Merkel: EU wird Atomkraft voraussichtlich als "grünes" Investment fördern

Es sei kaum noch zu verhindern, dass der EU-Standard für nachhaltige Investitionen künftig auch Anlagen für Kernenergie umfasst, meint Angela Merkel.

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(Bild: 360b/Shutterstock.com)

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Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht kaum noch eine Chance, die Einstufung von Atomenergie als "grüne" Technologie in der EU abzuwenden. Deutschland haben seinen Widerstand gegen diesen Ansatz nicht aufgegeben, hob die CDU-Politikerin in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters hervor. Die EU-Kommission habe aber ein Verfahren eingeleitet, in dem Kernkraft nur dann nicht als nachhaltig anerkannt werde, wenn 20 EU-Länder mit Nein stimmten.

"Das ist eine sehr hohe Hürde und ist voraussichtlich nicht der Fall", erläuterte Merkel mit Blick auf die bisherigen Ankündigungen der 27 Mitgliedstaaten. Das Verfahren an sich könne nur schwer wieder aufgehalten werden, wenn die Kommission es mit dem Entwurf für einen sogenannten delegierten Rechtsakt in Gang gebracht habe. Die Kanzlerin geht so offenbar von einer politischen Niederlage aus.

In dem seit Monaten andauernden Streit geht es um eine geplante Einstufung (Taxonomie) für "grüne" Investitionen. Die Kommission erwägt, dabei Nuklearenergie einzubeziehen, die damit ebenso förderwürdig wäre wie Solar- oder Windkraft. Deutschland, Spanien, Österreich, Dänemark und Luxemburg forderten im Juli, die Atomkraft außen vor zu lassen. Dem schlossen sich kürzliche weitere Staaten an. Für die Kernenergie werben dagegen Frankreich und eine Gruppe osteuropäischer Staaten. Sie machen sich dafür stark, dass die EU Atomkraft als Bestandteil der Politik zur Klimawende mitfördert.

Merkel unterstrich in dem Gespräch, die Kommission kenne die in Deutschland parteiübergreifend geltende Ansicht, dass Kernenergie "nicht als gleichrangig sauber" mit den Erneuerbaren eingestuft werden sollte. Atomkraft sei aber etwa für Frankreich eine "Brückentechnologie". Die Bundesregierung mache sich im Gegenzug dafür stark, Erdgas genauso zu klassifizieren.

In den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP ist auch dieser Punkt noch heftig umkämpft. In einem durchgesickerten Papier aus den Gesprächen für eine Ampel-Koalition finden sich an diesem Punkt noch viele Streichungen und alternative Formulierungen. Die Grünen drängen darauf, dass sowohl Atomkraft als auch Gas nicht als nachhaltige Technologien anerkannt werden. Die SPD und die FDP wollen Gas dagegen als Übergangstechnologie eingeschätzt wissen.

Umweltorganisationen und andere zivilgesellschaftliche Gruppen forderten den designierten neuen Kanzler Olaf Scholz (SPD) unterdessen auf, sich gegen den Einbezug von Atomkraft und fossilem Gas stark zu machen und bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) eine Vertagung der Entscheidung zu erwirken, bis die Regierungsbildung hierzulande abgeschlossen ist.

Im Vorfeld der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow hatten Ende Oktober über 300 Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt in einer gemeinsamen Erklärung die Atomkraft als ungeeignetes Instrument im Kampf gegen die Klimakrise ausgemacht und sich für eine umfassende erneuerbare Energiewende stark gemacht. Kernenergie verschärfe soziale und ökologische Krisen, hieß es in dem Papier. Es handle sich dabei um eine Scheinlösung.

Auch aus der Wissenschaft hagelt es Kritik an einer Aufnahme von Atom- und Gaskraftwerken in die Taxonomie. Aus Klimaschutzperspektive wäre ein solcher Schritt "ein Irrweg", erklärte Helmut Haberl, Professor am Institut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur Wien. Damit würden aufgrund der in vielen Ländern geringen Akzeptanz der Kernenergie gesellschaftliche Konflikte provoziert, was den Klimaschutz schwäche.

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Das potenzielle Nachhaltigkeits-Attest werde "zur unerwünschten Umlenkung privater Finanzströme weg vom notwendigen Ausbau der Erneuerbaren und der Wasserstoffinfrastruktur hin zu Technologien von gestern führen", beklagt Erik Gawel vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Stromerzeugung aus Atomenergie dürfte "der Inbegriff nicht-nachhaltiger Energiebereitstellung sein". Gaskraftwerke könnten klimapolitisch eher als "notwendiges transitorisches Übel" gelten. (mho)