Haare aus dem Labor sollen gegen Glatzen helfen

Biotech-Unternehmen programmieren Zellen, um neue Haare auf kahlen Köpfen sprießen zu lassen. Doch die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen.

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Ein Start-up namens dNovo präsentierte MIT Technology Review ein Foto einer Nacktmaus, der ein dichtes Büschel menschlicher Haare wächst – dies sei das Ergebnis einer Transplantation von menschlichen Haarstammzellen.

(Bild: Ms Tech / dNovo)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Antonio Regalado
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Die neusten Fortschritte der Gentechnik wecken bei Biologen mehrerer Start-ups die Hoffnung, das uralte Problem der Glatze lösen zu können, und entwickeln zu diesem Zweck neue haarbildende Zellen. Einige Forscher wenden nach eigenen Angaben diese Techniken bereits zur Züchtung menschlicher Haarzellen in ihren Labors und sogar bei Tieren an.

Der Gründer des Unternehmens ist Ernesto Lujan, ein an der Stanford University ausgebildeter Biologe. Sein Unternehmen, sagt er, könne die Bestandteile der Haarfollikel durch genetische "Umprogrammierung" gewöhnlicher Zellen herstellen. Es läge noch viel Arbeit vor ihnen, aber er sei zuversichtlich, dass die Technologie schließlich "die eigentliche Ursache des Haarausfalls" behandeln könne.

Wir Menschen werden bereits mit allen Haarfollikeln geboren – es kommen keine mehr hinzu. Aber Alterung, Krebs, Testosteron, genetische Veranlagung oder sogar COVID-19 können die haarbildenden Stammzellen in den Follikeln abtöten. Mit den Stammzellen verschwinden auch die Haare. Laut Lujan kann sein Unternehmen jede Zelle direkt in eine Haarstammzelle umwandeln, indem es die Aktivitätsmuster der Gene verändert. In der Biologie "verstehen wir Zellen heute eher als einen 'Zustand'" denn als eine feste Identität, sagt Lujan. "Und wir können Zellen von einem Zustand in einen anderen versetzen."

Haare zu ersetzen ist nur eine Facette bei der Frage, inwieweit Reprogrammierung Altersymptomen entgegenwirken kann. Das Unternehmen Altos Labs beispielsweise will erforschen, ob man Menschen durch Reprogrammierung verjüngen könne. Und ein kalifornisches Start-up-Unternehmen namens Conception, will Blutzellen in menschliche Eizellen umwandeln und damit die Grenzen der Fruchtbarkeit sprengen.

Ein entscheidender Durchbruch gelang Anfang der 2000er Jahre, als japanische Forscher eine einfache Formel fanden, um jede Art von Gewebe in pluripotente Stammzellen zu verwandeln – Zellen, die sich in fast jede Art von Körperzelle verwandeln können und daher denen eines Embryos ähneln. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. So könnten Wissenschaftler potenziell einen unbegrenzten Vorrat an nahezu jeder Zellart herstellen – beispielsweise Nerven oder Herzmuskel.

Die Praxis erweist sich bei bestimmten Zelltypen jedoch als recht kompliziert. Zudem müssen die im Labor gezüchteten Zellen wieder in den Körper gelangen. Bisher gibt es nur wenige Versuche, Reprogrammierung zur Behandlung von Patienten einzusetzen. Japanische Forscher transplantierten Netzhautzellen in blinde Menschen. Und im November letzten Jahres vermeldete das US-Unternehmen Vertex Pharmaceuticals, es habe möglicherweise den Typ-1-Diabetes eines Mannes geheilt durch eine Infusion von programmierten Betazellen, die auf Insulin reagieren.

Ein ähnliches Konzept liegt auch der Forschung des Start-ups dNovo zugrunde: gewöhnliche Zellen wie Hautzellen von Patienten sammeln und diese dann in haarbildende Zellen umwandeln. Neben dNovo transplantiert auch ein Unternehmen namens Stemson (der Name ist ein Kofferwort aus "Stammzelle" und "Samson") laut seinem Mitbegründer und CEO Geoff Hamilton reprogrammierte Zellen auf die Haut von Mäusen und Schweinen, um die Technologie zu testen. Dafür hat es 22,5 Millionen Dollar von Geldgebern erhalten, unter anderem von dem Arzneimittelhersteller AbbVie.

Sowohl Hamilton als auch Lujan setzen auf einen großen Markt. Etwa die Hälfte aller Männer leiden unter Haarausfall, manche bekommen bereits in ihren 20ern eine Glatze. Bei Frauen dünnt sich das Haar eher insgesamt aus – aber auch das nagt am Selbstwertgefühl.

Die Unternehmen bringen Hightech-Biologie einer Branche näher, die für ihre trügerischen Hoffnungen bekannt ist. Es kursieren etliche falsche Behauptungen über Mittel gegen Haarausfall und das Potenzial von Stammzellen. "Man muss sich vor Betrugsangeboten in Acht nehmen", warnt Paul Knoepfler, ein Stammzellenbiologe an der UC Davis.

Lässt die Stammzellentechnologie also Glatzen verschwinden oder nährt sie nur die nächste falsche Hoffnung? Hamilton betonte auf dem letztjährigen Global Hair Loss Summit, dass das Unternehmen noch viel Forschungsarbeit vor sich habe. "Es haben schon viele in der Haarbranche behauptet, sie hätten eine Lösung. Deshalb muss ich das ansprechen", sagt er. "Wir wollen deutlich machen, dass wir echte Wissenschaftler sind und nicht garantieren können, dass es funktioniert."

Zwar gibt es bereits einige zugelassene Medikamente gegen Haarausfall wie Propecia und Rogaine, aber sie sind nur von begrenztem Nutzen. Bei einem anderen Verfahren werden Hautstreifen von noch behaarten Arealen auf eine kahle Stelle verpflanzt. Mit einem ähnlichen Eingriff könnten laut Lujan in Zukunft im Labor gezüchtete haarbildende Zellen auf den Kopf einer Person übertragen werden.

"Ich glaube, dass viele Menschen einiges auf sich nehmen würden, um ihr Haar zurückzubekommen. Aber zunächst wird es eine maßgeschneiderte Prozedur sein und sehr kostspielig", sagt Karl Koehler, Professor an der Harvard University.

Haarfollikel, also die die Haarwurzel umgebenden Strukturen und so das Haar in der Kopfhaut verankern, sind erstaunlich komplizierte Organe, die durch das molekulare Zusammenspiel mehrerer Zelltypen entstehen. Laut Köhler sind Bilder von Mäusen mit menschlichem Haar nicht neu. "Jedes Mal, wenn man diese Bilder sieht", sagt Koehler, "hat die Sache sicher einen Haken, denn der Pferdefuß besteht dann darin, das auf den Menschen zu übertragen."

Koehlers Labor stellt Haarschäfte auf eine ganz andere Art und Weise her: durch Züchtung von Organoiden. Organoide sind kleine Zellansammlungen, die sich selbst zu Zellstrukturen organisieren können und dann denen von Organen gleichen. Koehler hatte ursprünglich ein Mittel gegen Taubheit gesucht und wollte die haarähnlichen Zellen des Innenohrs züchten. Doch seine Organoide entwickelten sich stattdessen zu Haut mit Haarfollikeln.

Koehler machte aus der Not eine Tugend und züchtet nun kugelförmige Hautorganoide. Nach etwa 150 Tagen haben sie etwa einen Durchmesser von etwa zwei Millimetern. Die röhrenförmigen Haarfollikel sind deutlich sichtbar; sagt er, und entsprächen denen der Flaumhaare, die einen Fötus bedecken. Überraschenderweise wachsen die Organoide verkehrt herum, das heißt, die Haare zeigen nach innen. "Warum, das ist noch die große Frage", sagt Koehler.

Die reprogrammierten Zellen des Harvard-Labors stammen von einem 30-jährigen Japaner. Koehler untersucht aber auch Zellen anderer Spender, um herauszufinden, ob Organoide auch zu Haaren unterschiedlicher Farbe und Beschaffenheit führen könnten. "Die Nachfrage ist groß ", sagt Koehler. "Die Betreiber von Kosmetikfirmen sind interessiert und ganz begeistert, wenn sie die Organoide sehen."

(jle)