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Was war. Was wird. Vom Spalten in Zeiten der Corona

Spalter! Spalter allüberall! Doch Hal Faber beliebt festzuhalten, dass, wer von "Spaltung der Gesellschaft" redet, keinen Begriff von der Gesellschaft hat.

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Ach, wenn's doch immer so einfach wäre, eine Menge von Menschen, und schon hat man die Gesellschaft. Die aber ist mehr als geselliges Beisammensein, das keine Widersprüche duldet. Der Unterschied geht sogar noch weiter - denn Widersprüche sind nicht automatisch unvereinbare Gegensätze, die nur mit Brüllerei auszuhalten sind.

(Bild: fizkes / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** "'Jeder und jede muss für sich entscheiden, ob und wie der 11.11. begangen werden soll', sagte Reker. Ist es das, was gemeint ist in dieser bleiernen Zeit, in der kein Politiker mehr eine Verantwortung für eine Entscheidung übernehmen will? Wenn stattdessen immer die Rede davon ist, dass die Politik nur die Rahmenbedingungen schaffen sollte für dies und aber eben auch jenes, ist doch letztlich egal? Oder was ist die Botschaft von Köln an die Menschen im Land, die großen und die kleinen, die jungen und die alten, die noch gesunde und die schon kranken, was sollen sie mitnehmen vom großen rheinischen Superspreader-Spaß?" Das fragt der Artikel Danke ihr Narren. Es gibt eben nicht nur den Rheinländer Karl Lauterbach, der die Katastrophe kommen sieht, sondern die Jecken und ihren Oberjecken, der Bestattungsunternehmer ist. Bei ihm kann man ein Bücherregal in Sargform kaufen. Lebt der Mensch, stellt er die Tucholsky-Gesamtausgabe und die großen Romane vom vielgerühmten Geburtstagskind Dostojewski ins Regal. Ist er krepiert, kommen die Bücher weg und der Sarg wird gefüllt. Das ist Dual Use vom Feinsten. Während die Bundeswehr in vielen Tageszeitungen mit großen Anzeigen ihren 66. Gründungstag feiert, bereiten sich 12.000 Soldat:innen auf ihren Einsatz in der Corona-Notlage vor. Noch so ein Fall von Dual Use. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an. Dort unten, wo Vizekönig Söder herrscht, steigen die Zahlen besonders stark an. "Ich bin doch nur hier, was soll mir da passieren?“, so die erschütternde Unlogik. Andere Narren fordern bereits den Schluss der Impfdebatte und sprechen von einer völlig fehlgeleitete(n) Politik, die alles auf die Impfung gesetzt hat. Da kann Steuerfrau Merkel nur zur freiwilligen Impfung auffordern und ein großer Steuermann wie Xi Jinping ist nicht in Sicht.

*** Wer sich von den Impfgegnern, Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern distanziert, bekommt auffallend häufig den Vorwurf serviert, die Gesellschaft zu spalten. Doch die Spaltung der Gesellschaft (SdG) ist ein hohler Begriff, der für alles Mögliche verwendet wird. Mal ist es diese Digitalisierung, die die Gesellschaft spaltet, mal sind es die Streiks der Pflegekräfte, die die Gesellschaft spalten könnte. Wer da vor einer Spaltung warnt, denkt unpolitisch. "Da 'Gesellschaft' ein hochkompliziertes Gebilde ist, da sie eben keine 'Gemeinschaft' ist, kein familiäres Konstrukt, sondern arbeitsteilig, kommunikativ verwirrend, uneinheitlich, multikulturell und multischichtenartig strukturiert, ist die Rede von ihrer Spaltung antipolitisch. Wer von SdG spricht, will über Interessengegensätze, möchte über Macht nicht reden. Ein demokratischer Staat kann, ja darf sich in puncto Corona nicht auf hochempfindsame Überlegungen und zeitlästige Dauergrübeleien verlegen, wie man die aktuell explodierenden Inzidenzziffern möglichst ohne SdG moderiert." Der ganze Gedankengang ist online zu lesen.

*** Wieder einmal leben wir also in einer bleiernen Zeit, wie in den Nachkriegsjahren, als der Begriff eine andere Form von Ignoranz bezeichnete. Man kann es auch eine aktuell IT-seitig herausfordernde Zeit nennen, wie dies die Softwarefirma Medatixx umschreibt, die Opfer einer Ransomware-Attacke geworden ist. Das Mediziner-Dasein als IT-seitig herausfordernd zu beschreiben, ist eine hübsche Untertreibung, denn nach wie vor wird allen Ampeleien zum Trotz an den Prerstige-Projekten von Gesundheitsminister Jens Spahn festgehalten, die angeblich vom Datenschutz bedroht sind. So wurde in dieser Woche bei der elektronischen Patientenakte erst die 285.000ste angelegt. Auch die CovPass-App war ein teures Vergnügen, weil die "Ergebnisse der Abstimmung mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sowie dem Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik" im Nachhinein "agil" eingepflegt werden mussten. Immer sind es diese IT-Fachleute, die Nachbesserungen fordern, etwas ausbremsen oder verteuern. Man lese die heiteren Kommentare im Heiseverse, formerly known as Forum. Manchmal kommen die Fachleute gar nicht zum Zuge, aber was ist dann? Man nehme nur das Beispiel des e-Rezeptes, noch so ein Prestige-Projekt. Es kann zwar von der Praxis ausgegeben und von der Apotheke eingelesen werden, aber die Abrechnung in den Warenwirtschaftssystemen funktioniert entweder gar nicht oder nur durch ein Hintertürchen namens FTP-Upload.

*** In der Europäischen Union leben etwa 450 Millionen Menschen. An ihrer Außengrenze zwischen Polen und Ungarn hungern und frieren ein paar tausend Menschen, die mit Leichtigkeit in Europa aufgenommen und einem Asylverfahren zugeleitet werden könnten. Auf diese Weise könnte man dem Diktatur Lukaschenko die Nase zeigen. Entgegen aller Vernunft eskaliert die Lage, mit Stacheldraht und Soldaten auf der einen und einer angekündigten Militärübung auf der anderen Seite. An der 418 Kilometer langen Grenze in Polen gilt ein "Ausnahmezustand", der Journalisten das Betreten des Grenzgebietes untersagt. Und natürlich gibt es ein Geheimpapier des Bundesinnenministeriums, das unter dem Titel Szenarien für Migration als Ansatzpunkt hybrider Bedrohungen vor der "Spaltung der Gesellschaft" durch die Flüchtlinge warnt.

*** In der letzten Wochenschau erwähnte ich, dass im schönen Dresden die künstliche Intelligenz bereits im Museum gelandet ist. Das brachte mir den Hinweis ein, dass es auch im schönen Dortmund eine Ausstellung über künstliche Intelligenz gibt, die ab gestern geöffnet ist. Sie richtet sich an junge Menschen mit den Wahlpflichtfächern Technik, Informatik und Arbeitslehre/Hauswirtschaft. Auch die praktische Philosophie ist gefragt und stellt sich die Frage, ob man mit Wearables die Welt verbessern kann. Natürlich ist die Aufzählung nicht vollständig ohne den Nullsummensatz: "Der unterschiedliche Zugang von Bildungsschichten zu KI-Technologien hat in Deutschland zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt." Zu finden in einer Zukunftsstudie des Münchener Kreises unter dem Titel "Leben, Arbeit, Bildung 2035+".

Am Montag gibt es einen kleinen, runden Geburtstag zu feiern, denn der Intel 4004 wurde vor 50 Jahren am 15. November 1971 präsentiert. Mit dem 4004 begann das Zeitalter der Mikroprozessoren am Nullpunkt jener Kurve, die später als "Moore's Law" den ITlern die Gewissheit gab, dass die Dinger immer leistungsfähiger werden. Was natürlich auch zu einer Spaltung der Gesellschaft führte, die im Cyberpunk mündet: "Auf den technologisch-wirtschaftlich-kulturellen Ebenen passiert in unserer Gesellschaft eine Spaltung, die sich aber vor allem in eng besiedelten Kulturräumen, wie z.B. europäischen oder asiatischen Städten, nicht räumlich niederschlägt. Somit existieren eine Gesellschaft der Hochtechnologie und eine Gesellschaft, die mehrheitlich nach den Logiken des 20. Jahrhunderts funktionieren, parallel. Die einen haben in einigen Jahren smarte Uhren, intelligente Kontaktlinsen, erwirtschaften ihr Einkommen quasi virtuell, sind wohlhabend und können sich neueste Konsumgüter, Kultur und gesundes Essen leisten. Die anderen haben ihre Jobs an die Digitalisierung verloren, leben von Lohn zu Lohn, nutzen noch Autos oder Telefone, und konsumieren einfache Unterhaltung und Fast Food. Beide allerdings fahren mit der gleichen Tram, leben in der gleichen Stadt, nehmen an den gleichen Wahlen teil oder kennen sich gegenseitig." Das einfache Leben von Lohn zu Lohn, von WWWW zu WWWW hat auch seine Reize.

(jk)