Wie man das Wasser der Welt vermisst
Fernerkundungstechnologien sollen die Überwachung von Flüssen, Seen und sogar Ozeanen erleichtern und Auswirkungen des Klimawandels erkennbar machen.​
Der Kongo in der Nähe der Livingstonfälle.
(Bild: Wikipedia / Vberger)
- Maria Gallucci
Der Kongo-Strom ist nach dem Amazonas das zweitgrößte Flusssystem der Welt. Mehr als 75 Millionen Menschen sind von ihm abhängig, ebenso wie Tausende von Pflanzen- und Tierarten, deren Habitate in Sümpfen und Torfgebieten er versorgt. Der riesige tropische Regenwald, der sich in seiner Mitte ausbreitet, hilft das gesamte Klimasystem der Erde zu regulieren.
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Wie viel Wasser sich allerdings in diesem System befindet und wie sich der Klimawandel auf eines der wichtigsten Flusseinzugsgebiete Afrikas auswirkt, ist nicht bekannt. Denn das einstige Überwachungsnetz von rund 400 Stationen ist auf lediglich 15 zusammengeschrumpft. Hydrologen und Klimawissenschaftler sind jedoch auf sie angewiesen: zum einen um den Fluss und seine Nebengewässer zu verfolgen, während diese durch sechs Länder fließen und sich sammeln, und zum anderen um die Niederschläge zu messen.
"Um Maßnahmen zu ergreifen und das Wasser zu verwalten, müssen wir unsere Wasserressourcen kennen", sagt Benjamin Kitambo, Geologe am Kongobecken-Forschungszentrum für Wasserressourcen in Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo. "Aber was wir nicht messen, das können wir nicht wissen." Die Datenlücken auf der Erde füllen Forscher auf der ganzen Welt zunehmend mit Informationen, die aus dem Weltraum gesammelt wurden. Satelliten mit ihren Fernerkundungsinstrumenten können einen Blick auf Orte werfen, wo direkte Messungen veraltet, schwer zu erheben oder geheim zu halten sind.
Kitambo promoviert am Laboratoire d’Etudes en Géophysique et Océanographie Spatiales in Toulouse und analysiert eine riesige Anzahl von Satellitenmessungen und hydrologischen Modellen. Er will verstehen, wie sich die Nebenflüsse, Feuchtgebiete, Seen und Stauseen des Kongo-Flusses verändern. Dazu gehört auch die Untersuchung der Aufzeichnungen von mehr als 2.300 virtuellen Messstationen, die zwei wichtige Messgrößen im gesamten Einzugsgebiet ermitteln: "Die Höhe des Oberflächenwassers, das heißt der Wasserstand über einem Referenzpunkt, und die Ausdehnung des Oberflächenwassers."
Datenlücken über Wasserstände schließen
Die meisten Felddaten der Region stammen aus der Zeit vor 1960, also jenem Jahr, in dem die meisten Länder der Region ihre Unabhängigkeit von den europäischen Kolonialmächten erlangten. Seitdem ist die Forschung in der Region stark zurückgegangen, und die Erhebung von Daten über Oberflächengewässer hat sich als schwierig erwiesen.
Vor etwa fünf Jahren begann das Kongobecken-Forschungszentrum mit der Einrichtung eines Netzes von Wasserüberwachungsstationen, um den "gravierenden Mangel an grundlegenden Kenntnissen" über die Hauptschifffahrtskanäle des Flusses zu beheben, die oft als Straßen dienen. Einige Regionen in dem riesigen Becken waren jedoch zu abgelegen oder zu zerklüftet, als dass die Forscher sie hätten erreichen können. An anderen Orten entfernten die Menschen die neu installierten Instrumente, um das Material zu verkaufen, oder weil sie befürchteten, ausspioniert zu werden.
Viele Teile der Welt stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Länder in Lateinamerika und der Karibik haben seit den 1980er Jahren einen "dramatischen Rückgang bei bodengestützten Messungen zu verzeichnen, wie eine 2018 im Fachjournal "Water Resources Research" veröffentlichte Einschätzung zeigt. Im Einzugsgebiet des Mekong-Flusses, das sich über sechs Länder von China bis Vietnam erstreckt, hüten die Länder ihre Daten zur Wasserverfügbarkeit streng, wenn sie sie überhaupt erheben.
Dabei ist die Vermessung von Wasser Experten zufolge der Schlüssel zur Vorbereitung auf Naturkatastrophen und zur Anpassung an den Klimawandel. Der globale Temperaturanstieg wird voraussichtlich das Risiko von Stürmen und Sturzfluten in bestimmten Gebieten erhöhen und in anderen Gebieten schwere Dürren auftreten lassen. Gleichzeitig verändern und belasten massive Infrastrukturprojekte und eine ausufernde Stadtentwicklung Süßwasserressourcen wie Flüsse und Seen.
Wasser kartieren mithilfe von Satellitenbildern
Der Erkenntnisbedarf treibt nun eine Reihe von ehrgeizigen Forschungsinitiativen an, die auf Fernerkundungsinstrumente setzen. Denn Fortschritte in der Datenerfassung und -analyse aus dem Weltraum geben Wissenschaftlern ein klareres Bild davon, wie Wasser auf der Erde fließt und wie es in der Atmosphäre zirkuliert.
Satelliten zur Erdoberflächen-Beobachtung messen und kartieren Wasser mit optischen und Radarsensoren. Optische Sensoren erstellen Bilder von Gewässern, indem sie die von der Erde reflektierte Sonnenstrahlung erfassen. Das sogenannte Radar mit synthetischer Apertur wiederum vermisst die Ausdehnung und Höhe eines Oberflächenwassers, indem es Mikrowellenimpulse in Richtung Erde sendet und dann die reflektierte Energie sowie die Zeit misst, in der die Signale zu ihm zurückkehren. Anders als optische Sensoren kann das Radar auch durch Wolken und bei Nacht sehen.
Wissenschaftler können diese Beobachtungen anschließend kombinieren, um zu untersuchen, wie sich die Wasserressourcen einer Region im Laufe der Zeit verändern. So werteten etwa Forscher am niederländischen Forschungsinstitut Deltares Satellitenbilder von insgesamt 30 Jahren aus, die vom Landsat-Programm der US-Raumfahrtbehörde NASA stammten. Ihre 2016 veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass sich das Wasser auf der Erdoberfläche durch natürliche Flussbewegungen und menschliche Eingriffe wie Dämme und Bewässerung dramatisch verändert hat. Rund 113.000 Quadratkilometer Land sind heute mit Wasser bedeckt, und 173.000 Quadratkilometer Wasser sind zu Land geworden.