Was war. Was wird. Krieg dem Kriege
Ausgerechnet die Taliban warnen vor einer Eskalation von Putins Angriff auf die Ukraine. Hal Faber gruselt sich – aber aus der Ferne ist das billig.
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Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Das Feuer brannte, das sie geschĂĽrt.
Löscht es aus! Die Imperialisten,
die da drĂĽben bei jenen nisten,
schenken uns wieder Nationalisten.
Und nach abermals zwanzig Jahren
kommen neue Kanonen gefahren. –
Das wäre kein Friede.
Das wäre Wahn.
Der alte Tanz auf dem alten Vulkan.
Du sollst nicht töten! hat einer gesagt.
Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt.
Will das niemals anders werden?
Krieg dem Kriege!
Und Friede auf Erden.
(Kurt Tucholsky)
Was war.
*** Jubiläen sind eigentlich eine gemütliche Sache für denk-mal-daran-Geschichten, verbrämt mit philosophischen Betrachtungen. In Kriegszeiten, in denen wir jetzt leben, sieht das anders aus. Wir sehen russische Panzer in der Ukraine, die mit der roten Sowjetflagge durch die Straßen donnern. Damit soll offenbar an die ruhmreiche Armee erinnert werden, die gegen den Faschismus kämpfte. Im Kontext der durch Putins Angriff geschändeten Ukraine sieht das anders aus. Vor 90 Jahren erlebte das Land ab Februar eine schwere Dürre, die den ganzen Frühling über herrschte und schließlich zu Missernten und zum Holodomor mit drei bis sieben Millionen Hungertoten führte. Was an Getreide in der "Kornkammer" produziert wurde, wurde auf dem Weltmarkt verkauft, weil die Sowjetmacht Devisen brauchte, um Maschinen kaufen zu können. Stalin verfügte ein Ausreiseverbot für Hungerflüchtlinge zum "Schutz" der Sowjetunion. Bis Mitte der 80er Jahre wurde die Katastrophe in den sowjetischen Geschichtsbüchern verschwiegen, in Hitlerdeutschland wurde die Berichterstattung untersagt. Der Journalist Paul Scheffer, der als erster über die Zwangskollektivierung und Misswirtschaften in der Landwirtschaft berichtet hatte, konnte noch 1933 einen Kongress über das Sterben in der Ukraine ausrichten, auf dem Spenden gesammelt wurden. Danach hatte er aber als Parteigänger der Nationalsozialisten und als von Goebbels eingesetzter Chefredakteur des Berliner Tageblatts anderes zu tun.
*** Die Sowjetflaggen an den Panzern erinnern an eine andere Geschichte, die sowjetische Invasion in Afghanistan im Dezember 1979, auf die das Land mit drastischen Plakaten reagierte. Sie ist in der großen ruhmreichen, von Putin erzählten Geschichte komplett ausgeblendet, wie auch die Tschetschenienkriege. Afghanistan leidet heute unter deren Spätfolgen, denn seit dem Blitzabzug des freien Westens droht eine große Hungerkatastrophe. Wenn nun die paramilitärische tschetschenische Dschihadisten-Truppe von Ramsan Kadyrov den Russen "zu Hilfe" eilen soll, dürfte das Wort vom Genozid um eine weitere Bedeutung angereichert werden. Dass ausgerechnet die Taliban in Afghanistan vor einer Eskalation des Putin-Angriffes warnen, ist gruselig.
*** Aber sich aus der Ferne gruseln ist billig. Die philosophischen Betrachtungen zum Wochenende sind mit der Frage beschäftigt, ob Wladimir Putin jetzt sein "wahres Gesicht" zeigt, oder ob er angesichts der Machtfülle auf die Seite des Bösen gewechselt ist. Der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin schreibt hinter einer Bezahlschranke düster über den 24. Februar 2022: "Die Welt hat das Monster erblickt, wahnhaft, gnadenlos. Ganz allmählich war das Ungeheuer gewachsen, berauscht von absoluter Macht, imperialer Aggressivität und Gehässigkeit, angetrieben vom Ressentiment gegenüber dem Ende der UdSSR und vom Hass auf die westlichen Demokratien. Fürderhin wird es Europa nicht mehr mit dem vorigen Putin zu tun haben. Sondern mit einem neuen. Mit dem es keinen Frieden mehr geben wird." Etwas anders klingt es in der gleichen Zeitung mit der gleichen Bezahlschranke, wenn ein Deutscher sich Gedanken über Putin macht: "In diesen Tagen des Krieges zeigt sich überdeutlich: Wladimir Putin ist nicht der Entscheidungs-Androide, er ist kein Mr. Data mit einem positronischen Gehirn, der ausschließlich von seiner spezifischen ratio gelenkt wird. /.../ Er ist so brandgefährlich, weil er nicht vernünftig ist."
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*** Für andere Kommentatoren ist Putins Krieg schon vorbei, wenn es wie hier heißt: "Russland wird sich die Ukraine und sicher auch Belarus auf die eine oder andere Weise einverleiben und das monströse neue Gebilde in eine imperiale Diktatur verwandeln. Um die mutigen Menschen, die dort gegen den Krieg demonstrieren, muss man sich sorgen. Der wirtschaftliche und sonstige Austausch mit dem Westen wird stark schrumpfen, und das Gros der Bevölkerung in dem isolierten, neu-zaristischen Reich wird materiell und geistig ärmer gemacht."[i] Dazu passt natürlich die Meldung, dass Russland viele Botschaften schließen will.
*** Zu den weniger pathetischen Momenten gehören Nachrichten vom aktiven Widerstand im Land, bei dem IT eine wichtige Rolle spielt. Damit sind nicht die Hacker-Angriffe auf Webseiten gemeint, sondern etwa die Datenbank, in der "Verkehrshinweise" für die russischen Panzer und Flugtruppen gesammelt werden. Sie zeugen davon, dass Monate vorher einige Arbeit in die Vorbereitung der Invasion gesteckt wurde. Auch die Warnung vor Handy-ähnlichen Geräten, die offenbar dem Zielfunk dienen, gehört dazu. Zählt man all diese Details zusammen, bleibt die Frage, was die "Dienste" von den Planungen mitbekommen haben. Nicht eben viel, darauf deutet dieses Detail hin. Wahrscheinlich musste BND-Chef Bruno Kahl einen Teppich in Kiew abholen, wie seine Vorgänger in Afghanistan.
Was wird.
Jeder Tag des Krieges soll Russland nach US-Angaben 20 Milliarden Dollar kosten. Angelegt war Putins Angriff auf eine Zeitspanne von vier Tagen, danach sollte die gewählte Regierung Selenskyj geflohen sein und wie in Belarus eine Marionetten-Regierung gebildet werden. Aber der Komiker ist nicht geflohen und hat sich als Held der Stunde bis zur Stunde halten können. Den Informationskrieg hat der Komiker mit einem Smartphone gegen den ehemaligen KGB-Offizier jedenfalls haushoch gewonnen. Ob das auch nach dem Wochenende der Fall ist und die Ukraine sich halten kann, wird sich zeigen. Dazu gibt es viele offene Fragen. Wie kann eine neue Friedensordnung aussehen? Was ist mit dem Zahlungssystem? Ebenfalls hinter einer Bezahlschranke lugt ein Text hervor, der skeptisch ist und en passant den Westen abwatscht: [i]"Er hat nicht nur die Krim-Annexion geschluckt. Er war schon drauf und dran, Nord Stream 2 unter Umgehung der Ukraine in Betrieb zu nehmen. Er hat sich mehr als einmal herabgelassen, nach der Pfeife Moskaus zu tanzen, entweder aus eigennützigen Überlegungen oder um sich von Amerika abzusetzen oder wie die Taxifahrer in Berlin, Paris oder Rom Putin ehrlich gut zu finden, denn er ist ja einer von ihnen. In der derzeitigen Tragödie wird der Westen für sich selbst seine eigene historische Rolle wählen. Auf die Ukraine kommen schwere Zeiten zu. Aber das Unglück wird vorübergehend sein. Russland hat sich selbst zur Zielscheibe gemacht. Was sich daraus ergeben wird, ist unklar. Wird es noch Kraft haben für eine neue Runde Perestroika und Freiheit, oder wird es zugrunde gehen – das weiß niemand."
Vielleicht wird die Niederlage die Chance zu einem Neuanfang, wie ihn sich "die älteste linke Zeitschrift Deutschlands" vorstellt, mit einer Neu-Aufstellung der Nato imaginiert, nur eine ohne Aggression. Ob das ganz ohne "Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Weltordnung des Westens" geht, auch das ist eine spannende Frage.
(bme)