Challenger-Unglück 1986: Fataler Raumfähren-Start in Eiseskälte

Vor 36 Jahren explodierte das Space Shuttle Challenger. Ein Augenzeuge erinnert sich an die Euphorie vor dem Start und den Schock danach.

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(Bild: Kennedy Space Center)

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Von
  • Markus Vögele
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Am 28. Januar 1986 explodierte die US-Raumfähre Challenger kurz nach dem Start. Alle sieben Besatzungsmitglieder, darunter die Lehrerin Christa McAuliffe, starben. Technische Probleme und verhängnisvolle Entscheidungen hatten für die bis dahin schlimmste Katastrophe in der bemannten US-Raumfahrtgeschichte gesorgt. An das Unglück vor 36 Jahren erinnert sich Alexander MacG (56) noch heute, denn der Fotograf und Filmproduzent aus Gusborn sah damals den Aufstieg des Shuttles von Miami Beach aus.

Florida. Kennedy Space Center. Hunderte Zuschauer, darunter die Familien der Besatzung, versammeln sich auf dem Weltraumbahnhof, um die 25. Space-Shuttle-Mission der Raumfähre Challenger zu sehen. Um 11.38 Uhr (Ortszeit) zünden die Booster und drücken das 2000 Tonnen schwere und 200 Millionen PS starke Shuttle vom Boden. Mit mehr als 1600 Kilometern pro Stunde düst der Koloss durch die Atmosphäre dem Weltraum entgegen. 73 Sekunden nach dem Start verdunkelt plötzlich ein riesiger Feuerball den sonnigen Himmel über dem Atlantik und sorgt für eine der schwärzesten Stunden der Raumfahrtgeschichte.

"Von Miami Beach konntest du immer die Starts ganz gut sehen. Die drehen dann aufs Meer raus. Du konntest die Rauchfahnen der Triebwerke sehen. Nur war da irgendwann plötzlich Schluss", erinnert sich MacG

"Alle waren sehr geschockt", beschreibt der heute 56-jährige Alexander MacG, der damals als Fotoassistent bei einem Shooting am Strand von Miami Beach tätig war, die Situation unmittelbar nach der Katastrophe. "Danach war natürlich gar nichts mehr möglich; wir hatten auch amerikanische Fotomodels, die völlig fertig waren", erinnert sich MacG, der den Start aus etwa 300 Kilometer Entfernung beobachtet hatte. "Wir haben von Miami Beach die aufsteigende Rauchfahne gesehen. Das Aufregende war ja, dass zum ersten Mal eine Privatperson mitflog. Das war auch das Schockierende daran", sagt MacG.

An Bord der Challenger war die damals 37-jährige Lehrerin und zweifache Mutter Christa McAuliffe, die als "Teacher in Space" ("Lehrerin im Weltraum") zwei Unterrichtsstunden für alle Grundschulklassen des Landes live abhalten sollte, um ihr Publikum für Weltraumforschung zu begeistern und der NASA wieder auf die Titelseiten zu verhelfen. "Das war ja nach viel Desinteresse wieder voll der Hype", meint MacG. Während der sechstägigen Mission sollte auch der Kommunikationssatellit TDRS im All ausgesetzt und der Halley’sche Komet beobachtet werden. Schlechte Wetterbedingungen hatten allerdings den für den 22. Januar 1986 geplanten Start verzögert.

Temperaturen bis unter den Gefrierpunkt in der Nacht vor dem Start machten diesen allerdings erneut fraglich. Ernsthafte Bedenken ob eines Take-offs bei solchen Witterungsbedingungen äußerte vor allem der Ingenieur Roger Boisjoly vom Booster-Hersteller Morton Thiokol. Während einer Telefonkonferenz zwischen Managern von Thiokol und der NASA, die zwölf Stunden vor dem Start stattfand und zu der auch der für die Startraketen verantwortliche Manager Lawrence Mulloy zugeschaltet war, warnte Boisjoly vor einer möglichen Explosion noch auf der Startrampe und machte mit Fotos von porösen Dichtungsringen an den Boostern der Discovery auf einen Konstruktionsfehler der Flotte aufmerksam.

Die Startraketen (Booster) bestehen aus mehreren Teilen, die durch Dichtungsringe miteinander verbunden werden. Aufgrund der Kälte wurden die Dichtungsringe an den Boostern der Discovery spröde und verloren ihre Elastizität, lautet Boisjolys Theorie. Die NASA-Manager hielten diese Fakten für nicht stichhaltig genug. "Ich hatte so eine Wut, ich schrie sie förmlich an, sie sollten auf die Fotos schauen", erinnert sich Boisjoly in einer TV-Dokumentation an die Telefonkonferenz. Trotz der Warnungen vor einer drohenden Katastrophe stimmten die Thiokol-Manager und Mulloy für einen Start und trafen damit eine Entscheidung mit fatalen Folgen.

Eine vom US-Präsidenten beauftragte Kommission wertete das von insgesamt über 200 Kameras produzierte Fotomaterial später aus und fand heraus, dass die rechte Startrakete der Challenger defekt war. Die Aufnahmen zeigten, dass in den ersten zwei Sekunden nach dem Start schwarzer Rauch aus der rechten Startrakete austrat. Weitere Untersuchungen ergaben, dass Schlacke, die sich zwischen den Verbindungssegmenten der Startrakete festsetzte, das Austreten von Treibstoffgasen und eine Explosion auf der Startrampe verhinderte. 58 Sekunden nach dem Start, so zeigten Messwerte, traf in 10 Kilometern Höhe eine sehr schnelle Luftströmung die Challenger seitwärts. Das könnte eine Erklärung für die zick-zack-förmigen Kondensstreifen, die nach der Explosion am Himmel zu sehen waren, sein.

Durch die Seitenwinde, die etwa mit der Windgeschwindigkeit von Hurrikan Katrina vergleichbar sind, löste sich die Schlacke und 9000 Grad Celsius heiße Treibstoffgase strömten aus der rechten Startrakete. Fast gleichzeitig bildete sich am rechten Treibstoff-Booster eine Flamme, die schweißbrennerartig die Verbindung der Startrakete zum Außentank zum Schmelzen brachte. Nach 72 Sekunden brach die Halterung ab und die Spitze der Startrakete prallte auf den Außentank, wodurch nahezu zwei Millionen Liter Treibstoff in Flammen aufgingen. Die Challenger zerbarst in 15 Kilometern Höhe über dem Atlantik vor den Augen der Welt.

Space Shuttle Challenger (27 Bilder)

Der letzte erfolgreiche Start der Challenger am 30. Oktober 1985, knapp drei Monate vor der Katastrophe.
(Bild: NASA)

"Wegen der Lehrerin an Bord, waren in allen Bars und Shops, die dort am Ocean Drive in Miami Beach waren, die Fernseher an", erinnert sich Alexander MacG. "Obwohl du ja eigentlich gar nicht direkt betroffen bist, versuchst du das zu verarbeiten, indem du immer wieder mit anderen redest", beschreibt MacG seine damalige Reaktion auf die Katastrophe.

Die Leichen aller sieben Astronauten wurden erst Wochen später aus dem Atlantik geborgen. Wie die Kommission feststellte, könnten drei Besatzungsmitglieder die Explosion tatsächlich überlebt haben, da ihre Helme, die für den Notfall mit einer künstlichen Sauerstoffzufuhr ausgerüstet waren, aktiviert wurden. Ein Aufprall mit einer Geschwindigkeit von 320 km/h auf dem Wasser allerdings hat ein Überleben unmöglich gemacht, so die Experten.

In einer TV-Ansprache nach dem Desaster sprach US-Präsident Ronald Reagan von einer "Tragödie" und von "sieben Helden", die gestorben seien. Das waren der Kommandant Francis Richard "Dick" Scobee, der Pilot Michael "Mike" Smith, die Missionsspezialisten Judith "Judy" Arlene Resnick, Ellison Shoji Onizuka, Ronald Erwin "Ron" McNair sowie die Nutzlastspezialisten Gregory Bruce "Greg" Jarvis und eben Christa McAuliffe, die als Lehrerin und zugleich erste Nicht-Astronautin Teil der Besatzung war.

Nach der Challenger-Katastrophe, deren Ursache ein komplexes Zusammenspiel aus technischen Problemen und fatalen Entscheidungen war, wurde das Raumfahrtprogramm der NASA für zweieinhalb Jahre stillgelegt und das Sicherheitssystem des Shuttles verbessert. Am 29. September 1988 flog mit der "Discovery" erstmals wieder seit dem Unglück eine Raumfähre ins All.

"Ich war 1995 noch einmal in den USA und bin dann auch nach Cape Canaveral gefahren, weil mich das damals stark beschäftigt hat", sagt MacG, der heute als erfolgreicher Filmproduzent tätig ist.

"Die Zukunft gehört den Mutigen", lautete die Botschaft Ronald Reagans an jenem Januartag 1986. 17 Jahre transportierte die Shuttle-Flotte Astronauten sicher ins All und zurück, ehe am 1. Februar 2003 das Schwesterschiff Columbia beim Eintritt in die Atmosphäre in 60 Kilometern Höhe zerbrach und die Zukunft von sieben weiteren Mutigen beendete.

(mho)