Burnout: "Ich kam nicht mehr aus dem Bett"

Mit 39 Jahren hatte Katja Härle einen Burnout. Ein Drama und Glück zugleich, denn heute lebt die Frau selbstbestimmt und zufriedener als zuvor.

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(Bild: stocktech78/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg

Es gehört eine Menge Mut dazu in der Öffentlichkeit von einer schweren Krankheit zu erzählen. Katja Härle, 45, traut sich über ihren Burnout zu sprechen. Die totale Erschöpfung hat sie schwer getroffen. Unzufriedenheit im Beruf und im Privaten hat in Kombination zu ihrem Zusammenbruch geführt.

Ein Burnout kommt nicht über Nacht. Der Zustand tiefer, emotionaler, körperlicher und geistiger Erschöpfung sendet seine Vorboten. Das sind mangelnde Konzentration, steigende Fehlerhäufung, aggressives Auftreten. Dazu brauchte es bei mir noch einen Auslöser, das war die Trennung von meinem Mann. Jahrelang war die Beziehung meine Stütze und hat die schwierige berufliche Situation ausgeglichen. Dann brach sie weg, ich habe gewankt, bin aber erst später gefallen. Ich habe gemacht, was viele in einer scheinbar ausweglosen Situation tun: Ich bin geflohen, vier Wochen Urlaub in Indien. Erholung war das keine, sondern ständiges sinnieren. Ich kam zurück wie ich ging und konnte eines Morgens nicht mehr aufstehen. Es fühlte sich an, als ob mich eine meterdicke Mauer von der Welt trennt. Mir war die Kraft ausgegangen, mich dem Alltag zu stellen.

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Mein Name ist Katja Härle, ich wuchs auf einem Dorf im Schwäbischen auf. Ich bin oder war zielstrebig und leistungsorientiert. Heute fällt es mir schwer, das eindeutig zu bewerten. Nach wie vor stecke ich voller Energie und Tatendrang. Daran hat die Krankheit nichts geändert.

Ich habe technische Betriebswirtschaftslehre studiert und anschließend bei einem Automobilzulieferer in der Logistikplanung angefangen. Ab meiner ersten Stelle hatte ich stets verantwortungsvolle Aufgaben mit Millionen-Etats. Der Inhalt der Arbeit hat mir immer Spaß gemacht, aber nicht, wie die Menschen miteinander umgingen. Die Unternehmen wollen Werte wie Menschlichkeit, Fairness und anderes bla bla bla leben. Ich habe genau das Gegenteil im Tagesgeschäft erlebt, das unmenschlich und unfair ist.

Wegen der Liebe bin ich umgezogen und habe den Arbeitgeber gewechselt. Ich ging zu einem Hersteller von Nutzfahrzeugen. Nach einem Jahr wurde ich Leiterin der Transportlogik für Kaufteile und war in eine Sandwitchposition geraten: über mir andere Führungskräfte, unter mir Mitarbeiter und ich dazwischen. Ich habe mich für mein Team eingesetzt, aber wenig erreicht, weil über mir kein Einsehen war. Erstmals spürte ich eine Erschöpfung. Deshalb habe ich gekündigt und zu einem Automobilzulieferer gewechselt. Dort war ich für das SAP-System in der Logistik zuständig. In diesem Job kam ich mir nun nicht nur menschlich, sondern auch inhaltlich fehlplatziert vor. Ich fühlte mich wie eine verirrte Seele, die nicht am Arbeitsplatz ankam. Ein ständiges Gefühl der Unzufriedenheit und eine latente Wut waren in dieser Zeit meine ständigen Begleiter. Als dann auch noch meine Ehe zerbrach, fehlte mir jegliche Sinnhaftigkeit in meinem Leben. Damals kam der Morgen, an dem ich nicht mehr aus dem Bett kam.

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich an einem Punkt, an dem ich mir selbst nicht mehr helfen konnte. Vorher war ich ein Stehaufmännchen. Weil ich keine körperlichen Symptome verspürte, ging ich gleich zum Psychiater. Ich hoffte darauf, Pillen zu bekommen, die mich schnell gesund machen, denn ich wollte nicht krank sein. Der Psychiater sagte mir, ich würde die Situation verkennen und schrieb mich für einige Wochen mit der Diagnose Burnout krank. Ich habe Rat bei meinen Eltern gesucht, denn ich war perplex, dass mir so etwas passiert, dass ich nicht mehr funktioniere. Meine Familie war fassungslos und sie hatten Angst um mich. Zunächst bin ich in eine innere Starre gefallen, weil ich nicht mehr wusste, wie es weitergehen kann. In diesen Wochen habe ich akzeptiert, dass ich die Arbeit ruhen lassen und mich um mich selbst kümmern muss.

Daraufhin war ich sehr konsequent und habe mich in eine psychosomatische Klinik eingewiesen. Professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen war der eine entscheidende Schritt für meine Heilung. Der andere zu reflektieren: was ist schiefgelaufen, was fehlt mir? Mir selbst die richtigen Fragen zu stellen war ein schwieriger Lernprozess. Letztendlich habe ich zur mir selbst beim Pilgern auf dem Jakobsweg gefunden. Tagelang war ich allein unterwegs. Ich musste und wollte mich intensiv mit mir selbst beschäftigen.

Sieben Monate war ich krankgeschrieben, dann kam die Wiedereingliederung im alten Job. Damals dachte ich, besser zurück ins Alte, als ins unbekannte Neue. Viele dort haben sich zwar mächtig Mühe gegeben, mich zu halten. Es wurden mir sogar andere Stellen angeboten. Aber ich stellte fest: Ich passe nicht in ein enges Konzept einer Arbeitsorganisation. Wenn Menschen fremdgesteuert funktionieren sollen, gehen sie als Individuum unter. Manchen macht das nichts, ich halte es nicht aus. In der Zeit der Eingliederung konnte ich meinen alten Urlaub nehmen. Sechs Wochen war ich 2017 auf dem Jakobsweg unterwegs. Als ich zurückkam, habe ich gekündigt.

Wieder nahm ich professionelle Hilfe in Anspruch und ging zu einem Berufscoach, von dem ich mir erhoffte herauszufinden, wohin ich eigentlich passe. Irgendwann fragte er, warum ich nicht selbst Coach werde und andere auf ihrem Weg unterstützen will. Ich habe inzwischen Ausbildungen zum Coach, in Kommunikationstechniken und beruflichem Gesundheitsmanagement abgeschlossen. Pilgern, in der Natur gehen, ist das zweite Standbein meiner Arbeit mit anderen Menschen, das dritte ist Bücher zu schreiben. Ja, ich hatte den Mut und habe mich selbständig gemacht. In Zeiten von Corona ist es aber kaum möglich, vom Coachen und Wandern leben zu können. Mein beruflicher Erfolg in meiner neuen Tätigkeit braucht daher noch etwas Zeit. Ich habe zum Glück Rücklagen, von denen ich lebe. Allerdings gebe ich nur noch einen Bruchteil von dem aus, was ich früher ausgegeben habe. Ich habe mein Leben insgesamt radikal verändert. Das war erstaunlich leicht, denn vieles brauche ich nicht mehr.

Katja Härle und Angelika Hankele haben gemeinsam das Buch „Eine Reise zu Dir selbst: 28 Impulse für ein selbstbestimmteres und zufriedeneres Leben“ geschrieben. Es ist erstmals im November 2021 im Verlag epubli erschienen und kostet 34,90 Euro.

(kbe)