Satellitendaten: Antarktis-Gletscher schmelzen deutlich schneller als erwartet

Bei einer Gruppe kleinerer Gletscher löst sich vor allem die freischwimmende Unterseite des Eises ab. Der Meeresspiegel könnte um bis zu 1,3 Meter ansteigen.

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Pope Gletscher

(Bild: NASA Operation Ice Bridge 2016)

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Neue Hiobsbotschaft vom Südpol: Eine Gruppe kleinerer Gletscher in der westlichen Antarktis – Smith, Pope und Kohler – schmilzt seit rund 30 Jahren schneller als durch bisherige Modelle nahegelegt. Sie sind dünner geworden, haben Schelfeis an den Ozean verloren und sich weiter ins Land zurückgezogen. Dies geht aus einer Studie hervor, die jetzt im Fachjournal "Nature Geoscience" erschienen ist.

Den rapiden Abschmelzungen kamen die Forscher demnach mithilfe spezieller Radardaten der Satellitenmissionen Tandem-X und Cosmo-Skymed auf die Spur. Aufgefallen war ihnen vor allem der Rückgang der sogenannten Aufsetzlinie. Darunter versteht man die Grenze, an der das Eis den Kontakt zum Festland verliert und beginnt, auf dem Meer zu schwimmen. Daher richteten die Radarexperten ihr Augenmerk auf diesen Übergangsbereich. So konnten sie auch erstmals drastische Veränderungen des Pope-Gletschers nachweisen, der sich 2017 innerhalb von nur drei Monaten mit einer Geschwindigkeit von 11,7 Kilometer pro Jahr zurückzog.

Für die Analyse arbeitete das Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit internationalen Forschungspartnern wie der Universität Houston, Einrichtungen der University of California, der Université Grenoble Alpes sowie der italienischen Raumfahrtagentur ASI zusammen. Die gewonnenen Erkenntnisse halten sie für entscheidend, um Gletscherprozesse besser zu verstehen und so die Entwicklung der gesamten Antarktis vorherzusagen. Klimaforscher könnten so künftig noch genauer berechnen, wie stark der Meeresspiegel ansteigen wird und welche Schutzmaßnahmen am wirkungsvollsten sind.

Höhenänderungen und Bewegung der Aufsetzlinie

(Bild: TanDEM-X-Daten, Aufsetzlinien abgeleitet von COSMO-SkyMed)

Bisher standen die benachbarten Eisgiganten Thwaites und Pine Island im Fokus der Forschung, da sie sehr fragil sind und den globalen Meeresspiegel um bis zu 1,2 Meter ansteigen lassen könnten. Mit den Veränderungen der kleineren Gruppe dürften noch einmal rund 10 Zentimeter Anstieg dazukommen, schätzt das Team. Thwaites gilt bereits als "Weltuntergangsgletscher". Erst vor Kurzem hatte eine andere Forschergruppe in dieser Eismasse von der Größe Floridas ausgedehnte, offenbar wachsende Risse entdeckt. Sie befürchtet beim Abriss der schwimmenden Zunge eine Kettenreaktion.

Die Unterseite eines Gletschers entzieht sich den Blicken des Menschen, sodass der Eisverlust bislang als nicht direkt messbar galt. Durch digitale Tandem-X-Höhenmodelle konnten die Wissenschaftler nun diese verborgene Schmelzrate aber genauer bestimmen. Sie fanden unter anderem heraus: Während der Smith-Gletscher über Land im Zeitraum von 2011 bis 2019 etwa fünf Meter pro Jahr abschmolz, betrug die Schmelzrate an der frei schwimmenden Gletscherunterseite rund 22 Meter pro Jahr. An bestimmten Stellen wies die Eismasse sogar Schmelzraten von mehr als 100 Meter pro Jahr auf. Der Spitzenwert lag 2016 bei 140 Meter.

Westantarktis: TanDEM-X Geländedarstellung der Gletscher Kohler, Smith und Pope

(Bild: DLR (CC BY-NC-ND 3.0))

Die physikalischen Schmelzprozesse von Pope, Smith und Kohler liefen bei den anderen Gletschern rund um die Amundsen-See identisch ab, warnen die Forscher. Die Riesen Thwaites und Pine Island könnten mit ihren hohen Masseverlusten so die restliche Westantarktis destabilisieren. Dies hätte verheerenden Folgen für das Leben auf der Erde insgesamt. Die Debatte über das Erreichen des Kipppunktes des Eisschildes in der Region wird seit einiger Zeit mit neuer Intensität geführt. Mit 18,3 Grad Celsius war im Februar 2020 auch ein neuer Temperaturrekord in der Antarktis gemessen worden.

"Für die Bestimmung der Abschmelzraten haben wir am DLR zusätzlich mehr als 240 digitale Tandem-X-Höhenmodelle erzeugt, die die Westantarktis von 2011 bis 2019 hochgenau abbilden", erklärt Co-Autorin Paola Rizzoli vom hauptsächlich involvierten DLR-Institut. Dazu gehöre eine eingespielte Produktionskette: Das Deutsche Raumfahrtkontrollzentrum ist für den Betrieb von Terrasar-X und Tandem-X verantwortlich und kommandiert die Zwillingssatelliten für die benötigten Aufnahmen.

Aufgezeichnet werden die Radardaten vom Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum an seinen Empfangsstationen in Neustrelitz, Inuvik (kanadische Arktis) und Gars O’Higgins (Antarktis). Das DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung liefert die Eingangsdaten für die automatisierte Verarbeitung der Radardaten. Interferenztechnisch vermessen, geokodiert und kalibriert werden die Tandem-X-Aufnahmen am DLR-Institut für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme.

Weitere Verbesserungen erwarten die Forscher durch künftige Satellitenmissionen: Damit könnten im langwelligen Frequenzbereich im Funkspektrum von 1 bis 2 GHz, dem L-Band, Gletscherstrukturen und ihre dynamischen Prozesse noch genauer abgebildet werden, da so auch ein Blick etwa durch Vegetation hindurch ermöglicht werde.

(bme)