Grundsatzurteil im Fall Quad9: Zugangsprovider haftet nicht, Resolver schon

Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg könnte das System der Haftungsfreistellung im Internet auf den Kopf stellen. Eine Nachlese der Urteilsbegründung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 110 Kommentare lesen

(Bild: Maksim Kabakou/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg in Sachen des Musiklabels Sony gegen den DNS-Resolver-Betreiber Quad9 könnte das gegenwärtige System der Haftungsfreistellung von Internetzugangsprovidern auf den Kopf stellen. Um das zu vermeiden, könnte der Gesetzgeber nachschärfen, schreiben die Hamburger Richter in ihrer Urteilsbegründung.

Im Mai hatte das Landgericht Hamburg dem Antrag der Sony Music GmbH auf eine einstweilige Verfügung gegen die Quad9-Stiftung stattgegeben. Die Stiftung sei verpflichtet, die das Urheberrecht verletzende Seite aus der DNS-Auflösung herauszunehmen. Denn dort sei bereits vor dem offiziellen Release ein Album des Musiklabels zugänglich gemacht worden. Den Widerspruch der kürzlich in die Schweiz umgezogenen Quad9 Stiftung gegen die einstweilige Verfügung wies das Landgericht Hamburg am Dienstagabend zurück.

Der Kernpunkt in der Urteilsbegründung der Hamburger Richter ist, dass Quad9 als Betreiber eines kostenfreien rekursiven Resolvers nicht von der Haftungsfreistellung des Telemediengesetzes erfasst sei.

"Aus §8 Absatz 1 TMG (Telemediengesetz, d. Red.) ergibt sich ein Haftungsprivileg für sogenannte Diensteanbieter, also für den ISP, der fremde Informationen in einem Kommunikationsnetz übermittelt oder den Zugang zur Nutzung fremder Information", schreibt ein Sprecher des Gerichts auf Anfrage von heise online. "Ein DNS-Resolver lässt sich nach Auffassung der Kammer nicht darunter fassen. Hierfür bedürfte es einer Änderung des Gesetzes."

Ein Resolver-Betreiber ist nach Ansicht der Hamburger Richter überhaupt kein Service Provider im Sinne des TMG, weil die "technische Herstellung der Verbindung zur gesuchten Webseite, die erst nach der Domain-Auflösung stattfindet, ohne den DNS-Resolver der Beklagten vonstattengeht", lautet die Begründung.

Verpflichten will man Quad9 daher als Störer, der einen kausalen Beitrag dazu leistet, dass das von Sony beanspruchte Musikalbum "öffentlich zugänglich" ist. Da ist sie dann also doch, die Vermittlung des Zugangs zu Information, die die Richter für Quad9 eigentlich verneinen.

Den DNS-Anbieter aus dem TMG herauszudefinieren, hält Thomas Rickert, der Quad9 in dem Verfahren vertritt, für falsch. Das TMG gehe auf die E-Commerce-Richtlinie zurück, wonach Dienstanbieter derjenige ist, der einen Dienst der Informationsgesellschaft anbietet. Dieser Dienst wiederum sei jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung, sodass Quad9 unter diese Definition falle. Der Umstand, dass Quad9 die Auflösung von Domains zu IP-Adressen kostenfrei anbietet, spreche nicht dagegen,

Würde man, wie von den Hamburger Richtern nun angedacht, "DNS-Resolving und Internet Access künstlich aufsplitten und dem einen die Haftungsprivilegierung zubilligen und dem anderen nicht", dann könnten laut Rickert auch die ISP ihre Haftungsprivilegien durch die Hintertür verlieren. "Als Anwalt würde ich Anbieter dann nicht in ihrer Eigenschaft als Access Provider, sondern als Resolver-Betreiber anschreiben." Große und kleine Resolver-Betreiber – insgesamt gibt es laut Quad9 etwa 16.000 in Deutschland, einschließlich der in Firmen – könnten plötzlich für Sperrungen in Anspruch genommen werden.

"Das widerspricht nach unserer Ansicht dem Willen des Gesetzgebers", kommentiert Rickert. Zudem würde die ausschließende Definition des Landgerichts die Tür für neue Störer aufstoßen, vom Firewall-Betreiber bis zum Betriebssystemhersteller. Auch sie könnten für den Einbau von Filtern in Anspruch genommen werden. Rickert spricht von einem Dammbruch.

Die Hamburger Richter können sich eine Ausweitung durchaus vorstellen, schreiben sie doch in ihrer Begründung: "Wenn die Seite nicht zugänglich wäre für Internetnutzer, etwa weil alle existierenden DNS Resolver den Zugang blockieren, dann wäre das Album auch nicht in der Public Domain im Sinne des Abschnitt 19a UrhG."

Doch selbst im allenfalls theoretisch möglichen Fall, dass alle Resolver sperren, bleiben den mutmaßlichen Missetätern abgesehen von der Anwahl über die IP-Adresse auch der Wechsel der Domain. Die fragliche Seite wirbt mittlerweile auch für die Nutzung von DNS-Verschlüsselung. Dass die Sperre via Quad9 "ausreichend effektiv" ist, wie das Gericht meint, ist zweifelhaft, wenn man bedenkt, dass der Wechsel etwa zu Googles 8.8.8.8 Public Resolver kein Problem ist.

Um eine Urheberrechtsverletzung tatsächlich abzustellen, anstatt Gerichte und unbeteiligte Dritte mit dem endlosen Hase- und Igel-Spiel zu beschäftigen, muss ein Rechteinhaber letztlich den steinigen Weg gehen, diejenigen aufzuspüren, die sein Urheberrecht verletzten oder die direkt zur Verletzung beitragen.

Das Gericht bejahte zwar auch, dass Sonys Anwälte genug getan haben, um etwa den Zugangs-, Domain- oder Registry-Provider der aus ihrer Sicht strukturell Urheberrechts verletzenden Seite zum Einschreiten zu zwingen. Ob das angesichts der vielen möglichen Angriffspunkte, die vor dem DNS-Resolver liegen, tatsächlich erfolgt ist, muss in der nächsten Instanz nochmals auf den Prüfstand.

Die für Sony tätige Hamburger Kanzlei Rasch, beziehungsweise die mit ihr verbundene ProMedia GmbH, beließ es bei Anfragen per E-Mail, teils über Kontaktformulare. Sowohl von der Seite selbst als auch dem verantwortlichen Sharehoster, dem Provider Infium UAB habe man nichts gehört. Dabei blieb es offenbar bei einmaligen Anfragen.

Auf eine Kontaktaufnahme zur Registry .to hat man verzichtet. .to werde gezielt von Urheberrechtsverletzern genutzt, so der Vortrag. Keine Information gab es außerdem beim Werbevermittler "PopMyAdds" und bei der Spendenplattform "Buy me a Coffee". Ob man bei den letztgenannten vorstellig geworden ist, geht aus der Begründung des Gerichts allerdings gar nicht hervor.

Auch vom Anschreiben ans Quad9-Büro, deren Erhalt Quad9 im Verfahren bestritten hatte, steht in der Entscheidung der Richter nichts mehr.

Noch eine Frage haben die Hamburger Richter recht leichtfüßig zurückgewiesen, nämlich die der unternehmerischen Freiheit. In der Entscheidung verweisen sie darauf, dass Quad9 bereits heute eine Resolvervariante anbietet, die von verschiedenen Organisationen gemeldete Malware-Seiten ausfiltert. Die Aufnahme der von Sony gewünschten Sperre sei kein Aufwand und daher durchaus zumutbar.

Aus Sicht von Quad9 ist der Filterwunsch einer Firma für einen in einem Land erhobenen Rechtsanspruch keineswegs das gleiche wie der verhinderte Zugriff auf Malware-Seiten, die Nutzer weltweit schädigen können. Entweder müsste Quad9, so erläutert Rickert, tatsächlich unter Zuhilfenahme von Geolokalisierung deutsche Nutzer von der inkriminierten Seite fernhalten.Das würde, wie das Gericht anerkennt, zu einem höheren technischen Aufwand und längeren Laufzeiten bei den DNS-Antworten führen.

Oder Quad9 müsste einfach global nach deutschen Vorgaben sperren und sich im Gegenzug künftig fragen lassen, warum es nur deutsche Rechtsansprüche durchsetzt und nicht vielleicht später einmal auch die aus Ungarn, Polen oder Russland. Das würde die Attraktivität des Resolvers senken.

Bitter für Quad9 dürfte am Ende sein, dass man sich den Ärger erst durch den Umzug nach Europa eingehandelt hat, wo man sich als datenschutzfreundliche EU-Alternative zu kommerziellen Anbietern etablieren wollte. Nach Sonys entsprechendem Anspruch gegen den Marktführer Google in den USA – oder auch nur gegen deutsche 8.8.8.8-Nutzer hierzulande – sucht man bisher vergebens.

Quad9 Geschäftsführer Jonathan Todd sagt, man bleibe zuversichtlich, dass die nächste Instanz die Auffassung bestätigt, dass DNS-Resolver als Teil der Internetinfrastruktur nur "Durchleiter" sind und den Dienst nicht auf Zuruf privater Firmen manipulieren sollten.

(mho)