Ukraine will sofort ans EU-Stromnetz – russische Truppen vor AKW Saporischschja

Momentan läuft die Ukraine im Inselbetrieb, das soll sich schnell ändern. Besorgt zeigt sich die IAEA über russische Truppen, die sich dem größten AKW nähern.

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(Bild: Energoatom)

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Der ukrainische Energieminister German Galushchenko bittet die EU, das örtliche Stromnetz so schnell wie möglich mit dem Netz der EU zu synchronisieren. Das Land befindet sich momentan im Inselbetrieb, da es nicht mehr mit dem russischen Stromnetz verbunden ist. Die Ukraine wolle auch nicht mehr zum früheren Zustand zurückkehren, sagte die EU-Kommissarin für Energie Kadri Simson nach einem Gespräch mit Galushchenko.

2008 hatten sich die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine so weit verschlechtert, dass der Transit russischen Stroms durch die Ukraine politisch nicht mehr aufrechtzuerhalten war, wie es in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politk (SWP) heißt. Eine erste Vorvereinbarung zwischen der EU und der Ukraine über eine Energie-Zusammenarbeit wurde 2005 geschlossen. Der Anschluss des ukrainischen Stromnetzes an das EU-Netz habe seit langem Priorität, erklärte Simson, auf die Weise solle die Ukraine unabhängiger werden. Am 24. Februar sollten eigentlich die ersten Schritte zur Vorbereitung auf die Synchronisierung unternommen werden, doch dann begann die russische Invasion.

Der Anschluss der Ukraine sei eine Herausforderung, aber etwas Greifbares, was für das Land nun getan werden könne, sagte Simson. Sie habe deshalb mit der Führung des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) gesprochen und im EU-Rat ihre Kolleginnen und Kollegen um Unterstützung gebeten; für ihren Vorschlag sei breite Zustimmung signalisiert worden. Wenn der Plan umgesetzt würde, werde auch die Republik Moldau ans EU-Netz angeschlossen.

Für die Netzanbindung der Ukraine an die EU werden Kosten in Höhe von 357 Millionen Euro veranschlagt. Im Juni 2017 unterzeichneten die Netzbetreiber der Ukraine (Ukrenergo) und Moldovas (Moldelectrica) mit dem ENTSO-E eine Vereinbarung zur Interkonnexion. Darin sind die technischen Ziele einer für spätestens 2023 geplanten Anbindung ans Kontinentalnetz festgelegt, die bis 2023 oder gegebenenfalls bis 2025 umgesetzt werden sollten. Voriges Jahr gab es darüber noch keine Einstimmigkeit im ENTSO-E, geht aus der SWP-Studie hervor.

Außerdem werde daran gearbeitet, Erdgas von Westen nach Osten in die Ukraine zu liefern, erste Lieferungen hätten bereits stattgefunden, Lieferungen aus der Slowakei sollen folgen. Zudem wollen laut Simson Polen, Litauen und Tschechien Diesel, Benzin, Kerosin und Generatoren in die Ukraine liefern.

Simson und ihre Kollegenschaft haben auch die Atomkraftwerke in der Ukraine und ihre Sicherheit im Auge. Gut die Hälfte des ukrainischen Stroms wird durch Kernspaltung erzeugt. Um das Thema kümmert sich auch die Europäische Arbeitsgruppe für nukleare Sicherheit (ENSREG) zusammen mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Die ENSREG fordert Russland nachdrücklich auf, rechtswidrige Aktivitäten unverzüglich einzustellen, um die Kontrolle der ukrainischen Atomaufsicht SNRIU über alle Nuklearanlagen und nuklearen Materialien wiederherzustellen.

Die ENSREG zeigte sich besorgt darüber, dass im Sperrgebiet des 1986 explodierten AKW in Tschernobyl Waffen eingesetzt oder von dort Raketenangriffe ausgeübt würden. Die erhöhten Strahlungswerte, die in Tschernobyl gemessen wurden, seien zwar wahrscheinlich auf Truppenbewegungen zurückzuführen und es gebe bisher keine Informationen über Schäden an den Einrichtungen in der Sperrzone, allerdings gebe es weiterhin das Risiko, dass Lager- und Entsorgungseinrichtungen für radioaktive Abfälle oder gar die Schutzhülle der Ruine des Reaktorblocks 4 beschädigt werden kann.

"Ausländische Streitkräfte müssen den Standort verlassen und sachkundigen Mitarbeitern des Lizenznehmers und der nationalen Aufsichtsbehörde den ungehinderten regelmäßigen Zugang ermöglichen, um den dauerhaften sicheren Betrieb des Standorts zu gewährleisten", heißt es in einer Stellungnahme der ENSREG. Ähnlich große Bedenken gibt es für alle anderen nuklearen Standorte und Anlagen. Die Mitarbeiter dort müssen weiter ungehindert und ohne Druck ihre Aufgaben wahrnehmen können

Die Frontlage, wie sie das Institute for the Study of War ausweist. In Zarporizhia (Saporischschja) steht das größte AKW der Ukraine.

(Bild: understandingwar.org)

IAEA-Generalsekretär Rafael Mariano Grossi hatte bereits zweimal Warnungen ausgesprochen, nachdem berichtet wurde, dass Anlagen für schwachradioaktive Abfälle beschädigt worden seien. Nun sorgt sich Grossi, weil ihm gemeldet wurde, dass sich russische Streitkräfte dem größten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja nähern; dort stehen sechs der ingesamt 15 ukrainischen Reaktoren. Grossi lagen auch Informationen des Betreibers vor, laut denen russische Streitkräfte bereits in der Nähe des Standorts gesichtet worden seien; sie hätten ihn aber nicht betreten.

(anw)