Wissenschaftler zu "Grünem Label" für Atomkraft: Größter Greenwash aller Zeiten

Deutsche Wissenschaftler, die die EU-Kommission beraten haben, zeigen sich enttäuscht. Derweil hat der Bundeskanzler seine Ablehnung der Atomkraft bestärkt.

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Französisches Atomkraftwerk in Cattenom.

(Bild: EDF)

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Deutsche Wissenschaftler, die die EU-Kommission zur nun vorgelegten Taxonomie-Verordnung beraten haben, zeigen sich schockiert. Professor Andreas Hoepner, Experte für nachhaltige Finanzen, bezeichnet als eines von 57 Mitgliedern der "Plattform für nachhaltige Finanzen" den Vorschlag der EU-Kommission als "wohl größten Greenwash aller Zeiten". Sebastian Rink von der Frankfurt School of Finance, hält die Vorlage für eine Verwässerung, durch die die gesamte Taxonomie unglaubwürdig werde, berichten die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR.

Die EU-Kommission hatte am Silvesterabend ihren Vorschlag für eine Taxonomie-Verordnung vorgelegt, der Atomkraft und Erdgas als "nachhaltig" einstuft. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erläuterte nun in einem Interview, dabei handele es sich um eine freiwillige Orientierungshilfe für private Investoren. Damit sollen Anlegerinnen und Anleger sofort sehen können, in welchem Finanzprodukt ihr Geld auf dem Weg zur Klimaneutralität hilft.

Rink meint laut dem Bericht zu dem Entwurf, er sei nicht wissenschaftlich und nicht produktiv, was die weitere Entwicklung der Taxonomie angehe. Das eigentliche Ziel der EU-Taxonomie werde untergraben, auch andere Industrien könnten eine Sonderbehandlung verlangen. Das sei nicht abwegig, schreibt die Süddeutsche Zeitung, denn der Bundesverband der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie wolle seine Unternehmen ebenfalls in die EU-Taxonomie einbringen, weil Sicherheit die Grundlage der Nachhaltigkeit sei.

Die "Plattform für nachhaltige Finanzen" hatte gut ein Jahr lang die Taxonomie diskutiert, ihre Vorschläge hat die EU-Kommission offenbar kaum aufgegriffen. Nun hat die Plattform bis zum 21. Januar Zeit, zu dem Verordnungsentwurf Stellung zu beziehen. Ursprünglich sollte sie das bis zum gestrigen Mittwoch tun, doch die Frist wurde verlängert. Danach haben die EU-Mitgliedsländer im Rat und das EU-Parlament Gelegenheit, mehrheitlich Einwände zu erheben.

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Bundeskanzler Olaf Scholz hatte am Mittwoch im Bundestag betont, die Nutzung der Atomkraft sei nicht nachhaltig, sie sei auch wirtschaftlich nicht sinnvoll. Es seien erhebliche Investitionen notwendig, um mit neuen Atomkraftwerken dafür zu sorgen, dass die Stromversorgung in den Ländern gewährleistet ist. EU-Binnenmarktkommissar Thiery Breton hatte kürzlich in der französischen Zeitung Journal du dimanche vorgerechnet, für die Atomkraft würden bis 2050 in der EU Investitionen in Höhe von 500 Milliarden Euro nötig werden.

"Wir wissen, dass auch diese Anlagen nicht ständig laufen. Wir hören immer die Berichte über ausfallende Kernkraftwerke, gar nicht wegen Sicherheitsproblemen, sondern weil sie aus den verschiedensten Gründen nicht liefern können", sagte Scholz. Auch seien viele Dinge noch ungeklärt, zum Beispiel die Entsorgungsfrage und unverändert die Sicherheitsfrage. "Alle statistischen Berechnungen, die einem einige Leute vorhalten, dass das Ganze nicht gefährlich sei, sind in dem Augenblick obsolet, wenn doch einmal etwas bei einem Atomkraftwerk passiert und man in der Nähe wohnt."

Zur EU-Taxonomie siehe auch

(anw)