haus in Kreuzberg mit 20 Wohnungen, für das der Bezirk das Vorkaufsrecht ausgeübt hatte, da es zu keiner Abwendungsvereinbarung gekommen war. Damit war eigentlich klar, dass der Käufer keineswegs bereit war, sich zur Einhaltung der Ziele der Milieuschutzsatzung zu verpflichten.

Für die Leipziger Richter war das aber irrelevant. In ihrem nicht mehr anfechtbaren Urteil stellen sie klar, dass das "Vorkaufsrecht für ein Grundstück, das im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung bzw. -verordnung liegt, von der Gemeinde nicht auf der Grundlage der Annahme ausgeübt werden darf, dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen werde".

Maßgeblich für das Vorkaufsrecht sei vielmehr, dass zum Zeitpunkt der Geltendmachung bereits konkrete Verstöße gegen die Ziele des Milieuschutzes erkennbar seien. Der Einschätzung der Vorinstanz, wonach auch zu erwartende Nutzungen zu berücksichtigen seien, folgte das Bundesverwaltungsgericht nicht.

Sowohl die Parteien der "rot-rot-grünen" Koalition als auch die Mieterverbände reagierten mit Entsetzen auf das Urteil. Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Die Linke) nannte die Entscheidung eine "Katastrophe", die ihn "fassungslos" mache.

Harte Zeiten für Mieter

Diese Reaktion ist wohl keineswegs übertrieben. Denn der Berliner Senat steht bei seinen Bemühungen, den Mieten- und Verdrängungswahn in der Stadt einzudämmen, splitternackt da. Bereits im April hatte das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt mit dem nach Baualtersklassen gestaffelte Höchstmieten und ein Mietenmoratorium für die ganze Stadt auf den Weg gebracht worden war.

Mit dem Vorkaufsrecht wird nun auch einem weiteren, wenn auch wesentlich beschränkteren Instrument der Regulierung ein juristischer Riegel vorgeschoben. Weitere Pfeile hat die Landesregierung für den Schutz von Bestandsmietern nicht mehr im Köcher. Eher hilflos wird gefordert, dass nunmehr auf Bundesebene das Baugesetzbuch schleunigst entsprechend nachgeschärft werden müsse.

Doch das ist wenig mehr als ein frommer Wunsch, denn mit der FDP wird eine Partei in der neuen Bundesregierung vertreten sein, die sich stets als beinharter Lobbyist für die private Immobilienwirtschaft positioniert hat. Und bereits im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP wurden weitere Maßnahmen zum Mieterschutz - wie etwa ein Mietenstopp - ausgeschlossen.

Während das Verfassungsgerichtsurteil zum Berliner Mietendeckel zumindest formaljuristisch verstehbar ist, da es dabei um die fehlende Zuständigkeit des Landes für die Mietenregulierung ging, ist die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in keiner Weise nachvollziehbar. Denn die für Wohnhäuser in begehrten Lagen bezahlten Kaufpreise sind für renditeorientierte Investoren ohne exorbitante Mietsteigerungen oder Umwandlungen in Wohneigentum überhaupt nicht refinanzierbar.

Es liegt also auf der Hand, dass Investoren entsprechend agieren werden, sonst hätten sie die Abwendungsvereinbarung unterschrieben. Und das würde eindeutig den Zielen der Milieuschutzsatzungen widersprechen.

Man kann nur spekulieren, ob den Leipziger Richtern wirklich bewusst ist, was sie mit diesem Urteil angerichtet haben. Denn im Prinzip haben sie einen umfassenden Freibrief für renditeorientierte Immobilienspekulanten ausgestellt, die sich nunmehr - befreit von lästigen Fesseln - umso intensiver auf die Verwertung gewinnträchtiger Häuser in Innenstädten kaprizieren können.

Besonders für Mieter mit geringen und durchschnittlichen Einkünften ist das eine Horrornachricht, sie sind diesem Treiben nunmehr noch schutzloser ausgeliefert und müssen auch in Milieuschutzgebieten mit der ständigen Angst vor dem Wohnungsverlust leben. Und das betrifft nicht nur Berlin, denn auch in anderen Großstädten wurde das Verkaufsrecht - wenn auch in geringerem Umfang - genutzt.

Aber da in Berlin auch ein weiterer vermeintlicher Rettungsanker, die bei einem Volksentscheid beschlossene Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen, vom künftigen Senat nicht umgesetzt werden wird, ist die Situation für Mieter in der Hauptstadt besonders bitter. Sie bekommen drastisch vorgeführt, dass die Immobilienmafia in diesem Land alles im Griff hat - bis hin zu den obersten Richtern.

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