Erweiterte Verfassungsbeschwerde gegen IP-Vorratsdatenspeicherung

Die Vorschriften zum anlasslosen Protokollieren von Nutzerspuren sind im TKG neu gefasst. Auch dagegen gehen Aktivisten beim Bundesverfassungsgericht vor.

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(Bild: Quardia/Shutterstock)

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Digitalcourage, der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und 23 betroffene Künstler, Journalisten, Anwälte, Ärzte und Verbände ändern ihren Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht: Mit diesem wollen sie jetzt obendrein die leicht angepassten Vorgaben zur Vorratsspeicherung von Internet- und Telefondaten angreifen. Die Vorgaben hatte der Bundestag im April in die Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) eingefügt. Zugleich wollen die Kläger erreichen, dass die Karlsruher Richter sich auch gegen das mittlerweile vielfach geforderte anlasslose Protokollieren von IP-Adressen aussprechen.

Die ursprüngliche Verfassungsbeschwerde, die die Aktivisten im Namen etwa von bekannten Persönlichkeiten wie der Schriftstellerin Juli Zeh, Ex-Verdi-Chef Frank Bsirske, dem Ökonom Friedhelm Hengsbach und dem Kabarettisten Marc-Uwe Kling 2016 eingereicht hatten, bezog sich auf die Paragrafen 113a bis 113g TKG. Mit der Gesetzesreform, die Anfang Dezember in Kraft trat, finden sie sich nun in den Paragrafen 176 und 177 TKG. Die Beschwerde wird mit dem Ende vergangener Woche gestellten Antrag entsprechend angepasst.

Die Beschwerdeführer greifen zudem gezielt eine potenzielle Vorratsspeicherung ausschließlich von IP-Adressen an, die mittlerweile vielfach als "milderes" Mittel im Vergleich zu einer Vollerfassung von Verbindungs- und Standortdaten gesehen und vor allem im Kampf gegen sexuelle Missbrauchsdarstellungen von Kindern gefordert wird. Auch ein generelles und undifferenziertes Protokollieren der Identitäten von Internetnutzern würde demnach "die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers in noch höherem Maße als durch den Rückgriff auf Telefon-Verbindungsdaten ermöglichen".

Die Kenntnis der IP-Adresse mache mithilfe von Logfiles der Diensteanbieter potenziell die gesamte Internetnutzung der Betroffenen nachvollziehbar, argumentiert der Hagener Polizeirechtler Frank Braun, der den Schriftsatz verfasst hat. "Jede Eingabe, jeder Klick, jeder Download" sowie jeder Beitrag im Netz würden damit transparent. Nach neuen Forschungsergebnissen lasse sich aus der IP-Adresse sogar ableiten, ob sich der Nutzer zuhause, auf der Arbeit oder unterwegs befinde.

Braun geht auch auf jüngste einschlägige Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ein. Prinzipiell halten die Luxemburger Richter damit an ihrer Linie fest, wonach umfassende, prinzipielle Vorgaben zum flächendeckenden Aufbewahren der Telekommunikationsdaten auf Vorrat unverhältnismäßig und grundrechtswidrig sind. Für das Aufbewahren von IP-Adressen halten sie aber Ausnahmen für denkbar. Bei den Internetkennungen sind ihnen zufolge die Grundrechtseingriffe weniger tief als etwa bei Standortdaten.

Diese Argumentation "begegnet vielfältigen Einwänden", schreibt Braun. Sie sei auf den Schutzgehalt der Grundrechte des Grundgesetzes nicht übertragbar. Eine IP-Vorratsdatenspeicherung sei ebenso unverhältnismäßig wie das anlasslose Aufbewahren anderer Kennungen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Identifizierbarkeit eines Teilnehmers anhand einer IP-Adresse unter geringeren Voraussetzungen möglich sein soll als eine mithilfe anderer Verbindungs- und Standortdaten.

Eine solche Schlechterstellung würde zu "unauflösbaren Wertungswidersprüchen" führen, betont der Professor: "Ruft jemand mit unterdrückter Rufnummer zu einer bekannten Uhrzeit einen bekannten Zielanschluss an, so darf dies nicht auf Vorrat gespeichert werden." Erfolge der Anruf dagegen über einen anonymen Internetdienst, etwa Skype, wäre der Anrufer dagegen über seine IP-Adresse identifizierbar.