Der Wandel des IT-Studiums: "Künftig haften Informatiker für ihre Arbeit"

Wie wird Qualität in der akademischen Informatikausbildung definiert? Ein Gespräch mit dem Mann, der das verantwortet.​

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(Bild: Iakov Filimonov/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Professor Karsten Wolf

Im Fakultätentag Informatik sind alle Universitäten Deutschlands mit diesem Studiengang zusammengeschlossen. Eine Aufgabe dieses Gremiums ist die Koordination der Informatikausbildung. Die liegt in Händen der ständigen Studienkommission, die von Professor Dr. Karsten Wolf geleitet wird. Er ist zuständig für die Qualität der Informatikstudiengänge. Wie er das schafft und was auf künftige Informatiker zukommt.

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Nur jeder Zweite, der ein Informatikstudium beginnt, macht einen Abschluss. Die anderen satteln um, geben auf oder fallen durch. Ist Informatik zu schwer oder die Studierenden zu schwach?

Ich will nicht bestreiten, dass wir Verbesserungsreserven haben, insbesondere was den Studieneinstieg betrifft. Daran arbeiten wir. So haben wir vor Kurzem eine Studie durchgeführt, bei der wir geschaut haben, welche Vorkenntnisse Studierende mitbringen und was Professoren erwarten. Dabei haben wir einige interessante Problemstellungen herausgefunden, an denen wir ansetzen können. Ich würde das Studium als nicht zu schwer betrachten.

Es gibt genügend Beispiele dafür, dass selbst Studierende ihren Abschluss schaffen, die mit sehr schlechten Voraussetzungen zu uns gekommen sind. Sie haben auf dem letztmöglichen Bildungsweg Abitur gemacht, waren jahrelang von der Schule weg – und haben diese Defizite durch hohen Einsatz ausgeglichen. Das geht, und Abbrechen hat unterschiedliche Ursachen: Prioritäten können sich ändern, manchmal geben Eltern das Studium vor und viele bleiben der IT treu, wählen mit einer Ausbildung nur eine andere Bildungsform. Wir haben aber auch eine Gefahrengruppe. Das sind Studierende mit 3er- und 4er-Abitur, die unsere Mentoringangebote in der Studieneingangsphase nicht annehmen. Die Folge ist häufig ein Scheitern.

Wie lässt sich der Einstieg verbessern?

Wir haben in der Studie weiterhin festgestellt, dass bei den mathematischen Vorkenntnissen die Fähigkeiten, einen mathematischen Beweis zu führen, in der Schule nicht gelehrt werden. Das wissen zwar einige unserer Professoren, viele andere setzten dieses Wissen voraus. Weil dieses Wissen wichtig ist im Informatikstudium, müssen wir unsere Ausbildung anpassen und sie von Grund auf vermitteln, also ins Curriculum aufnehmen.

Wie wird Qualität in der Informatik definiert?

Grundlegend geht es darum, Absolventen auszubilden, die sachkundig sind, aber auch selbständig und verantwortlich handeln können. Das ist unser Anspruch. Gegenüber anderen Hochschulformen sind wir mehr darauf bedacht, dass unsere Ausbildung nachhaltig ist. Das bedeutet: Studierende, die heute die Universität verlassen, sollen auch noch in 20 und 30 Jahren alle Fähigkeiten besitzen, um die zu erwartende Umwälzungen mitgehen zu können. Deshalb vermitteln Universitäten eine grundlegende Orientierung, um sich über ein ganzes Berufsleben in der Informatik zurechtzufinden.

Wenn wir Studiengänge ausrichten, geht es auch um die Studierbarkeit, etwa den Abschluss in einer vertretbaren Zeit hinzubekommen. Wir achten darauf, dass Lehrveranstaltungen und Prüfungen zusammenpassen. Wir sorgen für Wahlmöglichkeiten in der Fächerkombination, für Vergleichbarkeit des universitären Abschlusses in Deutschland durch gemeinsame Standards und achten auf deren Einhaltung.

Wie bewerten Sie das Informatikstudium in Deutschland auf einer Skala von 1 bis 10 und wie im selben Maßstab im internationalen Vergleich?

Wir haben im internationalen Vergleich insbesondere bei den Betreuungsbedingungen ein deutlich schlechteres Verhältnis. Die Finanzierung des Studiums gefällt mir nicht, weil Bafög zu viele Lücken lässt und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen behindern uns: bis ein Studiengang reformiert werden kann, müssen bürokratische, aufwendige und langwierige Prozesse bewältigt werden. Das müsste schneller und flexibler gehen. Die räumliche Ausstattung ist durchwachsen. Wir haben also Luft nach oben, daher eine 7 für Deutschland, im internationalen Vergleich gebe ich eine 9. Was die Qualifikation unserer Absolventen angeht sind wir absolut konkurrenzfähig mit den großen und bekannten Universitäten weltweit.

Hat sich das Informatikstudium in den vergangenen 20 Jahren grundsätzlich verändert?

Nach Außen hin jedenfalls. Denn vor 20 Jahren gab es noch Diplom-, heute gibt es Bachelor- und Master-Studiengänge. Die Anpassung fiel uns leichter als in den Geisteswissenschaften, weil die Diplomstudiengänge recht gut strukturiert waren. Inhaltlich sind Theorie und Praxis heute deutlich integrierter. Früher gab es die strikte Trennung zwischen technischer, praktischer und theoretischer Informatik. Heute kann man diese Unterschiede in den meisten Lehrveranstaltungen nicht mehr erkennen. In jeder Vorlesung ist von mehreren Aspekten einiges vorhanden.

Welche wesentlichen Inhalte fielen im selben Zeitraum weg, welche kamen dazu und welche werden künftig aufgenommen?

Es fällt wenig weg, aber einiges spielt eine geringere Rolle, etwa Assemblerprogrammierung. Neu und stärker beachtet sind Security und Zuverlässigkeit, soziale Medien werden aus Sicht er Informatik erforscht. Es sind Vorlesungen zur Ethik hinzugekommen, damit die Verantwortung der Informatik stärker betont wird. Die aktuell gehypten Themen wie autonomes Fahren und Künstliche Intelligenz werden in die Curricula aufgenommen, ebenso Data Science. Die Lehramtsstudiengänge sind deutlich ausgebaut worden und gewachsen. Und es gibt informatische Grundbildung in anderen Studiengängen.

Dadurch sorgen wir dafür, dass Nicht-Informatik-Studenten etwas über die allgegenwärtige Informatik erfahren. Quantencomputing müssen wir beobachten. Es wird weiter in Richtung Qualität, Sicherheit, Ethik und Technikfolgen gehen, damit Informatiker verantwortlich handeln und wir werden uns mit anderen Fächern stärker verknüpfen.

Wird das Informatikstudium in 20 Jahren auch noch so sein wie heute oder wird es sich grundsätzlich wandeln?

Informatik wird paralleler werden. Im Moment heißt Programmierung sequentielles Vorgehen, also einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Künftig wird parallel programmiert. Das werden wir den Studierenden in 20 Jahren von Anfang an beibringen. Im selben Zeithorizont werden wir unsere Studierenden so hochwertig ausbilden können, dass sie für die Produkte in deutlich stärkerem Maße bereit sind als heute, Haftung dafür zu übernehmen. Wenn einem Bauingenieur das Haus einstürzt, dann muss er ins Gefängnis. Etwas in dieser Richtung wird auch auf die Informatik zukommen.

(axk)